Was heisst schon alt?

Mit über 80 Jahren noch einen Marathon laufen? Oder mit fast 70 anfangen, den Bizeps zu trainieren? Einer der Ältesten im Männerchor sein? In dieser Folge der Serie «Wertvolle Jahre» porträtiert der «Höngger» Menschen, die auch im höheren Lebensalter noch voller Energie stecken und ihre Ziele verfolgen.

Immer in Bewegung bleiben, das ist das Motto von Dina Cisullo. (Foto: Dagmar Schräder)
Würde sich selbst als non-Konformisten bezeichnen: Fritz Meier.
Roger Wagner singt nicht nur gern, sondern schätzt auch die geselligen Momente nach der Chorprobe.
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Mit zunehmendem Alter wird das Leben nicht unbedingt einfacher. Nach der Pensionierung ist zwar der Stress des Berufslebens vorbei und viel Zeit für Familie und Freizeit ist vorhanden. Gleichzeitig wachsen aber die gesundheitlichen und körperlichen Herausforderungen, auch Einsamkeit ist oft ein Thema.

Doch es gibt Menschen, die lassen sich ihr Alter kaum anmerken – und trotzen selbst den grössten Herausforderungen. Der «Höngger» hat drei von ihnen getroffen. Es sind Menschen, die auch im höheren bis hohen Alter noch aktiver sind als viele jüngere Leute – und mit viel Leidenschaft und Disziplin ihren teilweise recht ungewöhnlichen Hobbys nachgehen. 

Sich nicht unterkriegen lassen

Dina Cisullo ist 72 Jahre alt. Sie hat lange bei der Auftragsabwicklung gearbeitet, bei Banken, Versicherungen, in Computerfirmen, insgesamt 45 Jahre lang. Im Alter von 62 Jahren wurde sie schwer krank. Sie liess sich früh pensionieren, gab ihre Wohnung auf und zog in eine Einzimmerwohnung in einer Alterssiedlung in Oberengstringen, «um mir das Leben so weit wie möglich zu erleichtern», sagt sie, «man weiss ja nie, was kommt.»

Und es kam einiges: «Insgesamt musste ich bis heute 17 Operationen wegen meines Blasenkrebses  über mich ergehen lassen», erklärt Cisullo. Dabei musste nicht nur die Blase, sondern auch der Enddarm entfernt werden, demnächst steht noch die Entfernung einer Niere an. Eine sehr schwere Zeit. Doch Dina ist nicht der Typ Mensch, der den Mut verliert: «Was soll ich jetzt hier depressiv herumsitzen? Das wäre ja schrecklich», sagt sie. Und berichtet, wie sie die Krise meistert: Mit Bewegung. «Bewegung ist für mich ganz wichtig. Ich denke – und das wurde mir auch von mehreren Ärzten bestätigt – ich hätte die Krankheit nie überstanden, wenn ich nicht so fit gewesen wäre.»

Zu Beginn der Krankheitszeit war sie noch Hundebesitzerin und mit ihrem Hund Bambi täglich mehrere Stunden unterwegs. Als Bambi starb, ging für sie eine Welt unter. Sie konnte sich nicht vorstellen, so einen Abschied nochmals durchzumachen. Deshalb suchte sie eine neue Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. Zunächst begann sie bei den Seniorenturner*innen in Oberengstringen. Doch das war ihr etwas zu wenig.

Zufällig stiess sie dann auf ein lokales Fitnessstudio. Spontan buchte sie dort eine Probelektion – und ist seither nicht mehr davon losgekommen. Seit nunmehr fünf Jahren besucht sie das Fitness-Studio mit eiserner Disziplin, immer montags, mittwochs und freitags. Mindestens zwei Stunden trainiert sie dann – Ausdauer und Krafttraining. Vom Laufband über das Rudergerät bis zur Bauchpresse versteht sie die Geräte zu bedienen. «45 Kilo kann ich mit den Beinen stemmen», freut sie sich. «Bei den Armmuskeln muss ich jedoch langsam bremsen», lacht sie. «Ich kann doch nicht mit 90 aussehen wie eine Bodybuilderin.» Logisch, dass sie im Fitnessstudio mittlerweile allgemein bekannt ist.

Doch die körperliche Ertüchtigung im Studio ist ihr noch nicht genug Sport: Gleichzeitig setzt sie auch ihr Vorhaben, täglich mindestens zehn Kilometer zu laufen, in die Tat um und spaziert von zu Hause drei Kilometer zum Fitnessstudio – und nach dem Training wieder zurück. Und das bereits vor sechs Uhr, damit sie um halb sieben die Erste beim Studio ist, wenn es öffnet. «Ich bin ein glücklicher Mensch, egal was kommt», sagt sie – und strahlt. Angst vor der Zukunft, vor weiteren Erkrankungen, die hat sie nicht. «Ich glaube daran, dass jeder das Schicksal erhält, das er oder sie ertragen kann.» Und sie kann so einiges ertragen.

Die Komfortzone verlassen

Auch Fritz Meier ist ein sportlicher Mensch. Der 84-Jährige lebt schon seit der Kindheit in Höngg und fiel bereits in der Jugend durch seine aussergewöhnlichen Projekte auf. So kam der Sohn des früheren Höngger Dorfschmieds und späteren Inhabers des Haushaltgeschäfts nach seiner Lehre als Eisenwarenverkäufer auf die Idee, mit einem Freund auf eine längere Wanderschaft zu gehen. Zu Fuss liefen sie los, 3000 Kilometer bis nach Brest.

Sechs lange Monate waren die beiden unterwegs und wurden bei ihrer Rückkehr nach Höngg nicht nur von Verwandten und Freund*innen empfangen, sondern auch von der «Höngger Zeitung». Unkonventionell leben und erleben, die eigene Komfortzone verlassen und die persönlichen Grenzen ausloten, das war und ist sein Lebensmotto. Dies bewies er auch mit seiner zweiten Wanderung, die ihn bis nach Kuwait brachte, wo er vom Handlanger zum Bowling-Manager eines Strandclubs aufstieg. Oder mit der Matura, die er im Alter von 28 Jahren noch nachholte, um ein HSG-Studium zu absolvieren, woraufhin er es vom Personalchef bei Oerlikon Bührle bis in den Arbeitgeberverband brachte.

Auch im Sport setzte er sich immer wieder neue Ziele. So fing er etwa im Alter von 20 Jahren mit Langlauf an. Als dann im Jahr 1969 der erste Engadiner Skimarathon stattfand, war Meier mit dabei. Und hat seither keinen einzigen der Marathonläufe verpasst. Das haben ausser ihm nur noch eine Handvoll anderer Leute geschafft. Auch für das kommende Jahr plant er die Teilnahme am Engadiner – wenn er auch seit letztem Jahr ein wenig zurückstecken musste: «Ich laufe mittlerweile nicht mehr die ganzen 42 Kilometer mit, das machen meine Knie nicht mehr mit.»

Aber den halben, den peilt er noch an. Und will im Dezember schon mal ins Engadin fahren, um sich vorbereiten und akklimatisieren zu können. Anschliessend gehört zu seinem Trainingsplan, einen ganzen Monat lang auf Alkohol zu verzichten. Das fällt ihm nicht ganz leicht, denn Meier ist, wie er selber sagt, «ein Genussmensch». Doch er weiss, dass eine solche Vorbereitung notwendig ist: «Eine Hälfte des Lebens ist Glück, die andere ist Disziplin – und die ist entscheidend.»

Diese Einstellung kommt ihm auch in seinem neuesten Hobby zugute, das er erst vor Kurzem begonnen hat: das Jonglieren. In der Reformierten Kirche in Höngg werden hierzu Kurse angeboten. «Jonglieren ist eine sehr gute Übung zur Konzentration und Koordination», erklärt er. Und das sind beileibe nicht die einzigen Hobbys, die Meier so ausübt. Auch in der Rebbaugruppe der Zunft sowie derjenigen des Ortsmuseums ist er noch sehr aktiv. Und ganz nebenbei lernt er noch Italienisch. «Manchmal meint meine Frau, dass ich etwas zu viel mache», schmunzelt er. Aber pensioniert sein und dann vor dem Fernseher hocken, das wäre so gar nicht sein Ding.

Singen verbindet

Im gleichen Alter wie Fritz Meier ist Roger Wagner. Er wohnt zwar nicht in Höngg, ist jedoch mindestens einmal wöchentlich hier im Quartier zu Besuch. Dann nämlich, wenn der Männerchor Höngg seine Chorprobe hat. Denn er gehört seit 12 Jahren zum Ensemble. Mittlerweile, so sagt er, sei er der Zweitälteste der Sänger.

Auf den Männerchor kam Wagner, als dieser damals gemeinsam mit dem Klotener Chor ein Projekt durchführte. Am Muttertag kam er deswegen mit seiner Frau nach Höngg – und erfuhr hier, dass der Männerchor eine Reise nach Brasilien plante. Das gefiel seiner Frau und ihm gleichermassen, beide reisten mit nach Brasilien und er blieb dem Chor als Mitglied erhalten.

Seither singt er hier die tiefe Bassstimme. «Früher», so erklärt Wagner, «konnte ich zwischendurch auch mal die Stimmlage wechseln und als Tenor einspringen.» Doch das gehe heute nicht mehr. «Mit den hohen Tönen habe ich mittlerweile Schwierigkeiten», gesteht er. Aber die tiefen, die gehen immer noch.

Wagner ist nicht mehr gut zu Fuss, zum Laufen braucht er einen Rollator. Doch die Strecke nach Höngg, die nimmt er jede Woche mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf sich. Die Mitgliedschaft im Chor bedeutet für ihn nämlich weit mehr, als nur Musik zu machen. «Ich finde es sehr schön, sich einmal wöchentlich zu treffen, Spass miteinander zu haben und Freundschaften zu pflegen», erklärt er seine Motivation.

Wichtig sei ihm dabei nicht nur das Singen, sondern auch das gemeinsame Zusammensein, das nach jeder Chorprobe stattfindet. Das verbindet. Und dafür ist er gerne zwei Stunden unterwegs.

«Die Menschen sollen ihr Leben geniessen können»

Aktiv sein und bleiben trotz Aufenthalt in einem Alters- oder Pflege­zentrum? Geht das? Ein Gespräch mit Eva Rempfler, Eventmanagerin des Aktivierungsteams im Riedhof – Leben und Wohnen im Alter.

Hier geht es zum Interview.

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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