Von Nichts kommt nichts

Die Damen- und Frauenriege des Turnvereins Höngg startet einen Versuch, den Verein für die Zukunft aufzustellen. Ein Selbsttest.

Koordinative Kraftübung: Sport ist auch gut für das Hirn. (Foto: Patricia Senn)
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Leicht verschwitzt und etwas ausser Atem erreiche ich das Turnerhaus auf dem Hönggerberg. Die Temperatur liegt an diesem Abend irgendwo zwischen kühl und schwül. In meinen junggebliebenen Übermut habe ich mich für ein neues Angebot der Damen- und Frauenriege des Turnvereins Höngg (TVH) angemeldet, das «Outdoor Training». Hätte ein einfaches Interview nicht auch gereicht? Fluchtgedanken regen sich. Zu spät: Man hat mich entdeckt. Auf dem roten Turnplatz hat Konstanze Biniok mit farbigen Plastikschemeln und sogenannten Pylonen, auch Verkehrstöggel genannt, einen Parcours aufgestellt.
Die frühere Sieben-Kämpferin leitet seit zwanzig Jahren das Konditionstraining des TVH. Die Idee des neuen Angebots: «Wenn es das Wetter zulässt, gehen wir in den Wald und absolvieren dort Intervalltrainings und verschiedene Kraftübungen», erklärt sie. Wenn es regnet, bleibt sie mit der Gruppe auf dem Platz oder macht mit ihnen die Übungen unter dem Vordach des Turnerhauses.

Männer in der Frauenriege

Mittlerweile sind drei Mitstreiter*innen eingetroffen, zwei Frauen und ein Mann. Auch das ist neu: Die Kurse der Frauen- und Damenriege sind für alle Geschlechter offen. Das führt zwar momentan noch zur ungewöhnlichen Situation, dass Männer Mitglieder der Frauenriege werden, davon lässt sich ein richtiger Mann aber nicht abschrecken. Zum Aufwärmen machen wir das Lauf-ABC. Wir rollen die Füsse im Gehen mal von der Ferse, mal von den Zehenspitzen her ab, Hüpfen zurück, ziehen bei jedem fünften Schritt die Knie hoch. «Immer schön mit den Armen mitgehen», mahnt Biniok. Inzwischen ist auch Barbara Gubler, Präsidentin der Damen- und Frauenriege Höngg und treibende Kraft hinter der Modernisierung, zur Gruppe gestossen. Sie nutzt die Pause zwischen zwei Fussballtrainings, um selber zu trainieren. Stillsitzen ist nicht so ihr Ding. Vielleicht wollte sie deshalb vor über zwei Jahren nicht mehr zusehen, wie der Turnverein schleichend seine Mitglieder verlor und keine neuen fand – ein bekanntes Problem fast aller Vereine.
Gemeinsam mit Monique Homs, die ebenfalls Mitglied im TVH ist, überlegte sie, was zu tun sei. Eine Umfrage bei Leuten zwischen 20 und 45 Jahren brachte wichtige Erkenntnisse: Menschen möchten heute flexibel entscheiden, wo und wann sie ihre Zeit einsetzen. «Es ist das Fitness-Club-Modell», sagt Gubler. «Das können wir auch, aber günstiger und nachhaltiger», dachten die Frauen. In einem ersten Schritt erweiterten sie ihr Angebot um Kurse wie Pilates, Bodyforming und Yoga und hoben die Geschlechtertrennung auf. Besondere Aufmerksamkeit schenken sie den Jugendlichen ab der Oberstufe, für die es schlicht kein Angebot gab. «Wenn wir die Jugend mit attraktiven Angeboten auch nach dem Jugendalter im Verein behalten können, werden sie uns bis in Alter erhalten bleiben», davon ist die langjährige Vereinsfrau überzeugt. Der Erneuerung des Angebots legte Corona erste Stolpersteine in den Weg. «Doch so schnell geben wir nicht auf. Wenn es uns auch in Zukunft geben soll, müssen wir das klassische Vereinsmuster ablegen und uns den neuen Bedürfnissen anpassen, ohne dabei alte Traditionen zu verlieren», meint sie kämpferisch. Von nichts kommt nichts, denke ich.

Von Töggel zu Töggel

Nun beginnt das «richtige» Training. «Ich arbeite gerne und oft mit eigenem Körpergewicht mit Übungen aus dem Functional Training», erklärt Biniok. «Dafür muss man kein Leichtathletikprofi sein», beruhigt sie. «Jeder und jede kann selbst dosieren, wie viel er oder sie aus sich rausholen will». In schnellen Seitwärtsschritten eile ich von Töggel zu Töggel. So weit, so gut. Auch die erste Runde Liegestütze schaffe ich fast locker. Dann lerne ich etwas Neues: Koordination ist scheinbar nicht meine Stärke. Die Plastik-Schemmel, die in einer Reihe stehen, sind nämlich nicht aus ästhetischen Gründen verschiedenfarben, sondern sollen uns dabei helfen, einmal mit dem linken und einmal mit dem rechten Fuss darauf zu stehen und abzuspringen. Mein Hirn ist komplett überfordert. Es vergisst sofort, mit welchem Fuss ich als letztes abgesprungen bin. Welche Farbe für welchen Fuss steht, hat es noch gar nie richtig begriffen und am Ende ist «Abspringen» nur ein Wort ohne Bedeutung. Beim Steigerungslauf blühe ich auf. Wie der Name sagt, beginnt man langsam und beschleunigt bis zum Sprint – ich liebe es-
Nach zwei weiteren Runden sagt Biniok: «So, das war das Training für den Erhalt der Fitness, die nächsten zwei Runden machen euch stärker». Während ich noch denke, das sei typischer Sportlerhumor, sind die anderen schon wieder startklar. Dann war das also doch kein Witz. «Von nichts kommt nichts», denke ich, während mein Bizeps zu brennen beginnt.

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