Dagmar schreibt: Schöne neue Welt

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über das Wunder der Kommunikation – digital und analog.

Dagmar Schräder liebt es zu schreiben. (Foto: Jina Vracko)

4 von 26. Ich habe sie gezählt. Heute früh auf dem Weg ins Büro. 4 von 26 Personen, die mit mir im Bus unterwegs waren, hatten den Blick nicht auf ihr Handy gesenkt. Das heisst nicht unbedingt, dass sie nicht mit anderen Medien beschäftigt waren – eine Person hat ein Buch gelesen, eine andere war mit der Zeitung beschäftigt. Immerhin zwei haben sich unterhalten.

Doch der ganze Rest war während der ganzen Busfahrt mit dem Smartphone beschäftigt. Die meisten von ihnen haben mich wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen. Oder nur mit leeren Augen kurz aufgeblickt, als ich an ihnen vorbeiging, in Gedanken völlig abwesend. Bei einer Frau, die mir gegenübersass, dachte ich zuerst sogar, sie habe mich angesprochen. Sie redete vor sich hin, ich verstand nicht genau, was sie sagte. «Was», oder besser «wie bitte?», wollte ich schon fragen, als mir die Stöpsel in ihren Ohren auffielen. Ah ja, klar, sie war am Telefon.

Schon komisch, irgendwie. Auf so engem Raum mit so vielen Menschen unterwegs zu sein, die sich alle in ihrem eigenen Paralleluniversum befinden. Und das passiert nicht nur beim Busfahren. Sondern eigentlich überall und immer – beim Spazieren mit dem Hund, auf dem Spielplatz mit den Kindern, im Restaurant mit Freund*innen. Man kommuniziert mehr mit den Menschen, die gerade nicht anwesend sind, als mit denjenigen, die real und in Echtzeit vor einem stehen.

Natürlich kenne auch ich ihn, den «Natelreflex»: Immer, wenns gerade mal wieder droht, langweilig zu werden oder Wartezeiten von mehr als zwei Minuten zu überbrücken sind, beginnen meine Finger zu zucken. Nur mal kurz googeln, was mir gerade so durch den Kopf gegangen ist. Ah, eine neue Nachricht. Emails checken? Und wie wird das Wetter morgen? An manchen Tagen komme ich auf über 100 Entsperrungen pro Tag. Mehr als 100-mal habe ich mein Handy in die Hand genommen, um mir irgendwelche Informationen abzuholen. Und der Witz ist: In den meisten Fällen habe ich schon einige Minuten später wieder vergessen, was ich da so Dringendes erledigen musste. Unglaublich.

Ich habe eine einzige Freundin, die nach wie vor analog funktioniert. Sie hat ein Festnetz-Telefon und kein Handy. Einen Computer besitzt sie, schreibt ab und zu Emails, aber sonst ist sie noch sehr in der «realen» Welt zu Hause. Und sie versteht den Reiz der Smartphones gar nicht. All das, was sich ihre Kinder «reinziehen», das geht komplett an ihr vorbei. Sie kann nicht nachvollziehen, was daran interessant sein soll. Vielleicht hat sie einfach bisher zu wenig Zeit damit verbracht, um abhängig zu werden? Oder sie ist tatsächlich immun dagegen.

Egal, auf jeden Fall beneide ich sie ein wenig darum. Wenn sie mich besuchen kommt, nehmen wir meistens irgendwann die alten Fotoalben zur Hand. Und erinnern uns an die Momente vor über zwanzig Jahren, als wir in der noch komplett analogen Welt gemeinsam auf Reisen waren. Schön war das.

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