Berührende Führung durch das Krematorium Nordheim

Das Bestattungs- und Friedhofsamt der Stadt Zürich organisierte kürzlich im Krematorium Nordheim eine öffentliche Führung. Rund hundert Personen wollten mehr über das Thema Kremation erfahren. Sie wurden mit viel Wissenswertem und Überraschendem belohnt.

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Bestatter René Burgener erklärt vor einem Verbrennungsofen und anhand eines leeren Sarges, wie die eigentliche Kremation vor sich geht.
Eine der beiden Abdankungshallen. Das farbige Licht trägt viel zur Atmosphäre bei.
Urnen gibt es in den verschiedensten Varianten.
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Erstaunlicherweise vorwiegend ältere Menschen interessierten sich für die ausgeschriebene Führung – weil sie dem Lebensende vielleicht näher stehen als andere? In drei Gruppen aufgeteilt, führten drei Bestatter die Teilnehmenden durch das weitläufige Krematorium Nordheim an der Käferholzstrasse. René Burgener, seit 25 Jahren Bestatter im Nordheim, erzählte, dass das Krematorium 1967 gebaut worden sei. Es ist zuständig für die Stadt Zürich sowie für zahlreiche Agglomerationsgemeinden. Sechs Verbrennungsöfen sind im Einsatz. Heutzutage werden 87 Prozent der Verstorbenen kremiert, nur noch jede 13. Person wird erdbestattet. Die Bestattung ist weitgehend unentgeltlich.

Früher wurden Verstorbene zuhause aufgebahrt

33 Aufbahrungsräume stehen zur Verfügung, zehn bis 15 von ihnen werden durchschnittlich benötigt. «In den Aufbahrungsräumen werden die Verstorbenen aufgebahrt, damit Angehörige von ihnen Abschied nehmen können. Grundsätzlich kann aber jeder einen Verstorbenen besuchen – es muss keine familiäre Zugehörigkeit bestehen», erklärte der 52-jährige René Burgener. Wollen Angehörige nicht, dass man den oder die Tote besichtigen kann, so muss dies mit dem Krematorium abgesprochen werden. «Früher war es üblich, dass man Verstorbene zuhause aufbahrte, dies ist heute nicht mehr verbreitet. Für den Fall der Fälle gibt es aber kleine, mobile Kühlaggregate, welche wir für den Heimgebrauch vermieten», so der Bestatter. Kühlung ist wichtig, denn nach ein bis zwei Tagen verändert sich Geruch und Aussehen der Verstorbenen, wenn es zu warm ist. So sind die Temperaturen in den Aufbahrungsräumen denn auch um 8 bis 11 Grad Celsius.

Rosen und Kerzen sorgen für würdevolle Atmosphäre

Auffallend ist, wie schön die Aufbahrungsräume hergerichtet sind: Viele Rosen, brennende Kerzen und zwei Stühle geben Raum für einen würdigen Abschied von Verstorbenen. Die obligate Kleenex-Schachtel darf denn auch in den Gängen nicht fehlen, schliesslich kommt es nicht selten zu Tränen. Besuch erhalten jedoch nur wenige Verstorbene. Am meisten Abschied wird von Katholiken und Hindus genommen, letztere kommen oft mit der ganzen Verwandtschaft ins Krematorium, auch bei den Abdankungen, die in den beiden religionsneutralen Abdankungshallen mit 150 und 450 Plätzen durchgeführt werden. «Es hat in beiden Hallen eine Orgel, aber man kann auch selbst Musik auf CD oder MP3 mitbringen, wir sind ausgerüstet», erklärt René Burgener. Der Sarg kann per Lift übrigens praktisch und kräfteschonend direkt in die Abdankungshallen und in die Aufbahrungsräume gebracht werden – was bei der täglichen Arbeit mit den schweren Särgen nicht zu unterschätzen ist.

Aufbahrung in Tiefkühl- und Kühlräumen

«Verstorbene werden im Kühlraum, von denen wir zwei mit je 65 Plätzen haben, im Sarg aufgebahrt – dies bis zu drei Wochen.» Im Tiefkühlraum – bei minus 25 Grad Celsius – ist die Aufbahrung bis zu zwei Jahren möglich – beispielsweise bei Personen, deren Identität unbekannt ist. Nach ihrer Identität wird mit Hilfe der Polizei schweiz- oder weltweit gesucht. «Normalerweise sind gegen 50 Verstorbene aufgebahrt, die bei uns auf die Kremierung warten», so René Burgener. Wer die Räume betrat, wunderte sich vielleicht, dass die Särge einzeln nebeneinander auf fahrbaren Gestellen lagen – viel platzsparender wäre doch eine Art Regal? «Wir haben genügend Platz, darum werden die Särge so gelagert. Zudem ist es so auch einfacher, als immer mit Regalen zu hantieren und die Särge aus verschiedenen Höhen herauszuziehen oder hereinzuschieben», so René Burgener.

Leichenstarre und Totenflecken

Verstorbene werden vom Fahrdienst der Stadt Zürich abgeholt – in der Nacht erledigt dies ein privates Bestattungsunternehmen im Namen der Stadt. Den Tod feststellen darf übrigens kein Verwandter, auch wenn er Arzt ist: Eine externe Fachperson muss den Totenschein ausstellen. Im Krematorium wird dem Verstorbenen ein Leichenhemd angezogen oder auf Wunsch der Angehörigen Privatkleider. Nach einer halben Stunde treten bei den meisten Toten die sogenannten Toten flecken auf, Druckstellen, die vor allem am Rücken zu sehen sind. Die Muskelstarre, auch Totenstarre genannt, beginnt nach zwei bis drei Stunden, und nach sechs bis neun Stunden ist sie am ganzen Körper eingetreten. Nach etwa zwei bis drei Tagen beginnt sie sich langsam wieder zu lösen. «Es kann vorkommen, dass keine oder nur eine sehr schwache Muskelstarre eintritt, wenn die verstorbene Person nicht mehr viel Muskulatur hat», erklärte der erfahrene Bestatter. Gewöhnungsbedürftig war auch zu erfahren, dass ein Körper in die Stellung zurückgeht, die er beim Sterben hatte. «So biegt sich etwa ein Arm nicht selten wieder nach oben, wenn wir ihn ausgestreckt hingelegt haben, oder der Mund öffnet sich», so René Burgener. Gesundheitspersonal wird deshalb angewiesen, frisch Verstorbene rasch in eine natürliche Haltung zu bringen.

1000 Grad bei Kremierung

Vor Ablauf von 48 Stunden darf der Verstorbene gemäss kantonaler Bestattungsverordnung nicht kremiert werden. Ist der Zeitpunkt der Kremation gekommen, so bedarf es einiges an Erfahrung: «Die Betriebstemperatur in den Öfen ist 700 Grad, im Durchschnitt werden die Verstorbenen bei mindestens 1000 Grad kremiert », erklärte René Burgener. Eine Kremation kann unterschiedlich lange dauern. Eine Rolle spielt das Gewicht, das Alter und nicht zuletzt der körperliche Zustand. Von 90 Minuten bis zu vier Stunden beträgt die Dauer des Kremationsvorgangs. «In der Zwischenzeit sehe ich sogar von der Hautfarbe des Verstorbenen her, ob er eher schnell oder langsam verbrennen wird», so der Bestatter, der auch nach all den Jahren die Tätigkeit beim Ofen als die am meisten Belastende erlebt: «Man sieht, wie jemand verbrennt.» Froh ist er deshalb, dass alle Bestatter in einem monatlichen Turnus die vier Abteilungen Ofenraum, Abdankungsbegleitung, Aufbahrung und Friedhofbegleitung wechseln: «So hat man immer wieder den nötigen Abstand. Wichtig ist in unserem Beruf zudem ein gutes Arbeitsklima mit offenen Gesprächen, da wir tagtäglich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden.» Eine Kremation ohne Sarg gibt es übrigens nicht: Der Sarg ist nicht nur die letzte Stätte des Verstorbenen, sondern sorgt mit seinem Holz auch für Brennmaterial. Auf Wunsch der Angehörigen tragen die Verstorbenen auch Schmuck, der nach der Kremation geschmolzen zusammen mit der Asche in die Urne kommt. Nicht selten kommt es vor, dass Verstorbenen etwas Persönliches in den Sarg gelegt wird, so bei Kindern etwa das geliebte Plüschtier oder bei einem Musiker seine Gitarre – das ist kein Problem für die Bestatter: Was in den Sarg passt, darf in den Ofen mitgenommen werden.

Asche darf verstreut werden

Die nach der Kremation grobe Asche fällt durch einen Rost. Es werden Fremdteile wie Implantate, etwa künstliche Kniegelenke oder Metalle wie zum Beispiel Sargnägel oder Klammern, mit einem Magnetsammler entfernt. Pro Jahr werden rund eine Tonne Edelmetall und Legierungen gesammelt, welche einem Recyclingunternehmen zugeführt werden. Die nun «gereinigte» Asche wird maschinell zerkleinert und dann in die bereitstehende Urne gefüllt. «Die Angehörigen dürfen mit der Asche machen, was sie möchten – im Rahmen der Pietät. Das Ausstreuen in einen See oder im Wald ist erlaubt, jedoch nur ohne Urne und natürlich nicht gewerbsmässig», so René Burgener. Möchte man den Verstorbenen nicht in einer schlichten Ton- oder Holz urne bestatten, so gibt es eine Vielzahl an individuell gestalteten Urnen zu kaufen, oder man bringt ein eigenes, verschliessbares Gefäss mit rund drei Litern Fassungsvermögen mit. Seit einigen Jahren gibt es nach Wahl zudem lösliche Tonurnen, deren Ton sich in der Erde innerhalb eines Jahres auflöst – übliche, gebrannte Tonurnen befinden sind auch nach 25 Jahren noch im ursprünglichen Zustand. Auf den Heimweg nimmt man die Gewissheit mit, dass auf den sorgsamem Umgang mit Verstorbenen im Krematorium Nordheim grössten Wert gelegt wird und für das Personal dort ein Mensch auch dann noch ein Mensch ist, wenn er nicht mehr lebt.

Gut zu wissen
Wer vorsorgen möchte, damit er nach seinen eigenen Wünschen beerdigt oder kremiert wird, der sollte zu Lebzeiten eine Bestattungsvereinbarung ausfüllen. Diese kann beim Bestattungs- und Friedhofsamt kostenlos hinterlegt werden. Ein Eintrag im Testament wird weniger empfohlen, denn dieses wird erst nach der Bestattung geöffnet.