Architektur
Wo Max Bill zu Hause war
Direkt beim Frankental liegt das ehemalige Wohnhaus des Künstlers Max Bill – das erste von ihm selbst realisierte Architekturprojekt.
6. Oktober 2021 — Dagmar Schräder
Wer sich für Architektur interessiert, kommt an diesem kleinen, auf den ersten Blick doch eher unscheinbaren Gebäude an der Limmattalstrasse nicht vorbei: Es handelt sich um das Atelierhaus, das der bekannte Künstler, Bildhauer und Architekt Max Bill anfangs der 30er-Jahre für sich und seine Familie als Wohnhaus und Arbeitsplatz erstellte.
Von Dessau nach Höngg
Der 1908 in Winterthur geborene Max Bill, von der Ausbildung her ursprünglich Silberschmied, begann bereits in seiner Teenagerzeit, sich mit Architektur, Bildhauerei, Grafik und Malerei zu beschäftigen. Von 1927 bis 1928 studierte er, animiert durch Vorträge, welche der Architekt Le Corbusier 1926 in Zürich hielt, zwei Jahre an der berühmten Kunstschule «Bauhaus» in Dessau, bevor er infolge Geldmangels seine Studien vorzeitig beenden und nach Zürich zurückkehren musste. Die neuartige Kunstströmung des Bauhauses, welche damals unter anderem Protagonisten wie Paul Klee und Wassily Kandinski lehrten, beeindruckte Bill jedoch nachhaltig. Die Vertreter des Bauhauses folgten dem Grundsatz, dass zwischen Handwerk und Kunst grundsätzlich kein Unterschied bestehe und diese beiden zu vereinen seien. Schönheit sei darüber hinaus, so die Maxime, das, was funktioniere. Bei Design und ihren Entwürfen verzichteten die Anhänger*innen des Bauhaus auf Schmuck und Ornament, wichtig war vielmehr einzig und allein die Funktion, getreu dem Motto: «Form follows function». Durch ihr Schaffen wollten die Mitarbeiter*innen des Bauhauses auch die gesellschaftlichen Unterschiede beseitigen – Hausbau sollte nicht mehr nur ein Privileg der Reichen sein, sondern auch weniger Bemittelten zur Verfügung stehen. Bill zählte seit den 30er-Jahren künstlerisch zu den Vertretern und Theoretikern der konkreten Kunst, welche stark mit geometrischen Formen und mathematischen Vorgehensweisen arbeitete.
Ein kleines Bauhaus im Frankental
Im Alter von 23 Jahren erwarb Bill gemeinsam mit seiner Frau Binia und mit Hilfe der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern ein Grundstück in der damals noch ländlichen Gemeinde Höngg, ausserhalb der Stadtgrenze, direkt beim Frankental. Zu dieser Zeit fuhr das Tram 13 lediglich bis zur Wartau, weiter war das Quartier noch nicht an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Für sein Grundstück entwarf Bill ein Wohn- und Atelierhaus. Dabei übernahm er vor allem die konzeptionelle und formale Planung, die konkrete Umsetzung überliess er weitgehend dem Architekten Robert Winkler. Der Bau des Hauses verlief relativ zügig. Wie den Erinnerungen Jakob Bills im Buch «Das Atelierhaus Max Bill 1932/33» zu entnehmen ist, wurde am 20. Oktober 1932 mit den Erdarbeiten für den Bau begonnen. Bereits am 4. April des darauffolgenden Jahres, sogar früher als ursprünglich geplant, zog das junge Ehepaar von der Goldbrunnenstrasse an die Limmattalstrasse, die damals noch Zürcherstrasse hiess.
Besonderheiten
Das Atelierhaus an der Limmattalstrasse wirkt mit seinen einfachen und geometrischen Formen sowie den klaren Strukturen ohne jegliche Schnörkel, seinem Satteldach und der durchbrochenen Fassade zunächst relativ unspektakulär und macht das Gebäude zu einem typischen Vertreter des Bauhaus-Stils. Wie auch viele der zur gleichen Zeit entstandenen Kunstwerke Bills ist die Fassade durch die Fenster und Öffnungen des Hauses zu beiden Seiten in gleichmässige Felder unterteilt. Das Gebäude besteht mit Untergeschoss, Erd- und Obergeschoss aus drei Stockwerken, wobei der Eingang sich an der Limmattalstrasse auf Strassenniveau befindet, die Loggia limmatseitig auf Gartenniveau. Im Erdgeschoss war ursprünglich das Atelier mit davon abgetrennter Dunkelkammer angesiedelt, das sowohl Max als auch Binia Bill für ihre Arbeiten benutzten – Bill als Architekt, Maler und Bildhauer, Binia als Fotografin. Das obere Stockwerk beinhaltete die Wohn- und Schlafräume, wobei Atelier und Wohnbereich nur durch eine offene Treppe voneinander abgegrenzt waren, so dass das «Haus zur Hauptsache aus einem zweistöckigen Atelier-Wohn-Schlafraum bestand», wie Max Bill selbst in einer Illustrierten aus dem Jahr 1976 erklärt.
Besonders war auch die Art und Weise, wie das Haus gebaut wurde. Bei der Planung seines Hauses beschäftigte sich Bill, wie der Monografie zu dem Atelierhaus zu entnehmen ist, «vor allem mit den ästhetischen Fragen der Industrialisierungs-Methoden im Bauen». So verwendete er vorfabrizierte, stockwerkhohe Betonplatten, um das Haus zusammenzusetzen – eine völlig neue Herangehensweise. Diese von Ingenieur Karl Kieser entwickelten «Steinplanken» bildeten die Tragestruktur des Hauses. Mit diesem «industriell» hergestellten Bausystem, erhoffte sich Bill «eine Verbilligung der Kosten und eine kurze Austrocknungszeit des Rohbaus» – oder, wie er selbst es 1976 formulierte: «Ich war entschlossen, nicht spektakuläre Bauten zu machen, sondern mich zu bemühen, wirtschaftlich vernünftig zu bleiben und keinerlei unnötige Ausgaben zu verursachen. Dieses moralische Prinzip führt zwangsläufig zu einer Ästhetik des Nützlichen, das als besonders puritanisch verschrien wird.»
Bewegte Geschichte
Das Haus ist jedoch nicht nur architektonisch besonders, es kann auch historisch auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Die Kriegsjahre waren auch in der Schweiz spürbar. So wurde 1940 nachträglich ein Cheminée eingebaut, um Heizöl sparen zu können. In der Monographie zum Atelierhaus erinnert sich Jakob Bill, der Sohn des Paares, der 1942 geboren wurde, zudem an schwarze Vorhänge und Verdunkelungen. Auch und gerade während der Kriegsjahre gingen zahlreiche nationale und internationale Künstler*innen und Freund*innen des Ehepaars Bill im Haus ein und aus. Manche suchten in der neutralen Schweiz Zuflucht vor den Nationalsozialisten – so etwa Sophie Täuber-Arp und ihr Mann Hans Arp, die vor dem Einmarsch der Nazis in Grasse in die Schweiz flüchteten. In der Nacht zum 13. Januar 1943 kam Täuber-Arp im Hause Bills auf tragische Weise durch einen Unfall ums Leben, weil sie in der Nacht in einem engen Raum einen Kanonenofen anheizte und an einer Kohlenmonoxydvergiftung erstickte.
Heute noch im Familienbesitz
35 Jahre lebte die Familie zu dritt gemeinsam im Haus, hier entstanden viele der bekannten Plastiken und Kunstwerke Bills. 1968 dann erfolgte der Umzug in das weit grössere und ebenfalls von Bill selbst entworfene und erstellte Atelierhaus in Zumikon. Das Gebäude in Höngg stand in der Folge einige Zeit leer, bis es von der Familie vermietet wurde. 1972 schliesslich zog Jakob Bill mit seiner Frau Chantal in das Höngger Haus ein, 1979 überschrieb Binia Bill das Haus auf ihren Sohn, welcher es im Herbst 1979 nach den Plänen seines Vaters auf der Südseite erweiterte, um mehr Platz für seine nun fünfköpfige Familie schaffen zu können. Bis heute ist das Haus im Familienbesitz und wird von Max Bills Enkelin bewohnt.
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