«Wie ein Puzzle mit der Schwerkraft»

Der Höngger Greg Jagassar war ursprünglich Touristenguide in Kanada. Doch in der Schweiz hat er eine neue Leidenschaft gefunden: das Balancieren von Steinen. Auch Musik spielt eine grosse Rolle in seinem Leben.

Im Balancieren findet Greg Jagassar «peace, calmness and presence». (Foto: zvg)

Geboren und aufgewachsen bin ich fernab von Höngg, genauer gesagt in Winnipeg, Kanada. Dort habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht und nach dem Schulabschluss eine Ausbildung im Bereich «Adventure Tourism» absolviert. Zu meinen Jobs im Bereich des Abenteuertourismus gehörte unter anderem die Durchführung von Hundeschlittentouren mit Touristen. Zusatzgeld habe ich ausserdem dadurch verdient, dass ich Wohnungen gestrichen habe. Schon damals war die Musik ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben – zunächst als Hobby, dann aber auch als Nebenjob. Ich habe Schlagzeug gespielt und unterrichtet und immer wieder kleinere Musikevents und Jamsessions organisiert.

Ohne Ausbildung geht nichts

Im Jahr 2009 bin ich meiner Reiseliebe in die Schweiz gefolgt und habe eine Familie gegründet. Beruflich hatte ich eigentlich geplant, auch hier als Touristenguide oder Maler tätig zu werden, doch schnell merkte ich, dass ohne die passende Ausbildung nur wenig möglich ist. Deswegen habe ich zunächst einen Aushilfsjob in einer Möbelfabrik angenommen, bis mir eine Freundin eine Anstellung in einer Informatikfirma vermittelt hat. Ich hatte zwar wenig Ahnung davon, doch mit Learning by Doing bin ich ziemlich gut über die Runden gekommen. So gut, dass ich auch heute hauptberuflich in diesem Bereich tätig bin, mittlerweile bei der Helvetas.

Gleichzeitig aber habe ich mich immer auch intensiv um meine Projekte gekümmert. Das erste davon startete ich, weil ich merkte, wie schwierig es ist, in Zürich neue Kontakte zu knüpfen. Also setzte ich mich mit einer Djembé an den See, begann zu musizieren und fragte alle, die mit einem Instrument vorbeikamen, ob sie Lust auf eine Jamsession hätten. Das funktionierte super – und daraus ist ein Projekt entstanden, das bis heute Bestand hat: der «Zurich Sun Jam». Aus der Facebook-Gruppe mit mir als einzigem Mitglied ist mittlerweile eine Community mit rund 3000 Teilnehmenden geworden.

Nach Corona kam mir gemeinsam mit einem Bekannten eine neue Idee: «Drum and Dance Zurich». Während des Lockdowns hatten wir uns regelmässig in einem Proberaum getroffen, um zu jammen. Diese Musik und die Leidenschaft dahinter wollten wir nun, nach dem Ende des Lockdowns, raustragen in die Welt, um möglichst alle daran teilhaben zu lassen. Also begannen wir einfach damit, auf dem Sechseläutenplatz zu trommeln.

Auch daraus ist eine grössere Bewegung geworden, eine Art «Guerilla Dance Event». Wir treffen uns alle ein, zwei Monate, auf dem Sechseläutenplatz oder auch mal auf dem Üetliberg, um gemeinsam zu musizieren und zu tanzen. Es ist berührend zu sehen, wie die Musik jeden mitreisst, ob jung oder alt, im Anzug oder eher alternativ. Auch die Leute, die eigentlich gar nicht tanzen wollen oder denken, dass sie es nicht können, werden von den Rhythmen mitgerissen und müssen sich einfach bewegen.

Es sieht fast unmöglich aus – und steht doch: Greg Jagassar beim Balancieren am Zürichsee. (Foto: zvg)

Ein «Hippiekram»?

Zu meiner jüngsten Leidenschaft bin ich rein zufällig gekommen. Ich war damals mit meiner Familie in den Ferien, als meine Partnerin einen Wettbewerb startete: Wer es schaffte, mehr Steine aufeinanderzustapeln, durfte sich vom anderen das Mittagessen servieren lassen. Ich nahm die Herausforderung an, gewann den Wettbewerb – und war zu meiner eigenen Überraschung augenblicklich süchtig nach dieser Tätigkeit. Wenn ich früher mal Leuten begegnet bin, die Rock Balancing gemacht haben, hatte ich eigentlich kein grosses Verständnis dafür, sondern dachte mir vielmehr: «Was ist denn das für ein Hippiekram?»

Doch als ich selbst anfing, Steine aufzuschichten, merkte ich, wie stark mich diese Tätigkeit in ihren Bann zog. Steine zu balancieren, das ist wie ein Puzzle mit der Schwerkraft. Jeder Stein muss an drei Punkten mit dem darunterliegenden verbunden sein, dann steht das Gebilde, auch wenn es noch so abenteuerlich aussieht. Das ist eine sehr vergängliche Kunst: Sobald ich einen Turm fertiggestellt habe, zerstöre ich ihn wieder.

Mittlerweile kann ich sagen, dass mir dieses Hobby mehr gibt als die Musik. Denn Balancieren, das bedeutet für mich «peace, calmness and presence», das findet man in der Musik nicht immer. Um die Steine ins Gleichgewicht zu bringen, muss man sich voll fokussieren, für einmal das ewig rotierende Gehirn abschalten. Das ist wie ein meditativer Zustand. Ich kann bis zu acht Stunden an einem Kunstwerk arbeiten. Manchmal aber geht es gar nicht – dann merke ich, dass ich mit meinen Gedanken mal wieder ganz woanders bin. Anfangs war es schwierig für mich, den Kopf auszuschalten, mittlerweile bin ich ziemlich geübt darin. Mir hilft tiefes Durchatmen, so lange, bis der Kopf Ruhe gibt.

Wettkampf in Schottland

Hauptsächlich mache ich das Steinbalancieren für mich selber, doch es gibt sogar Wettbewerbe in dieser Disziplin. In diesem Sommer hatte ich die einmalige Gelegenheit, die Schweiz bei «European Land Art Festival & Stone Stacking Championships» im schottischen Dunbar zu vertreten. Da sind Kunstschaffende aus ganz Europa in verschiedenen Disziplinen gegeneinander angetreten – so ging es etwa um das Bauen des grössten Turms, das Balancieren unter Zeitdruck oder auch besonders kunstvolle Skulpturen.

Zum Sieg hat es leider nicht ganz gereicht, da war auch ein wenig Pech mit ihm Spiel. Aber der Event war eine enorm bereichernde Erfahrung für mich. Es war wunderbar, Gleichgesinnte zu treffen und sich inspirieren lassen zu können.

Aufgezeichnet von Dagmar Schräder

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