Vom Offizin zur Apotheke

Höngg hat auf engem Raum im Umkreis des Meierhofplatzes eine relativ hohe Dichte an Apotheken. Wie kam es dazu und wie sieht eigentlich die Geschichte des Berufsstandes der Apotheker in der Schweiz aus? Eine pharmazeutische Zeitreise.

Das Kräuterbuch, das in der Apotheke Stadelhofen im Regal steht, ist über 500 Jahre alt und eines der ersten nach Erfindung des Buchdrucks.
Die Apotheke Höngg an der Limmattalstrasse 124, nach dem Umbau 1947.
Limmattalstrasse 177, aufgenommen 1958, abgebrochen 1960 – die Baugespanne des neuen Rebstockgebäudes sind bereits sichtbar.
Im Lagerraum einer Apotheke vergangener Zeiten.
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Der Begriff «Apotheke» leitet sich vom griechisch-lateinischen «apotheca» ab, dem Wort für «Lager» oder «Magazin». Die Geschichte der Apotheker ist eng mit jener der Pharmazie, also mit der Wissenschaft der Herstellung von Heilmitteln, verbunden. In alten Kulturen lag das Wissen um die heilende Wirkung von Pflanzen und anderen Ingredienzien in den Händen von Schamanen und Kräuterfrauen, später in jenen von Mönchen und Nonnen: Bereits der um 820 entstandene Klosterplan von St. Gallen sah einen Arbeitsort für den Klosterapotheker vor, das «armarium pigmentorum». Ab dem frühen Hochmittelalter, also ab Mitte des 11. Jahrhunderts, ist in Europa bezeugt, dass auch Ärzte sich mit diesem Teilgebiet der Heilkunde befassten, wie das historische Lexikon der Schweiz berichtet (siehe Infobox «Quellen»). In anderen Teilen der Welt war man indes viel weiter, und so gelangten ab dem 11. Jahrhundert, speziell aus dem arabischen Raum, neue Rezepturen nach Europa.
1241 erliess Kaiser Friedrich II. eine Medizinalordnung, welche die Kontrolle der Apotheker durch die Obrigkeit verfügte, sie zur Führung eines Arzneibuches und einer Gebührenordnung verpflichtete und erstmals die Tätigkeiten von Ärzten und Apothekern trennte.
Auch in der Schweiz, wo in Genf und Basel um 1270 erste Apotheken dokumentiert sind, zeigte dieser Erlass Wirkung. Zwischen 1309 und 1321 wurde in Basel – man ist versucht zu sagen «wo denn sonst» – der Basler Apotheker-Eid verfasst. Andere Städte folgten innert Kürze mit ähnlichen Regelungen, welche feste Medikamentenpreise vorschrieben, die Ausbildung reglementierten, Formelsammlungen sowie die Inspektion der Offizien – wie ab dem späten Mittelalter Werkstätten bezeichnet wurden, die hochwertige Waren produzierten – vorschrieben.

Apotheker waren einflussreich

Apotheker waren in Zünften organisiert, in Zürich ab 1336 und bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Safranzunft. Somit bestimmte das Zunftwesen die Ausbildung: Das hiess in der Regel eine drei- oder mehrjährige Lehrzeit, anschliessend Gesellenjahre – allenfalls auf Wanderung – und zum Schluss das Meisterstück und die Prüfung. Doch bei den Apothekern erteilte erst die Obrigkeit die Zulassung zur Berufsausübung. So war dazumal der Apotheker in erster Linie reiner Handwerker, wie Dr. Ursula Hirter-Trüb, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für die Geschichte der Pharmazie (SGGP) dem «Höngger» berichtet: «Er stellte nur Arzneimittel her, ohne wie heute Kundschaft zu beraten. Er musste sich um die Rohstoffe kümmern und war gemäss der geltenden ‹Pharmacopoe›, dem Arzneimittelbuch, verpflichtet, die Rohstoffe vorrätig zu haben, was zu jener Zeit kostspielig war». So hätten die Apotheker die Kräuter auch selber im Garten gezogen und auf dem Estrichboden getrocknet, oder sie zählten auf vertrauenswürdige Kräuterlieferanten, «Kräuterweiber», und kauften, was ihnen fliegende Händler an exotischen Kräuter anboten.
Zu Beginn sei die Kundschaft nur durch Guckfenster bedient worden, so Hirter-Trüb, erst mit der Zeit habe sich der Innenraum der Apotheke zur Offizin entwickelt, wo die Kunden auf ihre Arznei warteten. Meistens war das ganze Apothekerhaus genutzt: Im kühlen Keller wurden die Tinkturen und Essenzen gelagert, im ersten Stock lebte die Familie, im zweiten Stock waren Kräuterkammer und das Glas- und Rohstofflager, der Estrich diente zum Trocknen der Kräuter. Das dabei gesammelte Wissen fasste zum Beispiel der Zürcher Hannes Minner im 15. Jahrhundert im ältesten bekannten Werk über Heilpflanzen in der Schweiz zusammen. Doch nicht nur wissenschaftlich waren die Apotheker jener Zeit sehr einflussreich: Die Familie Schwarzmurer, die 1350 die erste Apotheke Zürichs gründete, betrieb einen regen transalpinen Grosshandel mit verschiedensten Produkten, was sie auch gesellschaftlich und politisch sehr einflussreich machte.

Vom Handwerk zur universitären Disziplin

Ab der Renaissance, also im 15. und 16. Jahrhundert, kam Bewegung in die Arzneimittellandschaft, und die Apotheken festigten ihren Stand weiter: Neue Heilpflanzen aus Amerika wurden eingeführt, die ganze Botanik wurde erneuert, Herbarien entstanden und neue, von den Theorien des Paracelsus beeinflusste spagyrische Medikamente kamen zum Einsatz. Später dann, während der Aufklärung, wurde Nützliches von Unnützem getrennt und zwei Arzneibücher erschienen: 1771 die Basler «Pharmacopoea Helvetica», sie wurde vor allem vom Berner Arzt Albrecht von Haller zusammengestellt. Sie wurde nie als offizielle Pharmacopoe anerkannt, aber ist ein Zeitzeugnis der Medizin jener Zeit. 1780 folgte ihr die «Pharmacopoea Genevensis». Dies zeigt, wie damals Apotheken auch wissenschaftliche Bildungsstätten waren und Forschung betrieben. Erst ab 1797 übernahmen auch in der Schweiz nach und nach Hochschulen diese Funktionen. Als die Wissenschaften im 19. Jahrhundert mehr und mehr unterteilt wurden, wurde 1843 auch der Schweizerische Apothekerverein gegründet. Erst jetzt waren die Apotheker von den Zünften unabhängig. Auch die Pharmazie war nun Teil der universitären Ausbildungen, bis 1877 allerdings nur als Ergänzung zur handwerklichen Ausbildung ausgerichtete Vorlesungen in Botanik, Chemie und Arzneikunde. Erst später schrieb das Bundesgesetz eine akademische Ausbildung vor. Ab Ende des 19. Jahrhunderts hielten synthetische Medikamente Einzug, die chemische Industrie florierte und die Fertigarzneimittel ersetzten nach und nach die in den Offizinen der Apotheken hergestellten Medikamente – der Beruf des Apothekers wandelte sich mehr und mehr vom Hersteller zum wissenschaftlich ausgebildeten Berater. 1865 erschien die «Pharmacopoea Helvetica», das dannzumal hier massgebende Arzneibuch. Seit 1964 beteiligt sich die Schweiz an der Bearbeitung der «Pharmacopoea Europea». Beide Arzneibücher werden laufend überarbeitet und immer die neuste Ausgabe ist in der Schweiz gültig.

Die Situation «auf dem Land»

Allgemein war im Spätmittelalter und weit darüber hinaus die Zahl der Apotheken nirgends obrigkeitlich beschränkt. Auf dem Lande wurde die Tätigkeit des Apothekers indes, ausser in Klosterapotheken, kaum ausgeübt. Später wurde in gewissen Städten die Zahl der Apotheken limitiert, so durften um 1860 in Basel nur deren acht betrieben werden. Die Gewerbe- und Handelsfreiheit kam erst um 1880 auf. «Durch die Limitation kam eine Apotheke nur in neue Hände, wenn diese verkauft wurde oder eine Wittfrau eines Apothekers wieder einen Apotheker heiratete», berichtet Hirter-Trüb. Und was heute noch zu Diskussionen führt – dazu mehr in einem der Folgeartikel – war schon früher nicht unproblematisch: Die schweizerische Eigenart, in vielen Kantonen die Selbstdispensation der Ärzte zuzulassen. «Für Apotheker», so Hirter-Trüb, «war es nicht attraktiv, in ländlichen Gegenden eine Apotheke zu gründen». Wie gelesen unterstand der Apotheker seit dem 15. Jahrhundert vielen qualitativen Regularien, welche kostspielig waren. Man denke nur an den gesetzlich vorgeschriebenen Vorratszwang: Teure Ware musste hergestellt werden, wurde dann aber nicht verschrieben und vergammelte. Versicherungen gab es dafür keine. Vielleicht war da das Betreiben einer Drogerie eine Alternative, mutmasst Hirter-Trüb: «Was hatte eine Drogerie vor 150 Jahren im Sortiment? Neben Kräutern auch Tinkturen, Elixiere und Salben, Seifen, Spirituosen, Tabak, Kosmetika, Lampenöl, Leim, viele technische Stoffe, die es heute gar nicht mehr gibt und welche der Apotheker selten vertrieb. Kräuter waren in ländlichen Gegenden bestimmt auch ein Thema, obwohl dort die Familien noch wussten, wie man sich in Krankheiten behalf, weil das die einzig bezahlbare Möglichkeit war – Ärzte wie Apotheker waren teuer».

In Höngg von einer zu deren vier

In der 1918 erschienenen «Geschichte der zürcherischen Pharmazie» von Emil Eidenbenz, in der er unter anderem die Eröffnungen der «Landapotheken» kurz nach der Jahrhundertwende beschreibt, ist keine Apotheke in Höngg erfasst. Man kann also daraus schliessen, dass es in Höngg damals noch keine Apotheke gab. Was es jedoch gab, waren zwei Drogerien: Die ältere Dorfbach-Drogerie von Alfred Kunz, heute im Hönggermarkt, und die Moosweg-Drogerie von Thomas Müller an der Zürcherstrasse 82, der heutigen Limmattalstrasse 124. «Moosweg» hiess bis zur Eingemeindung 1934 der heutige Schwertweg, der gleich neben dem Haus vorbeiführt. Beide Drogerien waren übrigens Inserenten im ersten Erscheinungsjahr des «Hönggers», der damals noch «Korrespondenzblatt» hiess.
Wann genau die Drogerie auch zur Apotheke wurde, ist zunächst unklar. Anhand der Inserate im «Höngger» ist dies aber spätestens ab Dezember 1930 der Fall. 1932 kaufte der Apotheker Heinrich Briner das Haus der Erbengemeinschaft Müller ab und führte es als Drogerie und Apotheke. Sein Sohn Felix erinnert sich: «Das Ladenlokal war in zwei Hälften getrennt, jeder mit eigener Ladentüre, um den Unterschied der beiden Geschäftszweige anzudeuten». Die Trennung wurde bei einem Umbau 1947 aufgehoben und auf den Verkauf von typischen Drogerieartikeln wurde verzichtet, beide Schaufensterseiten trugen fortan den Schriftzug «Apotheke Höngg».
40 Jahre führte Heinrich Briner die Apotheke. 1972, mit 69, fand er es an der Zeit, die Leitung abzugeben. Sein Sohn Felix hatte indes bereits in Basels pharmazeutischen Industrie Fuss gefasst, und so beschloss der Familienrat den Verkauf. «Am 15. Mai 1972 übernahm Dr. Elisabeth Schaerer, die langjährige Chef-Apothekerin des Waidspitals, die Apotheke Höngg», so verabschiedete sich Briner per Inserat im «Höngger». 1984 verkaufte Schaerer ihrerseits an Beatrice Jaeggi-Geel, diese zog 1992 – die Lage nahe der Haltestelle «Schwert» an der Limmattalstrasse war etwas ins Abseits geraten – an den Meierhofplatz. 2015 verkaufte sie ihr Geschäft an die Rotpunkt-Gruppe, und diese fusionierte die Apotheke mit der Drogerie Parfümerie Hönggermarkt an deren Standort.

Limmat Apotheke

Die Limmat-Apotheke an er Limmattalstrasse 242 wurde 1956 von der Apothekerin Marianne Felber gegründet. Das Gebiet rund um die Wartau war damals ein «neues Aussenquartier der Stadt». 1981 erfolgte die Übernahme durch Christine Demièrre, wie ihre Vorgängerin in einem Inserat im «Höngger» bekanntgab. Unterstrichen wurde der Wandel durch einen kompletten Umbau. 2001 konnte das angrenzende Ladenlokal dazu gemietet werden. Im Jahr 2009 wurde die Limmat-Apotheke Mitglied der Rotpunkt-Gruppe, und 2016 verkaufte Christine Demièrre ihre Apotheke an Moritz Jüttner.

Apotheke zum Meierhof

1957 wurde mit der Planung des Neubaus Rebstock am Meierhofplatz begonnen, für den dann das altehrwürdige Restaurant Rebstock und seine Nebengebäude weichen mussten. Am 12. Juli 1962 wurde der Neubau eröffnet, ein «Einkaufszentrum» mit Kino – und Karl Vogel eröffnete seine Apotheke zum Meierhof, der damals zweiten überhaupt in Höngg. Zehn Jahre später übernahm sein Sohn Urs das Geschäft und dieser wiederum verkaufte es per 1. März 2003 an Rolf Graf. Seit August 2010 gehört die Apotheke ebenfalls zur Rotpunkt-Gruppe.

Apotheke Im Brühl

Als letzte kam im April 1990 die Apotheke Im Brühl dazu, als Gerald Welbergen sein Geschäft, von der Konkurrenz wegen der damals noch nicht so prominenten Lage mit Skepsis beobachtet, neu eröffnete. Welbergen hatte das Potential dieser Lage aber richtig erkannt. Anfang 2000 wurde bereits modernisiert und 2016 gleich nochmals. Im Jahr zuvor war Welbergen in Pension gegangen und hatte die Apotheke an die Rotpunkt-Gruppe verkauft. Geschäftsführerin ist seither Susanne Wolf, die nach dem Studium in Graz aus der Steiermark nach Höngg kam.

Stichwort Rotpunkt
Die Rotpunkt-Pharma AG wurde 2001 gegründet und hat heute 105 selbstständige Mitglieder in 15 Kantonen. Sie zeichnet sich nebst ihrem Kerngebiet auch durch ihr soziales Engagement aus: einen grossen Anteil der anfallenden Konfektionierungsarbeiten lässt sie von der Vebo Werkstatt Oensingen ausführen und hilft so mit, Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderung zu sichern.
Der Höngger Zünfter, Dr. Rudolf Andres, ist Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer der Rotpunkt-Pharma AG.

Quellen:
Historisches Lexikon der Schweiz, www.hls-dhs-dss.ch, «Apotheker» von Hans-Rudolf Fehlmann und «Pharmazie» von François Ledermann.
Dr. Ursula Hirter-Trüb, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für die Geschichte der Pharmazie (SGGP).
Felix Briner, Reinach
Wikipedia

Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die finanziell durch die vier Höngger Rotpunkt-Apotheken und Drogerien unterstützt wurde. Die Artikel wurden ohne redaktionelle Einschränkungen erstellt.
Nächster Artikel: 11. April, «Impfen: Was, wann und wo?»

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