Zwei Quartierpläne, die alles umpflügten

Dass der Rütihof heute so aussieht, wie er aussieht, geht auf das Jahr 1963 zurück. Damals wurde aus einer Landwirtschaftszone Bauland. Mit dem Quartierplan Nr. 458, Rütihof, wurden Grundstücke abgetauscht, Strassen gebaut und bestimmt, wo wie viel gebaut werden darf und wer wie viel für die Erschliessungskosten bezahlen muss. Bis heute wirken die Ereignisse jener Zeit nach.

Luftaufnahme von 1981.
Die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Rütihof, Richtung Regensdorf,1982.
1984 ganze Siedlungen entstehen.
1987 erinnert wenig mehr an den Bauernweiler.
Die Strassenbauarbeiten an der Hurdäckerstrasse haben begonnen.
1/5

Mit der Bau- und Zonenordnung (BZO) der Stadt Zürich 1963 war der Rütihof der Bauzone zugewiesen worden. Doch lange bevor die kommenden Bauvorhaben durch Quartierpläne reguliert wurden, warf der Strassenbau Schatten voraus.
Bereits 1964 wurde der Ausbau der Frankentalerstrasse «zur Entlastung des Meierhofplatzes» beschlossen. Diese Umfahrung wurde von den Politikern zwar gelobt, die Bevölkerung blickte jedoch eher skeptisch auf die «gewundene Rennbahn», und bezweifelte eine Entlastung des Zentrums, wie zahlreiche Leserbriefe und Beiträge im «Höngger» jener Zeit belegen. Dennoch wurde das Projekt am 14. September 1969 an der Urne angenommen. Schon 1968 hatte die Stadt die Öffentlichkeit erstmals über die geplante «Überbauung Rütihof» informiert, wie der «Höngger» am 29. November berichtete. Im selben Jahr war der Grundeigentümerverein Rütihof mit dem Zweck gegründet worden, ebendiese Überbauung vorzubereiten. «Die Mitglieder dieser Gruppe verfügen an Land für eine Überbauung, die im Endausbau als Stadt von 10’000 Personen dastehen wird», schrieb der ungenannte Autor des «Hönggers». Und weiter: «Wir möchten (…) betonen, dass eine Überbauung von dieser für schweizerische Verhältnisse einmaligen Grösse, (…) verpflichtet». Man hoffe, dass es dem Verein gelinge, eine Musterstadt zu verwirklichen, die den gewohnten Rahmen in jeder Beziehung sprenge.
Wahrscheinlich als erster von der neuen Bauzone profitierte Schreiner Josef Berchtold, der im Osten den väterlichen Betrieb vergrössern wollte und zu diesem Zweck im Osten «in der Giblen», im Spickel Regensdorfer- und damals Rütihofstrasse, seine Schreinerei erstellte.
Da die neue Umfahrung, die Frankentalstrasse, die am 20. Dezember 1972, nach etwas mehr als zwei Jahren Bauarbeiten, eröffnet wurde, die Rütihofstrasse zerschnitt, wurde diese auf jener Seite der Frankentalerstrasse, auf der Berchtold sein Geschäft führte, in Naglerwiesenstrasse. Im selben Jahr eröffnete auch die Jugendsiedlung «Heizenholz» an der Regendorferstrasse. In den kommenden Jahren fokussierte die Berichterstattung im «Höngger» in erster Linie auf die Ereignisse im Quartierzentrum Höngg, doch im Hintergrund wurde auf privater Basis am Quartierplan Rütihof Nr. 458 weitergearbeitet. Die Stadt als Eigentümerin sowie wie vier Grundeigentümer als Vertretung der rund 20 Grundeigentümer*innen bildeten einen Ausschuss. Dass die Stadt im Rütihof überhaupt Land besitzt, hat sie der Migros zu verdanken. Diese wollte damals in der Herdern, an der Pfingstweidstrasse, wo heute das Migros-Hochhaus mit der Verteilzentrale steht, bauen. Das Grundstück gehörte aber der Stadt und die verlangte im Tausch ein dreimal so grosses Grundstück «ausserhalb» der Stadt. Die Migros kaufte darauf im Rütihof den «Hof Hubacher» und von August Geering 2,5 Hektaren Land, auf denen später ein Teil des Projekts Ringling geplant wurde und trat das Land im Tausch an die Stadt ab.

Tabula rasa und neue Strassen

Das ganze Gebiet im Rütihof lag damals bereits gemäss geltendem Zonenplan innerhalb der Bauzone, und in vielen, zum Teil tagelangen Sitzungen, wie sich Rütihof-Urgestein Ernst Geering erinnert, wurde alles Land auf- und in neuen Parzellen zugeteilt, so dass am Ende im Wesentlichen alle wieder gleich viel Land haben würden wie zuvor. Doch es war eine regelrechte Tabula rasa, wie sich auch Architekt Beat Kämpfen erinnert, dessen Vater sich damals stark gegen die geplante Überbauung engagierte, denn mitunter sollte ja jedes neue Grundstück direkt an einer Strasse zu liegen kommen und so mussten Grundstücke zum Teil gedreht werden, damit dies gewährleistet war. Auch die Strassen wurden in diesen Sitzungen geplant und die Zuteilung der Bruttogeschossflächen der neuen Grundstücke bestimmt, somit wussten alle Beteiligten, wie viel sie dereinst bauen dürften.
Zur Erschliessung des Gebiets war ursprünglich ein Ringstrassensystem vorgesehen, so dass die Geeringstrasse den Rütihof bis zur Rütihofstrasse durchschnitten hätte. Dagegen wehrten sich einige Rütihöfler vehement. Die Planer lenkten ein und man einigte sich auf ein sogenanntes Stichstrassensystem: Die Rütihofstrasse, die Geeringstrasse und die Strasse Im oberen Boden wurden zu Sackgassen mit Wendeplätzen.

Der «Quartierplan Nr. 458, Rütihof»

Als der Quartierplan Nr. 458 unterschriftsbereit war, weigerten sich zwei kleine Landbesitzer, diesen zu unterzeichnen, weshalb er öffentlich ausgeschrieben und danach im Grundbuch eingetragen wurde, inklusive der Landzuteilung nach BGF Bruttogeschossfläche, wie viel gebaut werden darf. Nach diesem Schlüssel wurden auch die Kosten für die Erschliessung aufgeteilt. Im Juni 1975 setzte der Stadtrat von Zürich per Beschluss den amtlichen Quartierplan «Nr. 458, Rütihof» fest, publizierte ihn im Juli 1975 und stellte ihn den betroffenen Grundeigentümern zu. Es gingen keine Rekurse ein, worauf der Stadtrat im Februar 1976 den Kanton ersuchte, den Beschluss zum Quartierplan «Nr. 458, Rütihof» zu genehmigen, was dieser per Regierungsratsbeschluss vom 21. April 1976 auch tat.
Die Strassen und Werkleitungen waren es, die dann als erstes zwischen 1980 und 1983 gebaut wurden. Bezahlen dafür mussten wie üblich die anliegenden Grundeigentümer*innen. Da der Quartierplan – in Abweichung von der üblichen Praxis – nicht auf einer wert- oder flächengleichen Neuzuteilung, sondern auf der Zuteilung von Bruttogeschossflächen basierte, wurde auch dieser Wert genommen, um zu berechnen, wie viel jeder und jede prozentual beizutragen hatte. Komplett unabhängig davon, ob ein Grundstück im Einzelfall überbaut oder weiter als Landwirtschaftsland genutzt werden sollte, die Erschliessung musste so oder so – wie bis heute üblich – finanziert werden.
Ernst Geering erinnert sich: «11,5 Millionen war der Kostenvoranschlag und elf Millionen hat der Bau der Rütihof-, der Geeringstrasse, des Stelzenackers und Im oberer Boden bis zum Kehrplatz in drei Etappen schlussendlich gekostet. Wir hatten in der Endabrechnung noch 1500 Franken übrig, es wurde gut gearbeitet». Doch die damalige Kostenaufteilung hat Folgen bis heute, mehr dazu in der Infobox.

Der «Quartierplan Nr. 485, Hurdäcker»

Der damals festgesetzte Quartierplan Nr. 458 Rütihof überlagerte teilweise das Gebiet Hurdäcker, den bis heute erhaltenen alten Dorfkern des Rütihofs.  Der Quartierplan Nr. 485, Hurdäcker, ist eine Ergänzung des Quartierplans Nr. 458, bei dem ein grösserer Landbesitzer seinerzeit nicht mitmachen wollte. Im Oktober 2001 leitete der Stadtrat auf dessen Antrag das Quartierplanverfahren für das gemäss Bau- und Zonenordnung der zweigeschossigen Wohnzone (W2) zugeordnete Gebiet ein. «Rund 110 zusätzliche Wohnungen könnten hier entstehen», hielt das Amt für Städtebau dann 2006 im Entwicklungsleitbild «Bauen im Dorfkern Hurdäcker» fest. Und weiter: «Für eine solche Entwicklung ist die Hurdäckerstrasse heute verkehrs- und infrastrukturtechnisch nicht genügend erschlossen». Stadt und Grundeigentümer*innen hielten in einem Leitbild fest, «dass der alte Weiler für das gesamte Quartier Rütihof erhaltenswürdig und wertvoll» sei und dass zukünftige Bebauungen Rücksicht auf den historischen Kern und den wertvollen Landschaftsraum nehmen sollen.
Am 14. Mai 2008 wurde der Quartierplan vom Stadtrat per Beschluss erstmals festgesetzt, doch einzelne Grundeigentümer*innen fochten ihn an. Zuerst vor dem Baurekursgericht und danach vor dem Verwaltungsgericht. Dieses schützte den Plan der Stadt in vielen Punkten, gab den Rekurrenten aber in zweien recht. Der Quartierplan wurde überarbeitet und den Beteiligten erneut vorgestellt. «Begehren um zusätzliche Korrekturen der Quartierplanunterlagen erfolgten keine», hält das stadträtliche Protokoll vom 14. Dezember 2011 fest, welches den Quartierplan Nr. 485 Hurdäcker festsetzt. Die Baudirektion des Kantons Zürich genehmigte ihn per Verfügung am 14. Juni 2012 ebenfalls und der Quartierplan wurde im Grundbuch eingetragen. Im Januar 2018 erfolgte schlussendlich die Bauplangenehmigung für die Erschliessung der Grundstücke beziehungsweise die Sanierung und der Ausbau der vorhandenen Strassen und Infrastrukturen, die derzeit im Gang ist.

Private zahlen am meisten

In einem Protokoll des Stadtrates vom Januar dieses Jahres ist festgehalten, dass für die Umsetzung des Quartierplans mit Gesamtkosten von rund 6,264 Millionen Franken gerechnet werden muss. Der Betrag wird zwischen den am Quartierplan beteiligten Grundeigentümer*innen und den beteiligten Stadtwerken aufgeteilt: Die Privaten tragen mehr als die Hälfte der Kosten, 3’619 Millionen Franken, für Strassenbau, neue Wasserleitungen und für die Sanierung der bestehenden Kanal- und Werkleitungen. Das ist ein stolzer Betrag, der kaum jemand einfach «in der Portokasse» liegen hat. Kommt hinzu, dass das Land, da nun erschlossen, im Vermögensteil der Steuererklärung mit einem viel höheren Wert berechnet wird. Beides zusammen führt dazu, dass einige Grünflächen überbaut werden – es dürfte fast von einem «müssen» geschrieben werden. So drückt es auch Architekt Beat Kämpfen, einer der Grundeigentümer, aus: «Da bleibt nur Bauen oder Verkaufen, doch das ist grundsätzlich auch richtig, denn man soll Bauzonen überbauen, um die Freihaltezonen zu schützen, das ist der Sinn eines Zonenplans». Geplant sind denn auch, gemäss Website der IG Pro Rütihof, an der Hurdäckerstrasse und an der Strasse Im oberen Boden sechs neue Mehrfamilienhäuser. Der Baustart ist ungewiss, denn noch sind Einsprachen gegen die Projekte hängig.

Text: Fredy Haffner
Recherche: Patricia Senn

Nachwirkungen bis heute
Dass damals mit dem «Quartierplan Nr. 458 Rütihof» die Erschliessungskosten gemäss Bruttogeschossflächen aufgeteilt wurden, wirkt bis heute nach: Gemäss Ernst Geering gab sich die Stadt Zürich damals mit nur 22’700 Quadratmetern Bruttogeschossfläche auf ihrem Grundstück zufrieden, obwohl ihr mehr zugestanden wäre. Doch so musste sie viel weniger an die Kosten für Strassenbau und Werkleitungen beitragen. Als dann der «Ringling» geplant wurde, sah die Stadt aber 36’000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche vor. Auch für das Nachfolgeprojekt des «Ringlings» wird mit mehr als den einst zugesagten 22’700 Quadratmetern gerechnet. Die Stadt stellt sich auf den Standpunkt, die unterdessen neu geschaffene BZO hebe den Quartierplan von 1976 auf. «Am 10. Januar 2018», so Geering, «hat der Stadtrat gesagt, die Anmerkung im Grundbuch über die Beschränkung der Bruttogeschossfläche werde aufgehoben. Alle, die damals gebaut haben, mussten sich an diese Bruttogeschossfläche halten und entsprechend für die Erschliessung bezahlen. Und jetzt hat die Stadt das Gefühl, sie kann sich darüber hinwegsetzen?». Geering hat Einsprache erhoben. Das Baurekursgericht lehnte die Einsprache ab. Im September 2018 ging die Beschwerde an die nächste Instanz, das Verwaltungsgericht. Bis dato kam noch kein Bescheid., «14 Monate», zählt Geering, «normalerweise müssen sie in sechs Monaten antworten». Wegen dieser Einsprache ist die weitere Planung, was auf der ehemaligen Baufläche des «Ringlings» gebaut werden soll, auf Eis gelegt. Weitere Artikel dazu auf www.hoengger.ch/archiv, Dossier «Ringling/Wohnen am Grünwald»

Quellen
– Staatsarchiv des Kantons Zürich
– Archiv Quartierzeitung «Höngger»
– Entwicklungsleitbild «Bauen im Dorfkern Hurdäcker», Amt für Städtebau, 2006

Bereits zu diesem Fokus-Thema erschienen:
Rütihof: Vom Weiler zum Satelliten-Quartier
Rütihof – Erinnerungen an einen Bauernweiler, beide in der «Höngger»-Ausgabe vom 21. November

0 Kommentare


Themen entdecken