Wer hat Hans Ulrich Lenzlinger ermordet?

Hans Ulrich Lenzlinger war in den 70er-Jahren eine Höngger Berühmtheit. Der Fluchthelfer und Lebemann wurde 1979 in seinem Haus an der Ackersteinstrasse ermordet.

Lenzlinger und zwei Mitarbeiter präsentieren sich mit Doggen und Waffen vor dem Haus an der Ackersteinstrasse.
Das Wohnhaus von Lenzlinger heute an der Ackersteinstrasse.
in Visumsantrag von Lenzlinger für die Einreise in die damalige CSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ČSSR).
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Hans Ulrich Lenzlinger war eine schillernde und exzentrische Figur im biederen Höngg der 70er-Jahre: Der Selfmademan war Teil der Zürcher Unterwelt, hatte exotische Tiere, unter anderem einen zahmen Gepard in seinem Garten, liebte Waffen und war mit einer Miss-Schweiz-Kandidatin verheiratet.

Lenzlinger wurde 1929 in Uster als Sohn einer Bauerntochter und eines Innenarchitekten geboren. Schon als junger Mann galt er als Frauenheld und Lebemann. Freunde beschrieben ihn als «netten, charmanten und liebenswerten Kerl», doch Hans Ulrich hatte auch eine andere Seite – seinen Widersachern gegenüber konnte er aggressiv und aufbrausend sein. Er liebte es auch, zu provozieren und zu pöbeln.

Mit seiner Mutter hatte Lenzlinger bis zu seinem Tod im Alter von 49 Jahren ein inniges Verhältnis. Seine Mutter lebte mit ihm in seinem stattlichen Haus an der Ackersteinstrasse in Höngg. Lenzlinger war ein klassischer Selfmademan. Bereits im Alter von 31 Jahren gründete er eine Chinchilla-Zucht und verkaufte die exotischen Tiere zu überhöhten Preisen. Mit seiner halb so alten Ehefrau, Bernadette, betrieb Lenzlinger im Keller seines Hauses ein florierendes Bordell, welches er «Salon Procot» nannte und als Massagesalon tarnte. Doch nur sechs Monate nach der Eröffnung schloss die Polizei das Etablissement. 1972 wurden er und seine Ehefrau wegen Kuppelei verurteilt.

Staatsfeind und Fluchthelfer

Berühmt und berüchtigt wurde Lenzlinger aber als Fluchthelfer, der Menschen aus der damaligen kommunistischen DDR von Schleusern in den Westen bringen liess. Über die Zahl gehen die Meinungen auseinander. Wie der Fluchthelfer in den Medien behauptete, habe er in den siebziger Jahren insgesamt über 700 Personen in den Westen geschleust, die Stasi sprach jedoch von 122. Dieser Meinung waren auch die Behörden in der Schweiz.

Dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR, der Stasi, war der Zürcher Fluchthelfer natürlich ein Dorn im Auge. Er galt als Staatsfeind. Deshalb setzte die Stasi ein Heer von Spitzeln auf Lenzlinger, seine Ehefrau Bernadette und die Mitarbeiter seiner Fluchthelferfirma Aramco an; insgesamt waren es gegen 50. In den Stasi-Akten mit dem Namen «Leopard» dokumentierten sogenannte IM (Informelle Mitarbeiter) alles genauestens, was sie über den Fluchthelfer erfahren konnten. In 37 Bänden wird auf über zehntausend Seiten über Lenzlingers Schleusertätigkeit berichtet.

Furcht vor einem Anschlag schien Lenzlinger dabei keine zu haben. In Zeitungen warb er offiziell für die Dienste seiner Firma und auch im Fernsehen zeigte er sich. Auf die Frage, ob er Angst um seine Sicherheit habe, sagte der Fluchthelfer: «Nein, das habe ich nicht. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste, habe ein schönes Leben gehabt, und jeder muss irgendwann mal unter irgendwelchen Umständen gehen». Voller Stolz zeigte Lenzlinger auch der Zürcher Stadtpolizei seine Fluchtwagen und beschrieb, wie er die Schleusungen vor allem aus dem damaligen Westberlin von deutschen Mitarbeitern durchführen liess.

Am 5. Februar 1979 nahm das Leben von Hans Ulrich Lenzlinger ein jähes Ende. Von fünf Kugeln durchlöchert in einer Blutlache lag der ehemalige Fluchthelfer rücklings neben seinem Schreibtisch auf dem Boden. Morgens um acht Uhr hatte Lenzlingers Freundin das Haus verlassen, um neun Uhr kam sein Geschäftsführer. Der Mord, welche die Schweiz erschütterte, muss also in diesem Zeitfenster stattgefunden haben. Wahrscheinlich hatte Lenzlinger seinen Mörder persönlich gekannt, denn es deutete nichts auf einen Einbruch oder Überfall hin. Auch Kampfspuren gab es keine. Somit muss Lenzlinger den Täter in sein Haus gelassen haben.

Seine Ex-Freundin, Doris, wusste, dass sich Lenzlinger verfolgt gefühlt habe. «In den letzten zwei, drei Wochen vor seinem Tod hatte er immer eine Pistole auf dem Nachttisch neben seinem Bett», sagte sie.

Verschiedene Mordtheorien

Über Lenzlingers Ermordung kursieren diverse Theorien. Für einige war klar: Es war die Stasi, die den ehemaligen Staatsfeind beseitigt hatte. Der deutschen Zeitschrift «Quick» wurden 1979 mehrere anonyme Briefe zugespielt, die darauf hindeuteten, dass sowohl die Stasi, als auch frühere Mitarbeiter Lenzlingers hinter der Tat steckten. In den offiziellen Stasiakten war jedoch kein Hinweis auf einen Mord zu finden.

Andere wiederum glaubten an ein Beziehungsdelikt aus Lenzlinger privatem Umfeld, so auch der damalige zuständige Bezirksanwalt. Man habe intensiv ermittelt, über 150 Personen näher überprüft, die Protokolle hätten Dutzende von Ordnern gefüllt. Doch nichts deutete auf die Stasi hin. Er glaubte, dass der Geschäftsführer von Lenzlingers Firma Aramco der Täter war, beweisen konnte man diesem aber nichts. Aktenkundig war, dass Lenzlinger und der Geschäftsführer zum Zeitpunkt der Ermordung zerstritten waren, dieser soll hinter Lenzlingers Rücken «krumme Geschäfte» getätigt haben. Eine dritte Theorie ist, dass eine seiner vielen Frauengeschichten ein Motiv für den Mord gewesen sein könnte, sei es ein gehörnter Ehemann oder eine hintergangene Geliebte.

Wer Hans Ulrich Lenzlinger getötet hatte, ist bis heute unbekannt. Der Mord war 2009 nach 30 Jahren verjährt; der Täter kann nicht mehr gerichtlich belangt werden. So kann nur noch Kommissar Zufall oder eine späte Gewissensnot auf dem Sterbebett den Fall «Leopard» lösen.

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