Wehrhafte Höngger

In Höngg regt sich Widerstand: Das Komitee «Gegen den Höhenwahn» wehrt sich gegen die zwei Hochhaus-Wohntürme der geplanten Überbauung des Hardturm-Areals. Neben den Nachteilen durch den entstehenden Schattenwurf sehen die Mitglieder vor allem das gewachsene Stadtbild von Zürich gefährdet, wie im Gespräch mit den Mitbegründern des Komitees Peter Aisslinger, Marcel Knörr und Felix E. Müller deutlich wird.

Gesamtansicht des Projekts stadteinwärts.
Marcel Knörr, Felix E. Müller und Peter Aisslinger wehren sich gemeinsam mit anderen Hönggern als «Komitee gegen den Höhenwahn» gegen die geplanten Hochhäuser auf dem Hardturm-Areal.
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«Höngger»: Welches ist das Hauptanliegen, das Sie mit Ihrem Komitee «Gegen den Höhenwahn» verfolgen?

Felix E. Müller: Kurz gesagt wollen wir verhindern, dass die beiden 137 Meter hohen Wohntürme im Hard-Areal gebaut werden. Unseres Erachtens handelt es sich bei diesem Projekt weder um eine architektonische noch eine städtebauliche, sondern lediglich um eine rechnerisch-finanzielle Angelegenheit: Man hat eruiert, wie viele Quadratmeter Wohnraum und ergo wie viele Stockwerke nötig sind, damit die Kosten für den Bau des Stadions gedeckt sind. Am Ende stand die Zahl 137. Dieses Vorgehen überzeugt uns nicht. Wir sind der Meinung, dass das Stadion auch anders finanziert werden kann. Die Stadt hat aus den letzten beiden Stadion-Projekten, die vor der Bevölkerung gescheitert sind, gelernt und ein Gesamtpaket geschnürt mit dem schönen Namen «Ensemble»: Darin finden sich 177 gemeinnützige Wohnungen der ABZ, das langersehnte Stadion und noch 595 «normale» Wohnungen. Das klingt alles sehr nett. Tatsache ist aber, dass von den Wohnungen in den Hochhäusern keine einzige gemeinnützig ist, denn diese befinden sich in einer wesentlich weniger hohen Immobilie, die von einer Genossenschaft erstellt wird, an der Ostseite des angedachten Stadions. Man benützt also das Versprechen auf günstigen Wohnraum als politisches Feigenblatt.

Höngger: Eines Ihrer Argumente lautet, dass es sich bei den neuen Wohnungen um solche im oberen Preissegment handeln werde. Laut Eigentümerin Real Estate Investment Management der CS soll dies aber nicht der Fall sein: Sie teilt auf Anfrage mit, dass die Mietpreise erschwinglich seien und mit Preisen ab 2300 Franken für eine 3,5 Zimmer-Wohnung im mittleren Segment lägen. Was sagen Sie dazu?

Knörr: Es ist allgemein bekannt, dass Hochhäuser viel mehr Erschliessungswege benötigen. Ab 30 Meter Höhe müssen beispielsweise eigens Feuerwehrlifte und Feuerwehr-Treppenhäuser eingebaut werden, die den Bau automatisch verteuern. Jeder Architekt weiss, dass es rein bautechnisch nicht möglich ist, in so hohen Häusern günstige Wohnungen anzubieten.

Peter Aisslinger: Um eines vorwegzunehmen: Wir sind nicht grundsätzlich gegen Hochhäuser, sondern gegen die Unverhältnismässigkeit dieses geplanten Projektes. Unsere Forderung ist ganz klar, dass man die Höhe der beiden Wohntürme reduzieren muss.

Höngger: Würden die Mieten dadurch nicht erst recht steigen, weil die Stadionkosten durch weniger Wohnquadratmeter finanziert werden müssten?

Müller: Man müsste versuchen, die Bauvolumina anders im Areal zu verteilen. Ausserdem könnte man durchaus einmal darüber sprechen, ob man das Stadion nicht günstiger bauen kann. Bislang weiss niemand, wie sich der Preis genau zusammensetzt. Wieso nicht zum Beispiel festlegen, dass man für jede Million, die man beim Bau des Stadions spart, auf drei Stockwerke bei den Türmen verzichtet? Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Stadt ihrerseits ein paar Millionen zum Bau des Fussballstadions beisteuert. Ich denke, hier gibt es einige Varianten, die man diskutieren könnte und das Ganze ist flexibler, als man es uns weismachen möchte.

Knörr: Das ist auch der Grund, weshalb wir frühzeitig mit unserem Komitee gestartet sind. Bis zum 20. November läuft die Einsprachefrist. Jetzt ist der Moment, wo wir noch Einfluss nehmen können – kommt es im Herbst 2018 zur Abstimmung, kann man nicht mehr flankierend eingreifen. Uns wurde von Investorenseite her versprochen, dass sie sich mit uns an einen Tisch setzen und unser Anliegen anhören wird. Dort werden wir auch noch einmal betonen, dass wir das Stadion wollen. Nur nicht zu diesem Preis.

Aisslinger: Es gibt andere Beispiele, wo man sich gewehrt und dadurch bessere Lösungen gefunden hat. In Luzern zum Beispiel hat man ein Fussballstadion mit zwei Hochhäusern kombiniert, aber deren Höhe schliesslich auch gesenkt, weil man den Widerstand aus der Bevölkerung fürchtete.

Knörr: Wir Höngger sind ja berühmt-berüchtigt für unsere Wehrhaftigkeit, immerhin konnten wir es abwenden, dass so manches überdimensionierte Projekt realisiert wurde, wie die fünf GC-Trainingsplätze auf dem Hönggerberg. Vielleicht denken sich unter diesen Umständen auch die Investoren, dass es besser ist, einen gemeinsamen Weg zu finden. Das möchten wir erreichen.

Höngger: Ein weiteres Ihrer Argumente ist der Hochhausriegel, auf den die Höngger in Zukunft blicken würden…

Müller: Unsere Befürchtung ist, dass mit diesen zwei Hochhäusern der erste Stein gelegt wird für weitere und noch höhere Gebäude, bis die Lücke vom Primetower zum Bahnhof Altstetten geschlossen ist. Ich glaube, die meisten Leute haben noch nicht realisiert, wie hoch diese Gebäude sind. Man kann sich vielleicht ein Bild davon machen, wenn man sich vorstellt, dass man auf der Gartenterrasse des Restaurants Die Waid etwa auf Augenhöhe mit der obersten Etage der beiden Türmen sein würde. (Anmerkung der Redaktion: Die Stadionbrache liegt auf rund 400 Metern über Meer, das Waid Restaurant auf 540 Meter, die Türme sollen 137 Meter hoch werden). Die Stadt scheint dieser Umstand nicht zu kümmern. Man stellt ein Hochhaus nach dem anderen in die Senke und am Ende blicken wir von Höngg eben auf den erwähnten Riegel von Hochhäusern.

Höngger: Man könnte aber auch sagen: Es gibt kein Recht auf Aussicht.

Knörr: Es geht nicht so sehr um die Aussicht auf den See, als um das natürlich gewachsene Stadtbild, diesem müssen wir Sorge tragen. Jede Stadt hat ihre eigene Identität: Zürich ist eine Flussstadt, in der man üblicherweise den nötigen Abstand zwischen Wasser und übergrossen Gebäuden hält. Man muss einen bestimmten Massstab einhalten, damit das Stadtbild noch stimmt. Und dieses Projekt sprengt unseres Erachtens diesen Massstab. Dazu kommt – und das ist eigentlich der essentielle Punkt: Es existiert ein immer noch gültiges «Hochhaus Leitbild», welches ein Bestandteil der Bauzonenordnung (BZO 99) ist. Weil sich damals alle Parteien im Gemeinderat einig waren, musste das Leitbild auch nicht die Hürden einer Volksabstimmung nehmen. Darin ist festgelegt, wo es sinnvoll ist, Hochhäuser zu bauen und wo nicht. Es geht klar hervor, dass die Nachbarschaft nicht beeinträchtigt werden darf, insbesondere nicht durch Schattenwurf in Wohnzonen oder gegenüber bewohnten Gebieten. An den Übergängen zu Freihalte- und Erholungszonen dürfen keine Hochhäuser stehen, aber: Das betroffene Hardturm-Areal grenzt sowohl an eine Freihalte-, als auch an eine Erholungszone. Und genau hier stellt man jetzt die höchsten Häuser des Kantons Zürich hin. Da fühlt man sich doch etwas verschaukelt, wenn man – wie früher – monatelang mit allen Betroffenen ein Leitbild erarbeitet hat, nur damit am Ende die Stadt alle festgelegten gesetzlichen Vorgaben mit einem Gestaltungsplan aushebelt. Das darf nicht sein.

Höngger: Wie begründen Sie denn die Ansicht, dass es einerseits in Ordnung ist, in Oerlikon oder Affoltern Hochhäuser hinzustellen, aber es andererseits im Zentrum der Stadt gar nicht geht?

Müller: Es geht uns nicht darum, dass wir das einfach nicht bei uns haben wollen, sondern, dass wir glauben, dass in Zürich West und in Altstetten bereits viel verdichtet wurde mit den zahlreichen Hochhäusern, die entstanden und noch im Entstehen sind.

Aisslinger: Ausserdem wirken Hochhäuser mitten in einer Ebene, wie es zum Beispiel beim Primetower der Fall ist, nicht störend. Die beiden Wohntürme kommen aber gemäss Plan sehr nahe an die Wohnhang-Zone zu liegen, also quasi unmittelbar vor die Fenster der Bevölkerung. Und dann ist da noch der Schattenwurf, der vor allem im Winter enorm ist und bis zum Kettberg hoch reicht. Laut Reglement stört ein Schattenwurf erst, wenn er länger als zwei Stunden andauert. Aber gerade in der dunklen Jahreszeit mit den kurzen Tagen ist bereits eine Stunde im Schatten unerträglich. Wir wollen aus unserer Stadt kein Klein-Manhattan machen, weil es nicht zu Zürich passt. Es geht ums Mass: Es ist einfach unverhältnismässig. Deshalb auch: «Gegen den Höhenwahn».

Der Private Gestaltungsplan «Areal Hardturm» mit Umweltverträglichkeitsbericht, Zürich-Altstetten ist vom 15. September 2017 bis und mit 20. November 2017 im Amt für Städtebau öffentlich aufgelegt. Alle, die sich betroffen fühlen, können in dieser Zeit schriftlich ihre Einwendungen machen.

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