Von wegen romantisch

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über den Reproduktionsstress.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Hach, der Frühling. Wenn alles grünt und spriesst und blüht. Die Natur aufwacht, die Tage länger werden und die zarten Sonnenstrahlen die Wangen sanft erröten lassen. Wie romantisch diese Jahreszeit doch ist. Da könnte man doch glatt Frühlingsgefühle entwickeln. Die Liebe, sie zeigt sich schliesslich überall. Nachwuchs bei den Vögeln, den Wildtieren und auch im eigenen Hühnerstall werden Eier produziert, dass des Osterhasen Herz lacht.

Doch halt, stopp! So zärtlich und rosarot gefärbt, wie das jetzt klingt, ist diese Jahreszeit nämlich gar nicht, habe ich gemerkt. Ganz im Gegenteil. Der Frühling, diese Hochphase der Reproduktion, ist enorm stressig. Zumindest in der Tierwelt. Oder besser gesagt: Zumindest in meiner Tierwelt, vom Rest der Welt kann ich nicht sprechen. Aber bei mir auf meinen Minihof, holla die Waldfee! Da fangen ab März die testosteron-geschwängerten Hähne, Erpel und Ganter an, ihren Damen das Leben schwer zu machen.

Kaum geht die Sonne auf und die Stalltüre öffnet sich, fangen die Hähne wie blöd an, auf dem Hof rumzurennen und nach Hühnern Ausschau zu halten. Die wissen das natürlich auch und halten sich tunlichst zurück, picken lieber erst mal noch ein bisschen unmotiviert im Stall herum und tun so, als wollten sie gar nicht ins Freie. Denn irgendwann mal, das wissen sie, geben die Männer auf und machen sich auf die Suche nach Würmern und Gras, das Durchhaltevermögen ist nicht allzu gross bei den Herren der Schöpfung.

Aber wehe, die Hühner kommen zu früh aus dem Stall. Dann werden sie regelrecht verfolgt, gepackt und dann wird… naja… aufgesessen. Die Damen tragen das zwar mit Fassung, stehen danach auf und schütteln den Stress ab, aber unter romantisch stelle ich mir eigentlich etwas anderes vor. Und wenn grad keine Hennen verfügbar sind, hacken die Hähne halt ersatzweise ein bisschen aufeinander rum.

Meistens kommt bei solchen Gelegenheiten dann auch noch Günter, der Ganter, um die Ecke. Dessen Frau Gina legt gerade ein Ei und dieser Umstand verursacht bei ihm ziemliche Stimmungsschwankungen. In solchen Momenten ist es ihm egal, wer seinen Weg kreuzt – wer sich nicht rechtzeitig aus dem Staub macht, bekommt seinen Zorn zu spüren. Da wird gefaucht, gezischt und manchmal sogar kräftig mit dem zackigen Schnabel zugelangt. Es könnte ja sein, dass jemand seine Frau und das Gelege bedrohen will.

Ach, und als wäre das alles noch nicht genug Konflikt und Adrenalin, ist auch Boris, der «böse» Hahn (Sie erinnern sich vielleicht) dank der wärmeren Temperaturen wieder voller Energie. Bei den Hühnern hat er keine Chance und genau deswegen muss er wohl all seinen Frust an mir auslassen. Den ganzen Winter über hat er sich gänzlich unauffällig verhalten.

Aber jetzt, wo die Sonne lacht, da erinnert er sich an mich. Hinterhältig nutzt er die Gelegenheit, wenn ich gerade damit beschäftigt bin, bei den anderen die Gemüter zu beruhigen, kommt von hinten angerannt und rammt mir mal wieder seine doofen Sporen in die Beine.

Super. Ich glaube, die Hühner und ich, wir freuen uns auf den nächsten Winter, wenn die Herren der Tierwelt wieder etwas ruhiger und deprimierter sind. Frühlingsgefühle sind überbewertet.

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