Von russischem Gas unabhängiger werden

Warum nicht selbst die Initiative ergreifen? Mirjam und This Ragaz-Morlet haben die Mieter*innen in ihrer Siedlung davon überzeugt, bei der Energieversorgung vermehrt auf lokale und nachhaltige Quellen zu setzen.

Die Siedlung Winzerhalde setzt ab sofort stärker auf Biogas. (Foto: zvg)

Der Krieg in der Ukraine bewegt die Menschen auch hierzulande. Anstatt das nunmehr seit Monaten anhaltende Geschehen nur ohnmächtig in den Nachrichten zu verfolgen, möchten viele etwas tun, ihren Beitrag dazu leisten, um die Menschen in der Ukraine zu unterstützen und ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen. Matthias Ragaz und seine Frau Mirjam haben – neben der Unterstützung für humanitäre Hilfsprojekte – einen ganz eigenen Ansatz gefunden. Die beiden wohnen seit Jahrzehnten zur Miete in einer Höngger Genossenschaftswohnung. Die Siedlung bezieht zum Heizen Gas vom Energieversorgungsunternehmen Energie 360º. In intensiver Recherche haben sie sich in den letzten Monaten in die Gas-Problematik eingearbeitet und eine Idee entwickelt: Sie möchten für ihre Siedlung nach Möglichkeit auf den Bezug von russischem Erdgas verzichten oder zumindest den Anteil daran verringern.

Knapp 50 Prozent stammt aus Russland

Bis anhin, so erklärt Ragaz im Gespräch mit dem Höngger, habe die Genossenschaft von Energie 360° den Standard-Gasmix bezogen, den das Unternehmen anbietet. Dieser besteht, wie der Energieversorger bestätigt, zu 25 Prozent aus Biogas und zu 75 Prozent aus «herkömmlichem» Import-Erdgas. Der Anteil russischen Gases an diesem Mix betrug in den letzten zwei Jahren rund 45 Prozent, der Rest stammt aus Norwegen, restlichen EU-Ländern, Algerien und verschiedenen weiteren Ländern. Russland ist also auch hierzulande die wichtigste Quelle für Erdgas – und sei, wie Michael Walser, Mediensprecher von Energie 360°, auf schriftliche Anfrage erklärt, auch nicht so ohne weiteres zu ersetzen: «In der Praxis ist es heute noch nicht umsetzbar, auf russisches Erdgas zu verzichten, denn anders als beim Biogas und beim Strom gibt es beim Gas noch keinen Herkunftsnachweis.»

Abkehr vom Erdgas

Ein Fakt, den Ragaz nicht so ohne weiteres hinnehmen wollte. Er wolle die russische Kriegsmaschinerie finanziell möglichst nicht weiter unterstützen, wie er sagt. Neben der politischen Komponente sind es für Ragaz zudem aber auch ökologische Argumente, die ihn zum Handeln bewogen haben: «Auch in Zusammenhang mit dem Klimaschutz halte ich es für sehr wichtig, sich Alternativen für den Erdgasbezug zu überlegen», so Ragaz. In punkto Nachhaltigkeit und Treibhausgasausstoss steht das Erdgas nämlich ziemlich schlecht da: Wie Zahlen des Energieversorgers selbst belegen, ist Erdgas direkt nach Heizöl die in Bezug auf den CO2-Ausstoss mit Abstand nachteiligste Variante, die Wohnung zu wärmen. Demgegenüber hat das lokal hier in der Stadt aus Abfallstoffen wie Grüngut und Klärschlamm produzierte Biogas eine sehr gute Ökobilanz und generiert sogar weniger Treibhausgasemissionen als Fernwärme, Holzpellets oder Wärmepumpen.

Zusätzliche Kosten sind bescheiden

Aus all diesen Gründen planten Mirjam und This Ragaz, den Biogasanteil des in ihrer Siedlung bezogenen Gases zu erhöhen – von momentan 25 auf 30 Prozent. Denn den Anteil von Biogas am gelieferten Energiemix kann jede*r Kund*in bei Energie 360º selbst bestimmen. Die Erhöhung um fünf Prozent klinge zwar zunächst nach einem kleinen Schritt, sei aber gerade deswegen gegenüber der Umstellung vielleicht kritischer eingestellten Mieter*innen gut vertretbar, erklärt Ragaz. Und ein grösserer Effekt solle durch eine Breitenwirkung in der Bevölkerung erreicht werden.
In Bezug auf die Mehrkosten halte sich der zusätzliche Aufwand für die Mieter*innen nach der Erhöhung des Biogas-Anteils in Grenzen, erklärt Ragaz. Er hat aufgrund des bisherigen Gasverbrauchs der Siedlung, sowie des Mehrpreises pro Kilowattstunde, berechnet, welche zusätzlichen Kosten auf die Mietparteien zukommen würden: «Unter Berücksichtigung des aktuellen Gasverbrauchs für eine Viereinhalb-Zimmerwohnung ist für plus fünf Prozentpunkte Biogas mit einem zusätzlichen Aufwand von rund 40 Franken pro Jahr zu rechnen», erklärt er. Ein vertretbarer Mehraufwand, findet Ragaz.

Die Mühe wird belohnt

Nach zahlreichen Gesprächen mit dem Energieversorger, der Genossenschaftsverwaltung und Nachbar*innen orientierte das Ehepaar mit fundierten Informationen im Frühjahr an einer ausserordentlichen Mieter*innenversammlung über ihr Projekt und liess eine erste Vorabstimmung durchführen, in welcher der Vorschlag bereits angenommen wurde. Mitte Juni wurde die Initiative dann endgültig bestätigt. Einstimmig mit zwei Enthaltungen gab ihnen die Siedlungsversammlung grünes Licht für die Durchführung ihrer Pläne. Sie haben die Zusicherung des Geschäftsführers der Genossenschaft, die Biogasanteil-Erhöhung per sofort umzusetzen. Und sie setzen sich mit einer Gruppe Engagierter dafür ein, dass das Beispiel auch anderswo Schule macht.

Und es geht weiter

Das Ehepaar ist glücklich darüber, wie erfolgreich seine Überzeugungsarbeit verlaufen ist. Doch, wie ein Mieter an der Verssammlung betonte, sei zusätzlich der vorgesehene Anschluss der Siedlung an das Fernwärmenetz zu beschleunigen. Damit falle der Gasbezug ganz weg, womit der Solidarität mit der Ukraine und dem Klimaschutz am meisten gedient sei. Ein Ziel, welches sich mit den Klimazielen der Stadt deckt. Generell sind nach Aussagen von Mediensprecher Walser in Höngg noch rund 62 Prozent der Haushalte an das Gasnetz angeschlossen. Bis 2040 aber, so Walser, wolle das Unternehmen ausschliesslich erneuerbare Energien liefern. Und das bedeutet das Ende der Gasversorgung – auch in punkto Biogas. Denn, so Walser: «Biogas ist kurzfristig eine gute Option, um von fossilen Energien wegzukommen. Langfristig sind die Potenziale aber zu gering, als dass man den heutigen Erdgasabsatz vollständig durch Biogas ersetzen könnte.» Die Stadt setzt deshalb auf den Ausbau alternativer Energieformen. Intensiv vorangetrieben wird momentan der Ausbau des Fernwärmenetzes. Und überall dort, wo Gebiete mit Fernwärme erschlossen werden, wird das Gasnetz sukzessive stillgelegt.
In Höngg ist der Ausbau in vollem Gange. Auch die Siedlung, in der Mirjam und This Ragaz wohnen, soll bis Oktober 2023 angeschlossen werden. Die Vorlage «Klimaschutzziel Netto-Null 2040» der Stadt Zürich wurde vom Volk mit 75 Prozent angenommen. Sie hat einen rascheren Klimachutz zum Ziel. Ragaz will sich nun dafür einsetzen, dass nicht nur der Anschluss seiner Siedlung, sondern auch der Fernwärmeausbau in der ganzen Stadt prioritär beschleunigt werden. So könne der Erdgasbezug aus Russland rasch reduziert und die Solidarität mit der Ukraine effektiv gestärkt werden. Zudem steige die Versorgungssicherheit in Anbetracht des von Putin bereits halbwegs zugedrehten Gashahns. «Wir werden auf jeden Fall dranbleiben und uns für die Priorisierung einsetzen», verspricht Ragaz kämpferisch. Über Stadträtin Simone Brander sei es ihm gelungen, einen Kontakt mit dem Geschäftsleiter Wärme Zürich zu vereinbaren. Es gibt also noch genug zu tun.

0 Kommentare


Themen entdecken