Urteil mit unklaren Folgen

Am Fachpodium der Zeitschrift «Hochparterre» zum Ringling-Urteil des Bundesgerichtes und dessen mögliche Folgen offenbarte sich die Verwirrung der Architektur- und Bauherrenkreise.

Die Diskussion ist noch lange nicht beendet.

Am Montag, 7. November, hatte die Zeitschrift «Hochparterre» Fachleute und Interessierte zum Städtebau-Stammtisch ins Restaurant Desperado nach Höngg geladen. Moderatorin Rahel Marti brachte die Post-«Ringling»-Stimmung in Architekturkreisen gleich in der Einleitung auf den Punkt: Sie passe zum Namen des Veranstaltungsortes, «Desperado», der Verzweifelte, so fühle man sich. Dass diese «Verzweiflung» insbesondere auf verschiedenen Interpretationen des Urteils beruht, sollte sich in der Diskussion dann gebührend zeigen. Nach der Einleitung durch Ursula Müller, Mitglied der Geschäftsleitung im Amt für Hochbauten der Stadt Zürich und Adrian Streich, Architekt und Mitglied der Jury des Ringling-Projektwettbewerbs, waren alle im Saal auf dem gleichen Stand. Streich begründete nochmals den damaligen Entscheid für das Projekt «Ringling» und blieb bei der Einschätzung, dass es einen guten Bezug zum Rütihof nehme. Dem widersprach zuerst der emeritierte ETH-Professor für Raumordnung und Ringling-Gegner Jakob Maurer aus raumplanerischer Sicht. Gefragt nach dem Hauptmotiv für den Widerstand gegen den Ringling: «Höngg ist offen bebaut, eine Hofrandbebauung ist hier komplett falsch». Schützenhilfe bekam Maurer dabei von Alt-Bundesrichter, Planungs- und Baurechtsexperte Heinz Aemisegger. Selbst nicht am Urteil beteiligt hatte er die Akten studiert und wies das ganze Projekt vom Planungsbeginn bis hin zum Bundesgerichtsurteil mit zwei Kernaussagen in seine Schranken. Zuerst mit Blick auf das gross auf die Leinwand projizierte Bild des Stadtmodels: «Es kommen im Rütihof keine Blockrandbebauungen vor und sie, Stadt und Architekten, wussten, dass sie mit Paragraf 71 des PBGs konfrontiert werden würden». Jener Artikel, der verlangt, dass sich Arealüberbauungen «besonders gut» in die Umgebung einzupassen hätten. Und im Nachsatz dazu hielt Aemisegger fest, dass es nach seiner Auslegung des Urteils so einfach nicht rechtskonform gewesen sei und das Projekt mit seiner schieren Grösse die Dimensionen einer Arealüberbauung überstiegen habe. Mit dem richtigen Vorgehen hingegen, nämlich dem Weg über einen Gestaltungsplan, wäre der Ringling möglicherweise bewilligungsfähig gewesen. Im Gegensatz zum Instrument der Arealüberbauung, zu der die Behörden selbstmächtig eine Bewilligung erteilen, redet bei einem Gestaltungsplan das Parlament mit, und damit indirekt auch die Bevölkerung. Der zentrale Punkt des Bundesgerichtsurteils ist laut Aemissegger, der seine Voten eloquent vorbrachte, also, dass ein so grosses Projekt nicht an den Stimmberechtigten vorbeigeplant werden darf. Dass ihm diese wohl zustimmen, zeigte sich bereits in den letzten Jahren bei anderen Arealüberbauungen in ganz Zürich mit Widerstand aus der Bevölkerung. Bislang setzten sich die Baubehörden immer durch, nun wurde ihnen eine Grenze gesetzt. Wo die genau liegt, ist allerdings noch nicht klar definiert.

Die Grundordnung darf nicht ausgehebelt werden

Was weder die damit direkt angesprochenen, Ursula Müller und Adrian Streich, auf dem Podium noch eine Mehrheit der Fachleute im Saal lange nicht zu verstehen schienen, obwohl der Alt-Bundesrichter mehrfach darauf hinwies: Das Urteil kritisierte nicht die Arbeit der Architekten oder die Gestaltung des «Ringlings», sondern vor allem das angewandte Bewilligungsverfahren. Und er hält an die Adresse der Stadt Zürich fest: «Man kann mit einem Sondernutzungsplan (was Arealüberbauungen nun mal sind, Anm. der Redaktion) nicht die Grundordnung aushebeln». Die Stadt müsste, um für die angestrebte Verdichtung gewappnet zu sein, aufzonen, also zum Beispiel dort wo heute nur dreigeschossige Bauten zulässig sind, viergeschossige erlauben. Doch das könne sie, so kurz vor der Einführung des Mehrwertausgleiches, bei dem der durch die Aufzonung für die Landbesitzer entstehende Mehrwert abgeschöpft werden soll, nicht tun. Ob das «Ringling»-Urteil nun ein Einzelfall bleibt, wird sich zeigen. Dass die Diskussion nicht abgeschlossen und die Verwirrungen nicht behoben sind, zeigte eine Frage aus dem Publikum exemplarisch: Da wollte jemand das Gespräch auf den massiven Ausbau des Uniquartiers lenken und wurde von der Moderatorin, weil dies nicht das Thema des Abends war, abgeblockt und gleichzeitig von der grossen Mehrheit im Saal mit unverständlichem Lachen zum Schweigen gebracht. Verdichtung – egal ob unter kommunaler oder kantonaler Hoheit geplant – und wie sie ortsverträglich umzusetzen ist, wird sicher weiterhin für Streitigkeiten bis vor Bundesgericht sorgen.

PDF zum Fach-Artikel im Hochparterre

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