Wildschwein-Begegnung ist kein Grund zur Aufregung

Am Informationsabend von Grün Stadt Zürich zum Thema «Wildschweine in der Stadt» erschienen rund 140 Besucherinnen und Besucher. Sie erfuhren alles Wissenswerte über die intelligenten, sozialen Tiere.

Ein Schnappschuss vom Mai 2011: Frischlinge auf dem Hönggerberg kreuzen den Weg des Fotografen.
Dr. Hannes Geisser und Erwin Nüesch (von links) erzählten Spannendes über Wildschweine.
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Der Saal des Hotels Kronenhof in Affoltern war fast bis auf den letzten Platz besetzt, als Karin Hindenlang, Leiterin Naturförderung bei der Stadt Zürich, das Publikum begrüsste. Insgesamt vier Wildhüter, darunter Referent Erwin Nüesch vom Gebiet Zürich Nord, schauen in den Wäldern zum Rechten. Als erster Referent erzählte der Biologe Dr. Hannes Geisser, Wildschweinexperte und Leiter des Naturmuseums Thurgau, von den stattlichen Tieren. «Besonders in ihrem dicken Winterkleid wirken sie relativ gross, doch auch sonst sind die Huftiere die zweitgrössten Säugetiere in unserem Land nach dem Hirsch.» Wildschweine können in Gefangenschaft bis zu 16 Jahre alt werden, ihr durchschnittliches Höchstalter beträgt etwa fünf bis sieben Jahre, die durchschnittliche Lebenserwartung in freier Natur jedoch nur gerade zwei bis drei Jahre. Sie gehören zu den weltweit am weitesten verbreiteten Säugetieren und sind in Nordafrika genauso zu finden wie im tropischen Regenwald oder eben auf dem Hönggerberg.

Anpassungsfähig und mit wenig zufrieden

«Diese Tiere sind wahre Lebensraumgeneralisten, vergleichbar etwa mit dem Menschen, dem Fuchs oder der Ratte: Sie alle passen sich an ihren Lebensraum optimal an und essen alles.» Da Wildschweine Jahrtausende lang gejagt wurden, hat sich eine Scheu vor Menschen entwickelt, die dazu führte, dass sie heute in hiesigen Breitengraden vor allem dämmerungs- und nachtaktiv sind. Wildschweine sehen sehr schlecht, deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn sie im ersten Moment bei einer Begegnung stehenbleiben. «Der Geruchssinn, der Tastsinn mit dem empfindlichen Rüssel und das Gehör sind jedoch sehr gut ausgebildet, deshalb kommen die anpassungsfähigen Tiere gut durch. Sie können zudem schwimmen, klettern, springen und graben», so Hannes Geisser. «Wildschweine sind nicht einfach ein ‹Sauhaufen›, sondern sie leben in einer starken sozialen Struktur.» Da sie so lernfähig und scheu seien, liessen sie sich kaum zählen. «In den letzten 20 Jahren vermehrte sich ihr Bestand aber stark: Ursache dafür sind die grosse Anpassungsfähigkeit, keine natürlichen Feinde und wärmeres Klima, was ein reichhaltigeres Nahrungsangebot zur Folge hat», so der Experte.

Verhaltensregeln sind einzuhalten

«Ganz wichtig ist, sich von Wildtieren aller Art, also auch von Wildschweinen, fernzuhalten und sie nicht zu belästigen, indem man im Unterholz nach ihnen sucht», betonte Erwin Nüesch, Wildschonrevier-Aufseher der Stadt Zürich. Er sähe sich übrigens weniger als Jäger, sondern als «Anwalt der Tiere». «Solange wir die Tiere in Ruhe lassen, haben wir nichts zu befürchten. Ich arbeite zudem mit Landwirten zusammen, damit möglichst wenige Schäden auf Feldern angerichtet werden. Information und Aufklärung sind sehr wichtig.» Felder, zum Beispiel mit Winterweizen, würden nicht grundlos umgegraben, sondern weil beim Ernten des zuvor angepflanzten Mais einige Maiskolben liegen blieben. Dasselbe passiere mit dem Fallobst. «Dies sind sozusagen gedeckte Tische für Wildschweine. » Er empfiehlt deshalb den Bauern, die Maiskolben aus den abgeernteten Feldern zu entfernen. «Wir Wildhüter sind hier, um Privaten, Bauern und Interessierten in Bezug auf Wildtiere zu helfen. Wer Fragen hat, kann sich immer an uns wenden.»

Grundlos greift kein Wildtier an

Ganz wichtig ist es Erwin Nüesch, zu sagen, dass die Tiere keinen Menschen grundlos angreifen: «Wenn man sie in Ruhe lässt, tun sie einem überhaupt nichts. Da sie starke Angst vor uns Menschen haben, ist ein Angriff der letzte Ausweg für sie – nämlich, dann wenn sie sich oder ihre Jungtiere bedroht sehen. Auch wenn sie verletzt sind, ist Vorsicht geboten, denn sie sind sehr wehrhaft.» Richtig handelt, wer beim Antreffen eines verletzten Wildtieres sich nicht nähert, sondern sofort die Polizei über die Notfall-Nummer 117 anruft, die dann ihrerseits einen der städtischen Wildhüter aufbietet. Seit dem Jahr 2011 würden auf dem Hönggerberg regelmässig Wildschweine gesichtet, momentan gäbe es drei Rotten mit insgesamt 50 bis 60 Tieren, die im Gebiet Zürich–Regensdorf– Oberengstringen und Unterengstringen unterwegs seien. «Sie bewegen sich innerhalb eines Radius von bis zu zehn Kilometern. Zum Vergleich: Der Aktionsradius eines Rehs beträgt rund einen Kilometer. Das Leben der Wildschweine besteht vorwiegend aus Nahrungssuche. Als Allesfresser verschmähen sie auch die liegengelassene Cervelat- Wurst bei der Grillstelle nicht. Der Wald werde immer mehr zu einer 24-Stunden-Freizeitarena für Menschen: «Deshalb müssen Regeln eingehalten werden, wie diese, keinen Abfall herumliegen zu lassen», sagt Erwin Nüesch. Zudem habe sich ein regelrechter Wildschwein-Tourismus entwickelt: Mit Nachtsichtgeräten seien Private nachts unterwegs, um einen Blick auf die Borstentiere zu erhaschen, und würden dabei gar «harassenweise Rüebli und Äpfel im Wald verteilen» und schon mal dem Bauern mit dem Auto ins Feld fahren. Dadurch werden alle Wildtiere – nicht nur die Wildschweine – gestört, sie leiden unter Stress und es kommt zu Flurschäden. Als Schlusssatz sollte man sich dies zu Herzen nehmen: «Ein Wildtier soll ein Wildtier bleiben. Wenn Sie per Zufall einmal ein Wildschwein sehen, so ist das kein Grund, in Panik zu geraten. Geniessen Sie für einen kurzen Augenblick das Erlebnis und ziehen Sie sich dann ruhig zurück.»

Kleine Wildschwein-Kunde
Keiler: männliches Wildschwein, 38 bis 74 kg, Körperlänge ca. 108 bis 139 cm, Schulterhöhe ca. 65 bis 85 cm.
Bache: weibliches Wildschwein, 35 bis 53 kg, Körperlänge, Schulterhöhe ca. 63 bis 76 cm.
Frischling: Junges Wildschwein bis etwa zehn Monate. In einem Wurf sind etwa fünf bis acht Jungtiere.
Rotte: Familienverband mit Bachen und Frischlingen, Keiler sind Einzelgänger. Die Leitbache führt die Gruppe und ist verantwortlich für deren Wohlergehen.
Spur: Siegel, Kot: Losung.
Verhaltensregeln:
– Wege nicht verlassen, auch keinen Trampelpfaden folgen.
– Hunde nicht von der Leine lassen, auf Flexi-Rollleinen oder Schleppleinen (im Fachhandel erhältlich) zurückgreifen.
– Jegliche Gewöhnung von Wildtieren an Menschen vermeiden. Weitere Informationen gibt es unter der Google-Suche «Wildschweine Stadt Zürich».