«Wir waren frei»

Wie sah es früher aus in Höngg? Wo ging man zur Schule, was machten die Jugendlichen in der Freizeit? Wir werfen einen Blick zurück in die Vergangenheit mit Vreni Noli und Hansruedi Frehner, die beide in Höngg aufgewachsen sind.

Vreni Noli verbrachte die meiste Zeit als Kind im wunderschönen Garten. Hansruedi Frehner mit einem Bild von sich, als er zehn Jahre alt war. (Fotos: Aline Fuhrer)

Wenn der 80-jährige Hansruedi Frehner an seine Kindheit in Höngg zurückdenkt, so kommen ihm nur gute Erinnerungen in den Sinn. Aufgewachsen ist er Am Wasser und nennt sich selbst ein «Wässeler», heute wohnt er am Hönggerberg. «Von den Armen zu den Wohlhabenderen», sagt er dazu schmunzelnd. «Höngg war früher bürgerlich. Aber während Am Wasser die Arbeiter wohnten, waren es weiter oben die Lehrer und Ärzte.»

Auf die Frage, wie Höngg früher ausgesehen hat, antwortet Frehner: «Es hatte viele Schleichwege, viele Wiesen und Gärten. Ausserdem hatten wir um die 28 Beizen.» Die Anzahl der Läden war ebenfalls grösser. Im Zentrum gab es Lebensmittelgeschäfte wie Läbis, Merkur, Blauer Konsum und viele Metzger, Milchläden, Papeterien und Bäcker. «Wir lebten früher gesünder. Man hat das gegessen, was es gerade gegeben hat, also keine Sachen aus dem Ausland beispielsweise», sagt er.

Hinzu kam, dass man die Strecken zu Fuss zurücklegen musste, da der öffentliche Verkehr noch nicht so stark ausgebaut war. Auch die Mentalität war damals ganz anders: «Weniger war mehr.» Nicht jeder Haushalt hatte damals ein Telefon, da musste man dann beim Nachbar anklopfen. «Man konnte anständig miteinander reden. Heutzutage grüsst man nicht mehr, jeder hat Stöpsel in den Ohren und glotzt auf sein Handy.»

Hinzu kam, dass sich früher alle beim Namen kannten. «Wir waren frei, hatten eine gute Kameradschaft und schauten einander beim Sprechen in die Augen.» Heute sei Höngg viel anonymer geworden. Und mit den «Geräten» vereinsame man zunehmend.

Die Bubenkriege

Und welche Hobbys verfolgten die Jugendlichen damals? «Zu unserer Zeit hatte das Quartier mit dem Nachbarquartier Streit, also wir Höngger mit den Buben von Altstetten.» Während dieser sogenannten Bubenkriege getraute sich keiner alleine über die Quartiersgrenze. Auf der alten Hönggerbrücke trafen die beiden Fronten aufeinander. «Aber wir sagten uns meistens nur wüste Worte.»

Frehner spielte mit seinen Kameraden oft auf der Strasse Räuber und Polizei, vom Wasser hinauf bis zum Hönggerberg. «Wenn die Kirchenuhr am Mittag schlug, pausierten wir und gingen fürs Mittagessen nach Hause.» Im Winter wurde im «Müseli» oben geschlittelt, da es zu Frehners Zeit noch ordentlich Schnee gegeben hat.

Ganz generell meint Frehner, dass man früher dem Gegenüber mehr Achtung gezeigt habe, als es heute der Fall sei. So habe man einander stets gesiezt und die Lehrer waren starke Autoritäten. «Heute kommen die Mädchen geschminkt in die Schule, das kannten wir früher gar nicht», fügt Frehner an. Für die Entwicklung von Höngg wünscht sich Frehner eins: «Es wäre schön, wenn man wieder mehr miteinander zu tun hätte. Dass man innehält und miteinander kommuniziert.»

Mufflige Turnsäcke und ein strenger Abwart

Auch Vreni Noli ist in Höngg gross geworden und wohnt heute noch im selben Haus wie als kleines Mädchen. «In unserem grossen Garten verbrachte ich die meiste Zeit, zusammen mit den Nachbarskindern beim Zelten, Olympiaden-Veranstalten oder Indianerli-Spiel.» Noli besuchte das Schulhaus Bläsi. Ein strenger Abwart führte die Pausenaufsicht; netterweise duldete er im Winter die langen «Schlifenen» bis hinunter zu den Kastanienbäumen.

«Ich habe noch heute den Geruch von gewichsten Holzböden und von muffligen Turnsäcken in den Spinden in der Nase», sagt Noli. «Die Schüler vom Wasser kamen damals sogar im Winter mit kurzen Hosen und handgestrickten Strümpfen in die Klasse», erinnert sie sich. Das waren die Troublemakers, die vom Lehrer «Tatzen» bekamen.

Schwimmunterricht hatten die Kinder im Waidbad, mitten im Wald, egal bei welchem Wetter. «Wir froren, geheizt wurde das Wasser nämlich nicht.» Noli hatte schon früh den Wunsch, selber einmal Primarschullehrerin zu werden. Im alten Bläsi besuchte sie Flötenstunden und absolvierte dort ihr erstes Lehr-Praktikum.

Mit der Zeit habe sich in Sachen Schulpolitik einiges geändert. So hatte Noli auch samstags noch Schule gehabt. «Heute geht man viel stärker auf die einzelnen Kinder mit individuellen Bedürfnissen ein», sagt sie. Noli trifft sich auch regelmässig an Klassentreffen mit ihren Sek-Kamerad*innen. «Der Lehrer Philipp F. lehrte uns einen Zusammenhalt, der ein Leben lang bestehen bleibt.»

Beim Bäcker ein Weggli kaufen

«Manchmal hatten wir Kinder einen kleinen Batzen übrig und holten uns ein Weggli oder einen Fünfermocken beim Bäcker gleich neben der Schule. Das war ein Luxus für uns», erzählt Noli. Sie mag sich auch an ein kleines Mercerie-Lädeli am Meierhofplatz erinnern, das Büstenhalter und Korsetts verkauft hat. Und das in bis zur Decke aufgestapelten und vergilbten Schachteln. Daneben gab es den Milchhändler und den «Schrübli-Meier». «Alles gab es bei uns im Dorf», sagt Noli. Heute bedauert sie, dass all diese kleinen Geschäfte verschwunden sind.

Auch die Verkehrssituation in Höngg hat sich laut Noli rasant entwickelt. Man müsse auf den Strassen viel mehr aufpassen: «Ich merke das, wenn ich mit meinen Enkeln unterwegs bin. Da müssen wir sehr vorsichtig beim Strassenüberqueren sein, zudem gehört ein Ball unter den Arm!» Sie bemerkt weiter, dass die Bevölkerung in Höngg mit den unzähligen Neubauten enorm zugenommen habe, dadurch aber alles anonymer geworden sei.

Im Grossen und Ganzen wohnt Vreni Noli gerne in Höngg. Dadurch, dass sie aktives Mitglied im Turnverein und Frauenverein ist, kennt sie viele Leute aus dem Quartier. «Anderswo würde ich mich sehr fremd fühlen», sagt sie.

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