Wenn jeder für sich guckt …

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute darüber, dass wir uns selbst einfach zu wichtig nehmen.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Manchmal, da stehe ich vor einem Dilemma: Denn ich bin zu Hause, im Büro, draussen beim Spazieren, beim Einkaufen und sogar beim Biertrinken mit vielen anderen Individuen konfrontiert. Gegen die habe ich nichts, ich würde mich generell als Menschenfreundin bezeichnen. Aber all diese Individuen, mich eingeschlossen, haben ein relativ ausgeprägtes Ich, ihr Ego. Und jedes dieser Egos sieht die Welt aus seiner eigenen Perspektive und geht selbstverständlich davon aus, dass diese Sichtweise richtig und wichtig ist. Und daraus ergeben sich für alle eine Reihe von Bedürfnissen, die erfüllt werden wollen.

So weit, so gut. Ich habe mich an anderer Stelle bereits dafür ausgesprochen, auf sich selbst zu hören und sich wichtig zu nehmen. Wer sich nicht um sich selbst kümmert und für sich einsetzen kann, der kommt schnell unter die Räder. Aber genau da fängt dann mein Dilemma an. Denn wo hören die eigenen Bedürfnisse auf und wo beginnen jene des Gegenübers? Und wie bringt man das in Einklang?

Ein Beispiel: mein Zuhause. Da lebe ich mit vier verschiedenen Egos zusammen. Und die können ihre eigenen Wünsche ziemlich nachdrücklich äussern. Aber wenn ich versuche, alle Bedürfnisse zu erkennen, aufzunehmen und sie möglichst schnell zu befriedigen, komm ich in die Bredouille.

Erstens ist das anstrengend, zweitens widersprechen sie sich relativ häufig und drittens sind da auch noch meine eigenen Interessen, die sich ab und zu melden. Und dann weiss ich nicht mehr, welche ich höher gewichten soll. Und ob es mir ein grösseres Bedürfnis ist, dass es den anderen gut geht oder dass ich meine eigenen Interessen verfolge. So viele Gedanken über so viel Kleinkram. Da krieg ich schon fast Kopfschmerzen, wenn ich drüber nachdenke.

Aber das passiert nicht nur zu Hause, sondern auch im Alltag, in der Politik, überall kollidieren ständig Partikularinteressen. Und es wird unheimlich viel Energie darauf verwendet, sich darüber aufzuregen. Und alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die eigenen Interessen auch gewahrt bleiben. Bei solchen Gelegenheiten denke ich manchmal: Hey, chill doch einfach. Sooo wichtig kann das gar nicht sein. Eigentlich dreht sich die Erde nicht nur um dich. Und es ist ihr auch ziemlich wurscht, über welchen Pipifax du dich gerade aufregst.

Stattdessen wäre es wohl wichtiger, sich darum zu kümmern, dass sich die Erde auch in Zukunft noch weiterdrehen kann. Gut, das ist jetzt etwas übertrieben, sie wird sich ganz unabhängig von uns noch in Millionen von Jahren weiterdrehen. Aber ob wir uns noch mit ihr mitdrehen, das ist gar nicht so sicher.

Dabei bräuchten wir gar nicht viel. Eigentlich nur ein etwas anderes Verständnis von Individualismus. Aktuell ist jeder sich selbst der Nächste. Und meistens kommt dann lange nix mehr. Aber es könnte auch ganz anders sein.

Mal angenommen, wir würden all die Energie, die wir momentan für den Erhalt unserer Partikularinteressen einsetzen, gemeinsam für etwas anderes verwenden? Wahnsinn, was da alles möglich wäre! Es könnte sogar sein, dass sich die Welt vielleicht dadurch ein klein wenig anders drehen würde. Davon träum ich.

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