Wie viel Flughafen braucht die Schweiz?

Am 27. November 2011 stimmt der Kanton Zürich ab: Darf das Pistensystem am Flughafen Zürich ausgebaut werden oder nicht?

Nicht gerade wie vor zehn Jahren, als die Swissair am Boden blieb . . .
Der Flughafen Zürich. (Foto: zvg)
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Ein wichtiger Entscheid, der nicht nur Bundesbern und die übrige Schweiz interessiert: Auch im grenznahen Deutschland wird der Abstimmungskampf und dessen Ausgang mit Argusaugen verfolgt. Zwei Vorlagen, viele Meinungen: Am 27. November stimmt der Kanton Zürich über die Zukunft des Flughafens ab. Zur Auswahl stehen die von 42 Gemeinden lancierte Behördeninitiative zur Gesetzesänderung des Flughafengesetzes sowie der Gegenvorschlag von Stimmberechtigen. Die Behördeninitiative verlangt einen gesetzlich verankerten Aus- und Neubaustopp der Pisten. Nach Ansicht der Initianten genügen die heutigen, vom Pistensystem vorgegebenen Kapazitäten von 350 000 Flugbewegungen für den Wirtschaftsraum Zürich. Zurzeit wickelt der Flughafen pro Jahr 270 000 Bewegungen ab. Der Gegenvorschlag der Stimmberechtigten geht sogar noch einen Schritt weiter: Neben einem Neu- und Ausbaustopp der Pisten verlangt die Vorlage, dass sich der Staat künftig dafür einsetzt, keine Flugrouten mehr über dicht besiedeltem Gebiet zuzulassen. Auch sollen keine Schnellabrollwege mehr gebaut oder ausgebaut werden dürfen. Schnellabrollwege stellen sicher, dass Flugzeuge die Piste nach erfolgter Landung so rasch wie möglich verlassen können, um diese wieder für Landungen oder Starts frei zu geben.

Kantons- und Regierungsrat sind geteilter Meinung

Einigkeit herrscht einzig bei der Empfehlung beider Räte zum Gegenvorschlag der Stimmberechtigten: ein kollektives Nein. Die Behördeninitiative hingegen empfiehlt der Kantonsrat zur Annahme. Durch den Verzicht auf Pistenaus- und -neubauten erhalten die Gemeinden Rechtssicherheit bei ihrer Raumplanung. Zudem würde ein Ausbau zusätzliches Verkehrswachstum bringen und somit die Einhaltung der Grenzwerte bei der Luftverschmutzung erschweren. Der Regierungsrat hingegen lehnt die Behördenvorlage ab. Als wichtigste Argumente gegen die Vorlagen hält er fest, dass die gewünschte Planungssicherheit durch einen Verzicht auf Neu- oder Ausbauten nicht geboten würde. Zudem habe der SIL (Sachplan Infrastruktur Luftfahrt) gezeigt, dass gewisse Varianten mit Pistenverlängerung hinsichtlich Lärm zum Teil deutlich besser abschneiden würden als die heutigen Pistensysteme. Auch in den Parteien herrscht Uneinigkeit im Vorfeld der Abstimmung. Diverse Politiker beziehen öffentlich Stellung gegen die Parole ihrer Partei. Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) findet beide Vorlagen überflüssig, da bei jeder Veränderung am Pistensystem im Kanton Zürich ohnehin eine Volksabstimmung möglich ist. Zudem bedeuten für ihn allfällige Anpassungen des Betriebssystems nicht zwingend eine Steigerung der Flugbewegungen und somit der Lärmemissionen. Im Gegenteil – Pistenausbauten können auch zu Reduzierung der Lärmbelastung beitragen. Für den Flughafen Zürich würde ein Ja zur Initiative beziehungsweise zum Gegenvorschlag eine massive Einschränkung in seiner Entwicklung bedeuten. Gemäss Flughafen erhöht die geplante Pistenverlängerung nicht die Kapazität. Sie würde es ermöglichen, bei fast jedem Wetter von Osten her zu landen und nach Norden zu starten. Die Südanflüge würden damit praktisch hinfällig. Und welche Bedeutung hat der Ausgang der Abstimmung für die deutschen Nachbarn? Für die deutschen Fluglärmgegner ist klar: Wie auch immer die Zürcher entscheiden, sie liefern sich den deutschen Vertretern aus: Bei einem Ja signalisieren die Zürcher, dass sie keinen Fluglärm über den eigenen Köpfen haben wollen. Ein Nein würde bedeuten, dass sie mehr Flüge und somit mehr Lärm in der Schweiz in Kauf nehmen würden. Beides gute Argumente für die Deutschen, eine Einschränkung der Flüge über ihrem eigenen Gebiet zu legitimieren.

Hoffnungsschimmer am (Fluglärm-)Himmel über Höngg und Regensdorf

Unabhängig vom Abstimmungsausgang am 27. November dürfen die Bewohner der vom Fluglärm zum Teil auch betroffenen Gemeinden Höngg und Regensdorf vielleicht bald auf Besserung hoffen. Mit der Umstellung auf den neuen Flugplan im Frühjahr 2012 soll nämlich die neue «alte» Flugroute über den Grüngürtel zwischen Regensdorf und Buchs wieder in Betrieb genommen werden. Seit 1999 dürfen die Flugzeuge beim Start ab Piste 28 ein paar hundert Meter früher als vorher die erste Kurve Richtung Süden fliegen. Was bis dato über den Grüngürtel flog, zieht seit 1999 direkt über die Dächer von Regensdorf, Höngg und Dällikon. Zwölf Jahre kämpfte Regensdorf gegen die neue Route – im Jahr 2009 entschied das Bundesgericht, den Abdrehpunkt ein paar hundert Meter nach Westen zu verlegen und somit die alte Flugroute wieder aufzunehmen. Die Umsetzung des Entscheides hingegen verzögerte sich. Erst nachdem alle drei Furttaler Gemeinden – Regensdorf, Buchs und Dällikon – beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) offiziell bestätigt haben, einer Meinung zu sein und keine weiteren Einsprachen einzureichen, soll die neue alte Flugroute nun ab 28. März 2012 gültig sein. Die Bewohner der betroffenen Gebiete dürfen also hoffen: Von täglich 736 Flugbewegungen des Flughafens Zürich betreffen immerhin rund die Hälfte den Luftraum Höngg/Regensdorf. Wenn die täglich rund 230 startenden Flieger ab Piste 28 also künftig erst weiter im Westen abdrehen, könnte auf Gemeindeboden wieder etwas mehr Ruhe einkehren.

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