Wettstreit der Wortakrobaten

Bei der ersten Höngger Poetry-Slam-Night am 25. November im Saal des Restaurants Desperado begeisterten acht Poetinnen und Poeten ihr Publikum.

Die Finalisten der ersten Poetry-Slam-Night in Höngg.
Der Sieger der Poetry Slam Night in Höngg Marco Gurtner.
Rhea Seleger und Saida Garouch an der Poetry Slam Night in Höngg.
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Poetry-Slam-Wettbewerbe sind schon längst eine feste Grösse in allen kulturell bedeutenden Städten – einzig Höngg war bis anhin noch nie Gastgeber einer derartigen Veranstaltung. Glücklicherweise änderte sich dies am 25. November endlich, als auf Einladung des Forums Höngg acht Künstlerinnen und Künstler im grossen Saal des Restaurants Desperado ihr Können unter Beweis stellten und um die Gunst des Publikums wetteifern durften.

Jugendliche Nachwuchsdichterin

Geleitet wurde der Wettstreit von Rhea Seleger, selbst Poetry-Slammerin, die an diesem Abend die Moderation übernahm. Sie begrüsste zunächst die zahlreich erschienenen Zuschauerinnen und Zuschauer und machte sie mit den Spielregeln des Slams vertraut, bevor sie Saida Garrouch die Bühne überliess, welche als Ehrengast den Abend eröffnen durfte. Die 14-jährige Schülerin der dritten Klasse der Sekundarschule Lachenzelg hatte sich gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern im Deutschunterricht mit dem Thema Poetry-Slam auseinandergesetzt und sich selbst daran versucht, einen eigenen Text zu verfassen und vorzutragen. Saida war dabei von den Lehrpersonen sowie ihren Kolleginnen und Kollegen ausgewählt worden, ihr Werk an der Slam-Night zu präsentieren. «Zuerst», so erklärte sie ihrem Publikum augenzwinkernd, «hatte ich gar keine grosse Lust aufs Schreiben, als wir in der Schule dieses Thema behandelten». Dann aber habe sie gemerkt, dass sie ja völlige Freiheit darin habe, einen Text nach ihrem Geschmack zu verfassen und Gefallen an der Aufgabe gefunden. Mutig und ohne Scheu präsentierte sie das Ergebnis dieses kreativen Prozesses, einen Essay, in dem sie sich mit ihrer Lieblings-TV-Serie «Naruto» auseinandersetzte. Mit ihrer lebhaften und gelungenen Performance bewies sie gleich zu Beginn des Abends, dass es beim Poetry-Slam nicht nur um das Vorlesen, sondern auch um die darstellerischen Elemente der Präsentation geht.

Selbstverfasste Texte, egal welcher Form und Stilrichtung

Anschliessend traten die kreativen Disputanten jeweils in Zweierpaarungen gegeneinander an. Jeder der beiden Kontrahenten trug zu diesem Zweck einen selbst verfassten Beitrag vor, woraufhin das Publikum mit seinem Applaus zu entscheiden hatte, welcher der beiden in die nächste Runde kommen sollte. Dabei durfte es sich um Texte der unterschiedlichsten Stilrichtungen handeln – Gedichte, Geschichten, Gedanken, Erzählungen oder auch nur Satzfragmente – Bedingung war lediglich, dass der Vortrag nicht länger als sechs Minuten dauerte. Dem Publikum schärfte Seleger ein, dass der Wettbewerb unter der Prämisse «respect the poets» durchgeführt werde, was bedeute, dass etwaige Missfallensäusserungen wie Buh-Rufe nicht gestattet seien, sondern sich das Missfallen lediglich durch einen schwächeren Applaus ausdrücken dürfe. Gemeinsam mit dem Publikum erarbeitete Seleger anschliessend die Skala des «Applausometers», die von ganz geringem Applaus bis zu tosendem Beifall reichte.

Acht sehr individuelle Dichterinnen und Dichter

Die acht Kontrahent*innen Alain Wafelmann, Pierre Lippuner, Sarah Altenaichinger, Henrik von Dewitz, Jonas Balmer, Klaus Estermann, Marco Gurtner und Raphael Reift zogen in der Folge bei ihren Darbietungen alle Register der Kunst und präsentierten die ganze Bandbreite der literarischen Genres. Während Wafelmann in der ersten Runde des Slams in seiner berndeutschen Darbietung etwa eine Tirade aus originellen Schimpfwörtern abliess – vom «Freundin-vom-Flughafen-Abholer» über den «Sicherheitsabstand-Tischbömbeler» bis zum «Hallenbad-WC-Aufsucher», löste sein Gegner Lippuner als Oberkriminalinspektor Möbius Rochat einen Kriminalfall und ging dabei ähnlich charmant vor wie Philip Maloney. Altenaichinger hielt derweil ein poetisches «Plädoyer für das Schreiben, den Stift, das Papier und das dazwischen», wohingegen von Dewitz einige persönliche Einblicke in hens gemischten Gefühle angesichts der Tatsache, dass hen in drei Jahren das Germanistik-Studium beendet haben wird, gewährte. Jonas Balmers gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit der schnelllebigen Zeit und der Rastlosigkeit der heutigen Gesellschaft war sehr rhythmisch und kam fast schon wie ein Rap daher, Klaus Estermann dagegen unterhielt das Publikum mit seinen Wortspielen zum Thema «Wurst». In der letzten Paarung der Vorrunde schliesslich trat Raphael Reift mit seiner eher abstrakten «Verdichtung» von Textfragmenten und Erinnerungen an die Grossmutter gegen den humorvollen inneren Dialog Gurtners an, den er im Migros vor dem Regal mit dem Fertigfondue mit sich selbst führte.

Geburtsstunde einer neuen Höngger Tradition?

So schwer es dem Publikum fiel, zwischen den einzelnen Kontrahenten zu entscheiden, so viel Vergnügen bereitete es ihm aber auch, den Teilnehmenden zuzuhören. Ein jeder der Beiträge überzeugte durch seine Qualität und bestach durch seine Originalität. «Wie kommt man nur auf so eine Idee?», fragten sich die Zuhörenden unweigerlich bei so manch einer der Präsentationen. So stand an der Slam-Night nicht nur für die Zuschauer, sondern ganz offensichtlich auch für die Protagonisten weniger das kompetitive Element, sondern vielmehr das Vergnügen an den eigenen Texten im Vordergrund. Nichtsdestotrotz wurde natürlich der Wettbewerb mit grossem Eifer und wachsender Begeisterung im Publikum fortgeführt. Sarah Alteneichinger und Marco Gurtner setzten sich dabei mit ihren charakteristischen Texten nicht nur in der Vorrunde durch, sondern konnten auch das Halbfinale gegen Pierre Lippuner und Jonas Balmer für sich entscheiden und bestritten gemeinsam das Finale. Dieses gewann schliesslich der 24-jährige Kommunikationsstudent aus Winterthur mit seinen Betrachtungen über den Sexappeal des Alpinskisports und die Faszination von «Ratrac-Fahrern», womit ihm die Siegestrophäe in Form einer «Partime-Uhr» des Höngger Grafikdesigners Andreas Mossner gewiss war. Doch auch die anderen Slammerinnen durften von Seleger eine kleine Aufmerksamkeit entgegennehmen und sich gemeinsam über die gelungene Geburtsstunde des Höngger Poetry-Slams freuen. Natürlich schreit dieser unterhaltsame Abend nach einer Fortsetzung irgendwann im nächsten Jahr – und wer weiss, vielleicht entsteht an den Höngger Schulhäusern ja bis dahin eine veritable Poetry-Slam-Nachwuchsszene?

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