Unterwegs mit Höwi: Sizilien liegt am Wasser

Eine idyllische Sonnenterrasse, himmelblaue Tische und eine Küche, die nach «Dolce far niente» schmeckt: Höngg hat eine kulinarische Perle an der Limmat, die zu entdecken sich lohnt. Aber warum um Himmels Willen haben die Verkehrsbetriebe die Buslinie der Limmat entlang eingestellt?

«Carpaccio di Cedro», serviert im Garten.
Christine und Domenico Guarneri, er mit einer kleinen «Cedro» in der Hand. Die Früchte können so gross wie Fussbälle werden.
Domenico Guarneri zeigt eine alte Luftaufnahme der Fabrik.
1/3

Grün ist es und lauschig, majestätisch zieht die Limmat Richtung Westen. Aus der Küche hört man Domenico, der ein Paillard zartklopft. Im Ofen schmort ein Seeteufel im Salzmantel. Domenicos Frau Christine serviert zwei jungen Frauen Kaffee und «Torta al limone». Es sind Grafikerinnen, die aus einem der Ateliers im nahen Gebäude an die Sonne geflüchtet sind. In der Fabrik am Wasser, wo heute Kreative und Gewerbler ihre Büros haben, wurde früher Seide produziert. Ein Seitenkanal führte das Limmatwasser ins Turbinenhaus, wo seit 2007 das gleichnamige Restaurant zu Hause ist. Innen ein «arty» Interieur mit grossen Fenstern, draussen ein Garten, der das Wort «Oase» verdient. Wer an dieser Perle vorbeifährt oder sie joggenderweise links liegen lässt, verpasst etwas.

Cucina siciliana

Einen langweiligen «Misto» sucht man vergeblich auf der Karte. Dafür gibt’s Orangen-Fenchel-Salat, gedämpfte Artischocken oder apulische «Burratine». Das sind Mozzarellakugeln, die innen wunderbar cremig sind. Auch «Carpaccio di Cedro» steht auf der Karte. Cedro ist eine Zitrusfrucht, die in Sizilien und Kalabrien angebaut wird. Hauchdünn aufgeschnitten, mit Parmigiano, Artischocken und Olivenöl drauf, ergibt dies eine erfrischende Vorspeise. Für Höwi halbiert Domenico eine der Zitrusbomben, die ihm ein «Gmüesler» jeweils frisch aus Sizilien bringt. Sie besteht fast ganz aus weissem Schalenfleisch, nur der innerste Kern ist fruchtig. In Süditalien werden die Früchte auch in Schnitze geschnitten und mit etwas Salz als Apérohäppchen genossen.

Frisch, saisonal und regional

Genau so hat sich Carlo Petrini das vorgestellt, als er in den 1980er-Jahren «Slow Food» ins Leben rief: Leute, die mit Herzblut gegen den Einheitsbrei antreten. Zum Beispiel mit Spaghetti «al baffo», heisst mit Kalbfleisch, Tomaten-Rahmsauce und Peperoncini. Oder die Nudeln mit Gamberoni, Mies- und Venusmuscheln und Oliven. Beides erstklassig, fatto à casa. Das liegt bei Domenico auch in den Genen: Er kommt aus Palermo, einer Hochburg des guten Essens, und wenn die Mama Caponata kochte, dann schaute der kleiner Knirps fasziniert zu: «Schon früh war für mich klar: Ich will Koch werden!» Nach der Hotelfachschule kam er in die Schweiz und lernte Christine kennen. Amore! Und weil die beiden so gut harmonierten und ein Konzept auf den Tisch legten, das den Behörden gefiel – die Stadt ist Besitzerin der Liegenschaft –, konnten sie am 1. April 2007 das Restaurant übernehmen. Für Christine, die in der Werbung gearbeitet hatte, ein Sprung ins kalte Wasser: «<Sie kommen, sie kommen!>, habe ich geschrien, als uns die Leute am Eröffnungstag überrannten. Für mich war der Schritt ins Gastrogewerbe eine gewaltige Umstellung, auch von den Arbeitszeiten her: Das ist wie bei der Limmat: Es läuft und läuft – bei uns sechs Tage und zwölf Stunden lang.»
Eben fährt ein Lieferwagen mit dem «Bianchi»-Logo vor. Einen prächtigen Wolfsbarsch, Riesencrevetten und Tintenfische nimmt Domenico entgegen. Klar, Tintenfisch ist nicht jedermanns Sache. Aber es lohnt sich, Domenicos «Polipi» auszuprobieren. Die sind nicht gummig, sondern «à ghiotta» und das heisst: delikat. Auch einheimischer Fisch steht auf der Karte, zum Beispiel Egli gebacken als Knusperli. Natürlich kommen auch die Fleischtiger auf die Rechnung. Der Kalbsbraten «Turbinenhaus» kann keine Nonna besser machen. Am Sonntag wird die Tradition des Sonntagsbratens hochgehalten. Die ganze Woche hat der Fond geköchelt, mit etwas Marsala drin. Eine Darreichung zum Niederknien, vor allem, wenn man draussen an einem himmelblauen Tisch tafelt und sieht, wie Neptun aus den kühlen Fluten der Limmat steigt. Was freilich auch an den Weinen liegen kann. Die sind zum grossen Teil sizilianischer Provenienz und ausgesprochen süffig.

Kritik?

Dass Höwi diese Perle erst vor kurzem entdeckt hat, liegt am Tunnelblick: Das Gute liegt so nah, aber man sieht es nicht. Dies dürfte auch anderen so gehen. Ergo würde Höwi vorne an der Strasse ein Tischchen platzieren, weiss aufgedeckt, mit einem Kühler und einer edlen Flasche drin. Und auf der Tafel könnte stehen: «Qui si mangia bene, 10.30 bis 23 Uhr.» Dann, liebe Florian Utz (SP) und Guido Trevisan (GLP): Ihr habt doch die Idee der Buslinie Rütihof/Frankental/Am Wasser/Hauptbahnhof lanciert. Der Gemeinderat hat das Postulat angenommen. Warum geht’s nicht weiter? Alternativ wäre auch ein Seilbähnli hübsch: Von der Kirche runter zur Limmat. Wenn wir schon keinen anständigen Dorfplatz haben, müssen halt andere Ideen her. Höngg darf ruhig noch etwas frecher werden…

Turbinenhaus
Christine und Domenico Guarneri
Am Wasser 55, 8049 Zürich-Höngg
Telefon 043 311 58 08
www.restaurant-turbinenhaus.ch
Montag bis Freitag 10.30 bis 23 Uhr
Samstag Ruhetag
Sonntag 11 bis 23 Uhr

Zum Autor
Er nennt sich Höwi, ist ein stadtbekannter Gastrokritiker und Buchautor und schaut den kochlöffelschwingenden Profis im Kreis 10 in die Töpfe. Die Gastrokolumne erscheint monatlich im «Höngger» und alle drei Monate im «Wipkinger».
Fredy Haffner, Verlagsleiter Quartierzeitung Höngg GmbH

 

0 Kommentare


Themen entdecken