Die Suche nach der Insel für alle

Für die Werdinsel wird derzeit unter der Leitung von Stadtrat Filippo Leutenegger ein neues Nutzungskonzept erarbeitet. Der «Höngger» traf ihn zum Gespräch über Nutzungskonflikte und wie man um Lösungen ringt.

Die Werdinsel im Juli 1987 während des Baus des Regenbeckens.
Stadtrat Filippo Leutenegger in seinem Büro am Werdmühleplatz.
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Die rund acht Hektar grosse Werdinsel, zwölf Fussballfelder, rückt immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Und diese Öffentlichkeit und mit ihr der Nutzungsdruck wird, so zeigen Schätzungen des Kantons, alleine in Zürich durch das Bevölkerungswachstum bis 2040 um 60- bis 110’000 Personen zunehmen. Wie soll man damit umgehen? Wie kann die weitgehend konfliktlose Nutzung, wie sie derzeit existiert, bewahrt werden? Wie kann die Werdinsel, in der Freihaltezone gelegen, zu einer naturnahen Parkanlage weiterentwickelt werden? Welche «Spielregeln» sollen gelten?
Dies fragte man sich auch bei der Stadt, wo man 2016 verwaltungsintern Grundlagen erarbeitete, Handlungsfelder definierte und nach ihrem Handlungsbedarf gewichtete, um ein nachhaltiges Nutzungskonzept zu erstellen. Den Feldern «Sicherheit», «Sauberkeit», «Verkehr», «Wasserzugang» und «Veranstaltungen» wurde dabei ein geringer Handlungsspielraum attestiert. Bei vier anderen sah man einen höheren und wollte bei der Lösungsfindung auch alle Nutzergruppen miteinbinden.
Seit Anfang dieses Jahres treffen sich unter der Leitung von Stadtrat Filippo Leutenegger rund hundert Interessenvertreterinnen und -vertreter, aufgeteilt in die vier Handlungsfelder, zu Workshops und suchen nach Lösungen.
Im Handlungsfeld «Infrastruktur» wird geprüft, wie und wo allenfalls zusätzliche Liegewiesen bereitgestellt werden könnten. Unter «Badi Au-Höngg» werden die Schwimmstrecke im Kanal und mögliche Verbesserungen der Sicherheit und Infrastruktur analysiert. Im Feld «Mensch und Tier» sucht man nach Massnahmen zur Förderung der Biodiversität und Regeln für die Hundeführung und unter dem Titel «Inselspitz» diskutiert man präventive oder, falls nötig, auch repressive Massnahmen gegen sexuelle Handlungen im öffentlichen Raum.

Die Werdinsel als «Laborsituation»

Der «Höngger» hat Stadtrat Leutenegger in seinem Büro zum Gespräch getroffen, um zu erfahren, wie weit der Prozess gediehen ist und wie er damit zufrieden ist. «Es ist ein etwas aufwändiger Prozess für diese kleine Insel», sagt Leutenegger, «aber er wird dem Umstand gerecht, dass alle nur vorstellbaren Nutzungskonflikte auf dieser kleinen Fläche zusammenkommen». Das sei eine unglaubliche Laborsituation, die man sonst nirgends fände und «aus der können wir auch lernen und die Erfahrungen andernorts wieder einbringen». Der Vorsteher des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements führt persönlich den Prozess in den vier Themengruppen, weil es wie er sagt, «am Schluss ein gewisses Fingerspitzengefühl» brauche, um einen vernünftigen Kompromiss zu finden, und bei schwierigen Situationen müsse immer der Chef dort sein, sonst gehe es nicht. Und bisher sei er sehr positiv von der Kompromissbereitschaft der Beteiligten überrascht worden, obwohl die Dynamik, zum Beispiel im Themenfeld «Mensch und Tier», «sehr vital» sei, wie er es ausdrückt. Kein Wunder, denn speziell dort treffen verschiedene Konfliktebenen aufeinander: «Diese müssen wir auseinanderdividieren, um einen vernünftigen Kompromiss zu erreichen, der zu den angestrebten, möglichst einfachen Regulierungen führt». Mit den Hunden und ihren Haltern habe man zum Beispiel nicht derart grosse Probleme, dass man gleich die ganze Werdinsel für Hunde komplett sperren müsste. «Aber es geht darum, wo Leinenpflicht herrschen soll und dies eben auch je nach Saison anders zu handhaben ist. Da gibt es einen grossen Spielraum». Die Diskussionen um dieses Thema seien emotional, aber auch sehr interessant, da auch der Naturschutzgedanke mitspiele. Der benachbarte Auenwald, der Biber, der neuerdings seine Ansprüche als bundesrechtlich geschütztes Tier geltend macht und vieles mehr muss berücksichtigt werden. Widersprüche zwischen Mensch und Naturschutz gebe es jedoch kaum, ganz im Gegenteil: «Gerade im Spitz der Werdinsel wird der Natur sehr geschaut, das ERZ muss zum Beispiel dort kaum je Abfall zusammensammeln, was im restlichen Teil der Insel oft anders aussieht». Und so zeige die Rückkehr des Bibers eigentlich, dass das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur auf der Werdinsel recht gut funktioniere. Zudem sei der Biber sehr wehrhaft: «Wenn ein Hund auf einen Biber stösst, dann kann es für den Hund richtig gefährlich werden», weiss Leutenegger, der von der Biodiversität auf Stadtgebiet beeindruckt ist. «Die ist hier höher als vielerorts auf dem Land. Um das zu erhalten, braucht es Regeln, aber komplette Schutzgebiete machen auf der Werdinsel keinen Sinn».

Die Aufhebung des FKK-Bereichs stand nie zur Diskussion

Naturgemäss, so ist man versucht zu sagen, zeigen sich auch im Themenfeld «Inselspitz» mit dem FKK-Bereich und der Homosexuellen-Szene Konflikte und Emotionen, denn damit verbinden viele persönliche Erlebnisse oder haben zumindest eine bestimmte Meinung dazu. «Das Hauptproblem ist» führt Leutenegger aus, «dass sich eine solche Szene herumspricht, auch in den sozialen Medien, und so zu einem internationalen Hotspot wird, was nicht gut ankommt». Deshalb seien bereits in den letzten zwei Jahren die Polizeikontrollen intensiviert worden: «Was die Polizei gemacht hat, war sehr gut und es wird allgemein anerkannt, dass sich die Situation verbessert hat», so der Magistrat, aber man müsse jetzt nachhaltig verhindern, dass der Werdinselspitz (wieder) zu einem Hotspot werde. Man hätte, so drängt sich die Frage auf, anlässlich des neuen Nutzungskonzepts auch auf die Aufhebung des FKK-Bereichs hinsteuern können, doch dies stand, betont Leutenegger entschieden, nie zur Diskussion. «Wir sind doch ein Traditionsland, und mit Traditionen bricht man nicht einfach. Wir wollen sie weiterentwickeln und so kanalisieren, dass es allen damit wohl ist. Und niemand will etwas verbieten, das im grossen Ganzen funktioniert, sondern einfach den möglichen Nutzungskonflikt einschränken». Mit den einen oder anderen Regeländerungen, die nun im Informations- und Beteiligungsprozess gemeinsam erarbeitet werden, soll dies erreicht werden: «Wenn dann alle Beteiligten mit dem gleichen Vorwissen die gleichen Regeln propagieren und durchsetzen, dann funktioniert das», ist Leutenegger überzeugt.

Klar kein Wunschkonzert

Ein Wunschkonzert seien die Veranstaltungen jedoch klar nicht, betont er: «Wir gingen und gehen weiterhin mit einer entwickelten Vorstellung der Probleme an die Themen ran und stellen den Gruppen konkrete Fragen und wollen ihre Meinung dazu haben». Diese Meinungen werden in informellen Abstimmungen durch das Ankleben von Plus- und Minuspunkten auf Flipcharts festgehalten. Dieses Vorgehen wurde auch andernorts in den letzten drei Jahren angewandt. Es komme auf die Beteiligten an, doch immer wieder sei zu erleben, wie in diesen Prozessen die einen nachgeben und ihnen dann die anderen auch entgegenkommen und am Schluss hat man eine Lösung, mit der alle leben können. «Es ist bis jetzt in jeder Gruppe ein zäher, aber letztlich ein produktiver Gang», hält Leutenegger fest. Und er staune immer wieder über etwas, das er damals als Moderator der TV-Sendung «Arena» gelernt habe: Selbst wer mit gemachten Meinungen in die Gesprächsrunden komme, lasse sich von Gegenmeinungen beeinflussen – vorausgesetzt, er hört sie sich an: «Selbst die grössten Fundamentalisten lassen sich beeinflussen. Oder zumindest einzelne Mitglieder einer Gruppe, doch dann kann man schon besser miteinander reden». Ja, er komme sich an Veranstaltungen wie diesen manchmal heute noch vor wie damals in der «Arena», lacht Leutenegger, bloss mit umgekehrter Aufgabe: «Hier muss ich schauen, dass ich eine Einigung finde, das war in der Arena nie das Thema».

«Wir sind doch ein Vorzeigeland»

Und die Einigungen kommen nur zustande, wenn er sich selbst intensiv einbringt, so seine Überzeugung. «Die Beteiligten müssen wissen, dass ich als Stadtrat diese Lösungen auch will und dahinterstehe. Und so werde eben in den Sitzungen offen und so lange über Kompromisse diskutiert, bis man sich einigen könne, «dafür habe ich unendlich viel Geduld, denn wenn man etwas verfolgt, dann muss man dies mit Nachhaltigkeit tun». Leutenegger ist als Macher bekannt, der nach pragmatischen Lösungen sucht und sie auch möglichst rasch umsetzen will. Dauert ihm der politische Prozess manchmal nicht zu lange? Zeitlich betrachtet, sagt er, sei es ein langwieriger Weg, aber er gehe ihn gerne. Er sei ein «zäche Cheib» und gebe nicht so schnell auf. Gut so, denn der Informations- und Beteiligungsprozess zur Werdinselnutzung und seine Nachbearbeitung auf Verwaltungsebene werde voraussichtlich noch bis Ende Jahr dauern. Danach müssen einige der neuen Regelungen amtlich publiziert werden und unterstehen dem Rechtsweg, sie können also durch Einsprachen verzögert oder gar verhindert werden. Doch dem sieht Leutenegger gelassen entgegen, denn: «In der Schweiz ist es doch so: Wenn wir nur schon eine mittlere, in einem Kompromiss gefundene Zufriedenheit finden, dann besteht eher die Chance, dass man nicht gleich von Beginn weg den Rechtsweg beschreiten muss». Das Gespräch davor sei immer das Wichtigste, und im Umgang mit Konflikten seien wir doch ein Vorzeigeland: «Wer sonst würde schon über ein so kleines Gebiet wie die Werdinsel in vier verschiedenen Gruppen lange Diskussionen führen, um eine gemeinsame Lösung zu finden? Das machen nur wir Schweizerinnen und Schweizer, weil wir dieser Kultur Sorge tragen». Dazu gehöre es eben auch, dass bei Konfliktsituationen ein Stadtrat hinstehe, den Menschen zuhöre, und sie ernst nehme – und dann schaue, was gehe und was nicht. Ja, sich an öffentlichen Veranstaltungen mit den Menschen auseinanderzusetzen sehe er als einen der schönsten Teile seines Stadtratsamtes, schloss Leutenegger das Gespräch.

Für den Mittag/Nachmittag des 17. Juni ist eine öffentliche Informationsveranstaltung in Werdinselnähe vorgesehen. Genaue Zeit und genauer Ort sind noch nicht festgelegt.

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