Wenn das Leben schillert

Die Hönggerin «Ada vo Züri» ist nicht nur bildnerische Künstlerin, sie ist auch Musikerin. Anfang Jahr ist ihr Debütalbum «Heldeträne» erschienen. Ein persönliches, melancholisches Werk in Zürcher Mundart.

2021_03_26, Zürich-Höngg, Portrait Ada Raviaoli, Ada vo Züri

Carlitos, der freundliche spanische Strassenhund, lässt sein Frauchen nicht aus den Augen, als diese dem Gast die Türe öffnet. Während sie auf einem Sessel im Wohnzimmer Platz nimmt, setzt er sich vor das Fenster an die Sonne und behält alles im Blick. Ada Ravaioli, wie die Künstlerin Ada vo Züri mit richtigem Namen heisst, war bislang vor allem für ihre skurrile, surreale Malerei bekannt. In einer Künstlerfamilie aufgewachsen – ihr Vater war Berufsmusiker im Orchester der Tonhalle, ihre Mutter professionelle Tänzerin – war auch die Musik schon immer Bestandteil ihres Lebens. Als Kind erhielt sie Klavierunterricht, später war sie als Strassenmusikerin mit ihrer Gitarre unterwegs. «Mein Herzinstrument aber ist die Handorgel», sagt Ada. Das Wohnzimmer gleicht zurzeit einem Übungsraum. Neben der Türe sind einige klassische und elektrische Gitarren aufgereiht, in einer Ecke steht ein wunderschönes Appenzeller Hackbrett. Das Kernstück des Raums ist allerdings ein grosser schwarzer Flügel. Ihre Mutter, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr darauf spielen kann, hat ihn ihr vor vier Jahren überlassen. Dieser «Ferrari», wie die Künstlerin ihn nennt, habe in ihr den Wunsch geweckt, sich wieder intensiver der Musik zu widmen. Schon früher wechselten sich Phasen der Malerei und Phasen der Musik in Adas Leben ab. Nun also steht die Musik wieder im Zentrum. «Ich bin ein sehr neugieriger Mensch», sagt Ada und lächelt fast verlegen, «wenn ich ein Instrument sehe, muss ich es gleich in die Hand nehmen und es ausprobieren». Sie sei aber auf keinem Instrument ein Profi, denn das stundenlange Üben liege ihr nicht. Dafür sei sie viel zu zappelig. Dennoch hat sie fast alle Instrumente auf dem Album «Heldeträne» selber eingespielt. Es ist ein dunkles, melancholisches und sehr persönliches Werk geworden, ein Winteralbum, eigentlich. Doch die Pandemie hatte die Produktion etwas verzögert, so dass es erst zum Frühlingsanfang erscheinen konnte.

Folklore in Züridütsch

Wenn «Ada vo Züri» spricht, ist der Name Programm: Sie rollt das «R» hinten, die Vokale sind klar und spitz, jeder Buchstabe ist hörbar. Salopp gesagt: eine Züri-Schnurre. So wie sie spricht, so singt sie auch auf ihrem Album. Im ersten Moment ist das ungewohnt, man erschrickt ein wenig, denn für gewöhnlich wird Mundartmusik mit dem Berner, manchmal auch mit einem Ostschweizer Dialekt in Verbindung gebracht. «Klar, Züridütsch hat etwas Widerspenstiges, Hartes, manche sind davon schon fast brüskiert», gibt die Hönggerin zu. Sie habe sich selber gefragt, ob das funktionieren würde. Letztendlich sei es jedoch die Sprache, in der sie sich am besten ausdrücken könne, und verstellen wollte sie sich nicht. «Manche Künstler*innen können für ihre Kunst in eine Rolle schlüpfen und diese wieder abstreifen», sagt Ada. «Das bewundere ich sehr, selber kann ich es aber schlicht nicht.» Dass sie nun so singt, wie sie denkt und spricht, trägt sicherlich auch zur intimen Atmosphäre dieses Albums bei. Die Texte sind Gedichte und stehen auch meist am Anfang, wenn sie komponiert. Inhaltlich schöpft sie aus eigenen Erfahrungen. Dennoch geht es in den Songs eigentlich nicht explizit um sie, sondern um grundlegende Fragen und Gefühle, wie Liebe, Sehnsucht, Verlust und Trauer, die jeder kennt und zu dem jede eine eigene Geschichte hat. Musikalisch bewegen sich die Lieder irgendwo zwischen Singer- und Songwriter und Folklore, Letzteres mit Absicht: Es sei ein bewusster Entscheid gewesen, die Schweizer Volksmusik zu würdigen, betont die Musikerin. Schon in ihrer Kindheit entdeckte sie ihre Faszination für dieses Genre, als sie im Toggenburg eine Ländler-Kapelle aus dem Appenzell spielen hörte – ihr allererstes Konzert. Noch heute berühren sie die Melodien der traditionellen Volksmusik. Ausserdem gebe es mittlerweile neue, moderne Volksmusik und Interpretationen von altem, sehr schönem Liedgut, die grossartig seien, findet Ada.

In die Abgründe blicken

So, wie Adas Bilder oft surreal und düster sind, durchdringt die Dunkelheit auch ihre Musik. Wer sie kennenlernt und erst später ihre Kunst sieht, ist überrascht, in welche Abgründe diese fröhliche und aufgeweckte Frau blickt und blicken lässt. «Schwierige Themen und Menschen mit schwierigen Lebensgeschichten haben mich schon immer angezogen», meint die zierliche Frau. Wo andere wegrennen, muss sie hingehen und nachschauen. Auch wenn sie sich damit manchmal selber in komplizierte Situationen bringt. Vielleicht arbeitet sie deshalb als Musiktherapeutin in einer Suchttherapie und hat den Menschen aus der Drogenszene das Stück «Uusverchauf» gewidmet. Die Ambivalenz, dieses Hell und Dunkel, findet sich auch auf dem Album. Denn zwischendurch blitzt auch subtiler Humor in den Songs hervor. Eigene Erfahrung mit Depressionen brachten sie dazu, das Titelstück «Heldeträne» zu schreiben. «Es ist eine Hommage an alle, die mit dieser Krankheit leben müssen», sagt Ada.

Der Drang, «etwas in die Welt» zu bringen

Im Stück «Frög mi nöd» spricht sie mit einer geheimen Liebe. Es ist kompliziert, aber auch wieder nicht. Nichts ist definiert, es gibt keinen Alltagsvertrag, dennoch ist die Anziehung auch in der losen Verbindung unüberhörbar. Es ist nicht eindeutig, was sie bedeutet. «Das Leben ist unglaublich vielschichtig, es ist nicht einfach schwarz oder weiss, sondern es schillert», sagt die Künstlerin. So lässt sich auch ihre Persönlichkeit gut beschreiben. Lange sei sie auf der Suche gewesen, ihre Neugierde und ihr Bedürfnis nach Abwechslung hätten sie ein wenig zum «Hansdampf in allen Gassen» werden lassen, wie sie selber sagt. In den letzten Jahren wurde jedoch greifbarer, worum es ihr bei ihrer Kunst gehe: Um den Prozess und um das Zutagefördern kollektiver Inhalte, mit all den
Werkzeugen, die ihr zur Verfügung stünden. «Der Drang, etwas <in die Welt> zu bringen, war immer der Motor und die Lust das Benzin», sagt sie.

«Heldeträne» von Ada vo Züri, erschienen beim Label Narrenschiff, narrenschiff-label.ch, erhältlich bei Ada per mail: adavozueri@gmx.ch für 28.50 Franken.

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