Es muss nicht immer Birkenstock sein

Die heutige Jugend ist unsere Zukunft. Worin lohnt es sich zu investieren, wenn nicht in die Zukunft? Meiner Meinung nach gibt es nichts Nachhaltigeres. Deshalb tue ich genau das: Mit meinem Job investiere ich in die Jugend.

Wenn ich neue Menschen kennenlerne, dann stellt sich oftmals früh die Frage, was ich beruflich so mache. In solchen Situationen überlege ich mir sehr genau, was ich sage. Dabei muss ich vorwegnehmen, dass ich persönlich der Meinung bin, dass mein Job keine Arbeit im herkömmlichen Sinne ist, sondern vielmehr eine Berufung. Tatsächlich ist es nicht so einfach, meinen Arbeitsalltag in wenigen Sätzen zu schildern. Mal sage ich, dass ich Jugendarbeiterin bin, manchmal erzähle ich von meiner Tätigkeit in der Jugendförderung und wieder in anderen Situationen stelle ich mich als Sozialarbeiterin vor. Zu all diesen Begriffen haben Menschen gewisse Bilder, Assoziationen und damit auch Erinnerungen und Gefühle. «Wieso hast du keine Birkenstöcke an, Mandy?» Ja, es passiert mir tatsächlich oft, dass ich dann aufgrund meiner gewählten Bezeichnung in eine gewisse Schublade gesteckt werde und da auch nicht mehr so einfach rauskomme. Ich glaube, dass viele Menschen sehr überrascht wären, wenn sie wüssten, was Jugendarbeitende in der Realität und deren Konsequenz wirklich tun. Um dem näher zu kommen, gilt es folgende Grundannahme zu kennen: Menschen sind komplexe Wesen und das, obwohl viele Theorien davon ausgehen, dass alle Menschen die gleichen Grundbedürfnisse haben. Ich möchte Ihnen diesen Gedanken etwas genauer ausführen. Dafür eignet sich meiner Meinung nach das Modell des Schweizer Professors für Soziologie, Sozialarbeitswissenschaft und Philosophie, Werner Obrecht, besonders. Werner Obrecht differenziert menschliche Bedürfnisse auf drei Ebenen: Biologische Bedürfnisse, biopsychologische Bedürfnisse, biopsychosoziale Bedürfnisse (siehe Infobox). Dabei sind diese Bedürfnisse unterschiedlich elastisch, was bedeutet, dass die Befriedigung dieser Bedürfnisse unterschiedlich dringend sind. Diese Bedürfnisse zeigen sich im alltäglichen Handeln von Menschen. Sind diese Bedürfnisse erfüllt, so zeigt sich das in Form von zum Beispiel Lust, Entspannung, Liebe oder Stolz. Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, so kann das zu Wut oder Hass führen, Langeweile kann entstehen. Darüber hinaus kann es sein, dass sich körperliche Symptome wie Erbrechen oder Schwindel zeigen. Wenn diese Überlegungen grundlegend sind für die Arbeit mit Menschen, dann überlegen wir uns nun, wie die Situation in Hinblick auf Jugendliche aussieht. Erinnern Sie sich liebe Leserin, lieber Leser, an ihre eigene Jugendzeit? 

In der Jugendphase passiert so einiges. Der Körper ist grossen Veränderungen ausgesetzt. Einen gesunden Umgang mit diesen Veränderungen zu finden, ist in Anbetracht der geltenden Schönheitsideale nicht immer ganz einfach. In der Jugendphase spielen die eigenen Emotionen verrückt, und dies nicht zuletzt aufgrund von Veränderungen im Präfrontalkortex. Oftmals findet man keine Worte, um die eigenen Gedanken und Gefühle in Ausdruck zu bringen. Es grenzt an eine Höchstleistung, sich den eigenen Gedanken und Gefühlen erstmal bewusst zu werden, diese in einem nächsten Schritt zu ordnen, um schliesslich die eigenen Wünsche unabhängig von eingebildeten Erwartungen äussern zu können. Es gibt viele Situationen, in denen sich Jugendliche nicht verstanden fühlen. Kein Wunder, denn die Jugendphase ist in vieler Hinsicht eine sehr anspruchsvolle Zeit. Viele Erfahrungen macht man in der Jugend zum ersten Mal: Sei es in der Liebe, in Bezug auf Freundschaften, oder im Zusammenhang mit der Berufswahl.
In diesem Sinne, also im Bewusstsein über die eigene Jugendzeit, lade ich Sie in dieser Ausgabe dazu ein, mit uns auf eine Entdeckungsreise zu gehen. Wir lüften das Geheimnis rund um die Jugend in Höngg. Wir beschäftigen uns damit, wer die Jugendlichen in Höngg sind und welche Themen sie interessieren. Sie erhalten die Möglichkeit hinter die Kulissen der offenen Jugendarbeit in Höngg zu blicken und sich ihre eigene Meinung zu unserer Arbeit zu bilden. Mit dieser Jugendausgabe wollen wir Jugendlichen eine Stimme verleihen, der Anonymität entgegenwirken und damit das gegenseitige Verständnis zu begünstigen. Wir stellen uns die Frage, was Jugendförderung tut und welche Ziele sie dabei verfolgt. Und wer weiss, vielleicht ist dann die Frage, ob wir alle Birkenstöcke tragen oder nicht, irgendwann gar nicht mal mehr so interessant.
Ich wünsche Ihnen eine angeregte Lektüre.

Mandy Abou Shoak, GZ Höngg/Rütihof, Jugend

Biologische Bedürfnisse
Bedürfnis nach Vermeidung von Beeinträchtigungen durch Hitze, Kälte, Verletzung, Gewalt, Durst, Hunger und anderes. Bedürfnis nach sexueller Aktivität/Fortpflanzung, Bedürfnis nach Regenerierung und anderes.
Biopsychologische Bedürfnisse
Bedürfnis nach relevanten Zielen und Hoffnung auf Erfüllung. Bedürfnis nach Ästhetik, Bedürfnis nach Abwechslung/Stimulation, Bedürfnis nach Orientierung/Erklärung und Interpretation, Bedürfnis nach Kompetenzen und Kontrolle und anderes.
Biopsychosoziale Bedürfnisse
Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung, Bedürfnis nach Identität/ Unverwechselbarkeit, Bedürfnis nach Autonomie, Bedürfnis, Rechte zu haben, weil man Pflichten erfüllt, Bedürfnis nach (sozialer) Anerkennung und anderes.