Sport
«Wir möchten den Breitensport für Behinderte fördern»
Die in Höngg wohnhafte Lehrerin und individualpsychologische Beraterin Marianne Urfer Widmer ist Präsidentin des Behinderten-Sport Clubs Zürich (BSCZ). Im Gespräch mit dem «Höngger» erzählt sie von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, dem Stellenwert des Behindertensports in der Gesellschaft und von den Möglichkeiten, die sich Menschen mit körperlichen Einschränkungen in sportlicher Hinsicht bieten.
8. November 2012 — Marcus Weiss
Marianne Urfer, Sie sind Präsidentin des Behinderten-Sport Clubs Zürich (BSCZ) und wohnen in Höngg. Könnte man das Quartier Ihrer Einschätzung nach als vorbildlich bezeichnen, wenn es um die Belange von Menschen mit körperlichen Einschränkungen geht?
Ich finde Höngg ideal, in sportlicher Hinsicht speziell auch wegen seiner Schwimmbäder, die sehr behindertenfreundlich sind. Die Leute fühlen sich wohl hier, das merke ich auch anhand unserer im Quartier wohnhaften Clubmitglieder deutlich.
Welches wäre der Hauptwunsch, den Sie in Bezug auf Höngg anbringen würden, damit der Zugang zu sportlicher Betätigung für noch mehr Menschen möglich wird?
Es wäre schön, wenn unser Club überall dort, wo Sportvereine aufgelistet sind, auch Erwähnung finden würde. Wir sind zwar ein Verein, der für die ganze Stadt Zürich zuständig ist, sein Sekretariat aus organisatorischen Gründen aber in den Räumlichkeiten von Plusport in Volketswil hat. Wir sind in den Quartieren der Stadt fest verankert, gerade auch in Höngg.
Gibt es in Höngg weitere Vereine, die Behindertensport betreiben?
Nein, es gibt in der Stadt Zürich nur den BSCZ. Anders als dem Stadtverband, der den Leistungssport unterstützt, geht es unserem Club darum, den Breitensport für Behinderte zu erschliessen. Viele Mitglieder sind mehrfach behindert, und es wäre ihnen nicht möglich, den Sport leistungsorientiert zu betreiben. Wir haben aber immer wieder junge Mitglieder, die so rasche Fortschritte machen, dass sie in andere, «reguläre» Sportvereine übertreten können.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den etablierten Sportvereinen?
Leider sind wir da ganz separat. Die Hemmschwelle, sich mit Behinderten zu befassen, ist in der Bevölkerung immer noch vorhanden. Ungewohntes macht den Leuten Angst. Ausserdem wäre das Praktische schwierig bei einer Zusammenarbeit, beide Seiten drohten zu kurz zu kommen.
Welche populären Sportarten kommen Ihnen spontan in den Sinn, deren Potential noch nicht ausgeschöpft ist, wenn es um die mögliche Ausübung durch körperlich oder geistig behinderte Personen geht?
Diese Frage stellt sich für uns kaum, denn es ist in Realität so, dass unsere Mitglieder oft zu grosse Einschränkungen haben, um «normale» Sportarten ausüben zu können. Die Jungen, die das könnten, kommen meist irgendwo anders unter, oder aber sie sind an sportlicher Betätigung gar nicht interessiert. Es gibt, wie unter nicht behinderten Jugendlichen, auch solche, die in ihrer Freizeit lieber irgendwo in den Ausgang gehen. Sie sind selbst nicht behindert.
Auf welchem Weg sind Sie zum Behindertensport und letztlich zu Ihrer heutigen Funktion gekommen?
Vor etwa 16 Jahren besuchte ich mit meinem Mann einen Tanzkurs für argentinischen Tango. Dort wurde mein Mann gefragt, ob er einem Blinden neue Jazz-Stücke beibringen könnte. So entstand ein erster Kontakt zu Behindertenorganisationen. Später suchte ich nach einem Angebot für Schwimmgymnastik, da ich unter Rheuma leide, und landete schliesslich als Aussenstehende beim Sitzvolleyball. Mein Engagement, dass diese Gruppe möglichst lange erhalten blieb, bildete die Grundlage für meine «Karriere» beim BSCZ.
Stimmt die Einschätzung, dass im Behindertensport vor allem Menschen mitmachen, die durch einen Unfall eine Verletzung mit bleibender Behinderung erlitten haben, aber bereits vorher sportlich aktiv waren?
Im Leistungssport ist dies ganz klar so. Unser Club setzt deshalb gegenteilige Schwerpunkte und versucht Leute, die von Geburt oder früher Kindheit an unter einer Behinderung leiden, zu sportlicher Betätigung zu motivieren. Dies ist nicht immer ganz einfach, bringt aber sehr schöne Erfolge mit sich. Eine zerebralgelähmte Frau, die als Kind Kopf voran in eine Wassertonne stürzte und deshalb grosse Angst vor Wasser hatte, lernt nun bei uns im Verein Schwimmen und geniesst das nasse Element in vollen Zügen. Es gibt viele solcher Geschichten, die ans Herz gehen.
Wie wichtig ist im Verein der soziale Aspekt?
Dieser ist mindestens so wichtig wie der sportliche Teil. Aktives Mittun in einem Verein hilft, die Leute aus der Isolation zu holen. Es entstehen bei den BSCZ-Aktivitäten regelmässig wertvolle Freundschaften. Dass man dabei erst noch etwas für seine körperliche Gesundheit tun kann, verdoppelt sozusagen den positiven Effekt.
Wird es tendenziell eher einfacher oder schwerer, Sponsorengelder für diese Art des Sports zu generieren?
Es wird ganz klar schwieriger. Sponsorengelder bekommt man praktisch nur, wenn man die Firmeninhaber persönlich kennt. Unser Verein lebt hauptsächlich von Mitgliederbeiträgen, staatlichen Subventionen, der Unterstützung von Swisslos und von grosszügigen privaten Spendern. Auch einige Vereinsmitglieder zahlen weitaus mehr als die regulären Beiträge. Wir wären jedoch nach wie vor sehr froh um weitere Sponsorengelder. Wir benötigen viele Helfende, da wir bei Bedarf Eins-zu-Eins-Betreuung bieten.
Lukas Weber, der mit dem Handbike diesen Sommer das zweite Mal an den Paralympics teilgenommen hat, berichtete im Gespräch mit dem «Höngger», dass die Wertschätzung bei den Zuschauern spürbar gestiegen sei und man ähnlich umjubelt wurde wie ein erfolgreicher Olympiateilnehmer. Profitiert davon auch der Breitensport?
Leute, die Medaillen gewinnen, bekommen ganz klar mehr Jubel als früher, was mich für die Sportler sehr freut. Wenn es aber um den Breitensport geht, muss man immer noch sehr kämpfen, damit man nicht vergessen geht. Unser Verein sucht beispielsweise verzweifelt nach Vorstandsmitgliedern. Jedes freiwillige Engagement ist im Behinderten-Breitensport höchst willkommen und notwendig, damit es in den Vereinen weitergehen kann.
Wann steht das nächste Mal in der Region ein Anlass bevor, an dem sich Interessierte einen Einblick in den Behindertensport verschaffen können?
Man kann in unserem Verein jederzeit mit den Leitern Kontakt aufnehmen und schnuppern kommen. Die Sportarten, die in der Limmatstadt vom BSCZ angeboten werden, umfassen gegenwärtig Schwimmen, Turnen, Torball und Badminton. Bezüglich Wettkampfsport steht im nächsten Sommer wieder der Torball-Wettkampf der Blinden und Sehbehinderten in der Agenda, ein internationales Turnier, das meist in Adliswil durchgeführt wird. Die Torballer haben unter dem Jahr viele – auch internationale – Freundschaftsspiele.
Kontakt: Behinderten-Sport Club Zürich, Chriesbaumstrasse 6, 8604 Volketswil, www.bsczuerich.ch, Telefon 044 908 45 38.
0 Kommentare