Kultur
Wenn Vater und Sohn für die Geschichte brennen
Die Höngger Autoren François G. Baer und Yves Baer legen eine «neue» Stadtgeschichte vor: «Weltgeist in Zürich» ist nicht nur ein Buch über eine Zeit des Auf- und Umbruchs, sondern auch ein spannender Ritt durch die Zeit.
14. Juli 2022 — Daniel Diriwächter
Zürich durfte sich seit Ende des Dreissigjährigen Kriegs und mit dem Westfälischen Frieden eine Republik nennen. Der Neubau des bestehenden Rathauses 1698 steht für dieses damalige Selbstverständnis als Stadtstaat. Es ist der Startpunkt für die beiden Höngger Autoren François G. Baer und Yves Baer. Ihr Buch «Weltgeist in Zürich» führt die Leser*innen durch die Geschichte bis zum «Tag von Uster» 1830, der für die Entstehung des modernen Kantons den Ausgangpunkt bildete. Im Interview erklären Vater und Sohn, wie das Buch entstanden ist.
Liebe Autoren, woher kommt Ihre Leidenschaft für die Geschichte?
François G. Baer: Wir stammen aus einer geschichtsbegeistern Familie. Unsere Eltern und Grosseltern waren neugierig und stellten Fragen. Wir beide hatten stets gute Geschichtslehrer, die das Interesse und die Begeisterung wecken konnten.
Yves Bear: Ich hatte meine besten Schulnoten in Geschichte und Geografie.
Wie kam es zur Idee, die Geschichte Zürichs nachzuzeichnen?
François G. Baer: Ich lieferte in den 1990er-Jahren das Konzept für die Zürcher Kantonsgeschichte und gestaltete sie auch. Damals erlebte ich die Gespräche mit den Autoren mit. Und die Verlagsarbeit. Vor zwanzig Jahren, als wir beide begannen zusammenzuarbeiten, wollten wir bereits ein «Zürichbuch» machen. Wir hatten damals schon den Anspruch, keinen weiteren Restaurantführer herauszugeben.
Yves Baer: Der Rest ergab sich laufend. Zunächst konnten wir lokal das Buch zum 75-Jahr-Jubiläum der Eingemeindung von Höngg machen. Wirklich los ging es, als ich meinem Vater die Fotos, die ich im Grossmünsterkreuzgang von den Kapitellen gemacht habe, zeigte.
François G. Baer: Ich fand, dass man diese zeigen sollte. Und wir stellten fest, dass es noch kein Buch über alle Zürcher Altstadtkirchen gibt. So ergab sich das Konzept, die Zürcher Geschichte von den Menschen her und was sie dachten und glaubten, zu erzählen.
Yves Baer: Zürich hat wie die meisten alten Städte eine Seele. Diese ist manchmal eine Krämer- oder eine Händlerseele. Aber dadurch war Zürich auch immer weltoffen.
Mussten Sie für dieses Buchprojekt auch kämpfen?
Yves Baer: Kämpfen würde ich nicht sagen. Schwierig war die Mittelbeschaffung. Diese Art von Büchern sind in der Herstellung teuer, sodass man eine Differenz im Projektbudget decken muss. In den letzten Jahren hat im Kultursponsoring eine Bewegung fort vom Buch hin zu Events stattgefunden, wichtige Institutionen tun dies heute nicht mehr. Hier wurden wir durch den Verlag unterstützt.
Gab es während der Recherche auch Überraschungen?
Yves Baer: Schreiben, ob Belletristik oder Sachbücher, ist immer ein Abenteuer, wenn man sich auf die Reise einlässt, auf die einem das Thema bringt. Ich habe realisiert, wie schlecht das Wetter im 18. Jahrhundert war. Es war das Ende der kleinen Eiszeit, so fror der Zürichsee sieben Mal zu. Bei uns, aber auch in Preussen mussten die Regierungen die Bauern zwingen, Kartoffeln anzubauen. Missernten und Hunger waren denn auch ein Auslöser der Französischen Revolution.
François G. Baer: Für mich ist das Tagebuch von Anna Barbara Hess eine Trouvaille. Sie schildert darin sehr persönlich, womit sich eine Frau und ihre Familie aus dem Mittelstand herumplagen musste, beispielsweise mit der Kindesterblichkeit oder der schlechten medizinischen Versorgung.
Betrachten Sie Zürich nach der Arbeit an diesem Buch mit anderen Augen?
François G. Baer: Mir fällt auf, was heute noch aus dieser Zeit übriggeblieben ist, und was sich seither verändert hat. Im Alten Zürich waren es beispielsweise die Zünfte als Berufsorganisationen, die die Regeln ihres Metiers festlegten. Heute haben die Gewerkschaften und Branchenorganisationen diese Rolle übernommen.
«Weltgeist in Zürich» ist eine gemeinsame Arbeit – wie funktionierte das Vorgehen zwischen Vater und Sohn?
François G. Baer: Wir haben das Konzept zusammen entwickelt, seit Jahren sind wir ein eingespieltes Team. Das funktioniert im Ping-Pong-Verfahren.
Yves Baer: Wir haben zudem klar miteinander vereinbart, wer welches Thema behandelt. Die Fotos haben wir dann zusammen gemacht.
Zu guter Letzt: Verfolgen Sie beide bereits ein neues Projekt?
François G. Baer: Wir verraten nur so viel, dass es der dritte Band der Baer’schen Zürich Trilogie sein wird. Wir zeigen wieder einen Aspekt von Zürich, den man so noch nicht gesehen hat.
Weltgeist in Zürich
Weltgeist in Zürich. Ereignisse. Schauplätze und Lichtgestalten zur Zeit der Aufklärung.
NZZ Libro, Basel, 2022
Die Autoren
François G. Baer (*1945) ist Grafiker und Buchgestalter. Seit 2002 konzipierte und publizierte er als Mitautor mehrere kulturhistorische Sachbücher.
Yves Baer (*1976) ist Publizist und Autor mehrerer Sachbücher und Kurzgeschichten. Seit 2019 ist er Präsident des Zürcher Schriftstellerinnen und Schriftsteller Verbands ZSV.
Buch-Vernissage
Grussbotschaften von Helmut Stalder, Verlagsleiter NZZ Libro, und Jacqueline Fehr, Regierungsrätin Zürich.
Donnerstag, 14. Juli, 19 Uhr
Karl der Grosse, Kirchgasse 14, 8001 Zürich
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