Kultur
Von wegen «heiterer Mozart»?
Im September führten der Reformierte Kirchenchor Höngg und das Kammerorchester Aceras barock unter der Leitung von Peter Aregger Kirchensonaten und die Grosse Credomesse KV 257 von Wolfgang Amadeus Mozart auf.
27. September 2022 — Eingesandter Artikel
Eigentlich ist es ein «déja entendu»: Peter Areggerführt an diesem Abend wiederum – nach zwölf Jahren – in der vollen Höngger Kirche die drei Kirchensonaten (KV 278, 263 und 329) für Oboen, Trompeten, Pauke, Streicher und Orgel, die Arie «Laudate dominum» aus der «Vesperae solemnes», KV 339 und die «Missa brevis» C-Dur KV 257, die Credomesse auf. Dunkle Paukenschläge, in die sich eine feine Melodie einschleicht, eröffnen das Konzert. Die Kirchensonate KV 278 entwickelt sich furios zu einem Zwiegespräch zwischen sanfter Gelassenheit der Streicher und der Dringlichkeit, der Bedrohung durch die grellen Trompeten und dem steten Dreinfahren der Pauke – zum Kampf zwischen Feuer und Wasser.
Ein orchestraler Diskurs
Nach kurzem Durchatmen folgt als zweiter Satz das «Regina coeli», ein Marienantiphon, das dem Chor und den vier Solisten die Gelegenheit gibt, Halleluja miteinander, gegeneinander oder untereinander mit Wohlklang zu bekräftigen – wenn nur nicht wiederum die Pauke dazwischenfahren, dazwischenfragen und für Spannung sorgen würde, bis zum bezwingenden, abrupten Ende.
Nun nimmt die Kirchensonate 263 den orchestralen Diskurs wieder auf, um zum Höhepunkt des ersten Konzertteils zu führen: zur von Catriona Bühler gesungenen Arie «Laudate dominum» aus der «Vesperae solemnes», zu dieser einen klaren, berückenden Stimme, die scheinbar ohne zu atmen anschwillt, über allem schwebt und die, noch durch den grundierenden Chor verstärkt, eine umfassende tröstende Gewissheit vermittelt. Peter Aregger beschliesst diesen ersten Teil mit der Kirchensonate KV 329, die den eleganten Abschluss der vorhergehenden Sonaten bildet, aber diesmal konsequent bejahend, diskursiv, vorwärtststreibend.
Mozarts persönlichste Seite
Die Grosse Credomesse für Soli, Chor und Orchester beginnt mit dem «Kyrie», drei kurze Textzeilen nur, aber eine mächtige Aufforderung an den Herrn, sich unserer zu erbarmen. Das «Gloria» will Mozart noch fordernder, obwohl der Text weitaus gelassener ist. Und das Glaubensbekenntnis, also das Credo, wird in dieser Messe keine Routine, keine Litaneien zeigen. Achtzehnmal ruft es Credo – aber nicht mit Ausrufzeichen, sondern als Frage: Glauben wir? Glaube ich? Kann man glauben? Und immer wieder dazwischen «e vero!». Aber auch diese Wahrheit tönt unsicher. Da hat einer Zweifel, da hat einer viel – zuviel – ins Glaubensgeschäft hineingesehen. Und das «Sanctus» will das Vorherige bestätigen, beglaubigen, abstempeln. Erst das „Agnus Dei“ besänftigt. Mozart ist Ende 1776 zwanzig und gestresst. Deshalb zeigt er in dieser Credomesse für einmal seine persönlichste Seite – die er in seinem Werk sonst sehr kaschiert. Er weiss, dass er unter den Fittichen des Erzbischofs Colloredo nichts mehr erreichen wird. Er muss weg, er muss sich der Welt zeigen, er muss selbständig werden. Denn er weiss, wer er ist. Er wird sich in den folgenden Monaten befreien, Salzburg zusammen mit seiner Mutter verlassen, die er in Paris verliert und 1779 nochmals zurückzukommen, nur um 1781 von Colloredo definitiv mit einem Fusstritt entlassen zu werden.
Die Seele spüren
Heiterer Mozart? Nein – oder doch? Der Kirchenchor, Catriona Bühler, Sopran, Alexandra Forster, Alt, Loic Paulin, Tenor, Christian Marthaler, Bass, Robert Schmid an der Orgel, das Orchester Aceras barock und Peter Aregger haben es zusammen geschafft, in diesen Werken, die kurz vor oder nach der Paris-Reise entstanden, die Seele des jungen Mannes zu erspüren und dessen Universalität zu vermitteln. Ein sublimes Erlebnis, dieser Abend!
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