«Unter Absingen ihrer deutschen Marschlieder»

Zwischen 1941 und 1943 nutzten die deutschen Nazis in der Schweiz die «Villa Wehrli» im Heizenholz als Sommerfrische und Ausbildungszentrum. Mit der lokalen Bevölkerung kam es immer wieder zu Konflikten.

Am 14. Juni 1941 wurde das «Kameradschaftshaus der Deutschen Kolonie» an der Regensdorferstrasse in Höngg feierlich eingeweiht. «Allein und still gelegen, dient es allen deutschen Gemeinschaften in der Schweiz als Stätte der Kameradschaftspflege, der geistigen Stärkung und der Erholung vom Alltag», heisst es in einer Werbeschrift. Walter und Mariell Wehrli, die rechtsradikalen Ideen anhingen und mit den Nationalsozialisten sympathisierten, hatten ihr feudales Landhaus im Heizenholz an die von den Nazis kontrollierte Organisation der Deutschen in der Schweiz vermietet. Diese nutzten das «Fröntlerhaus» als Wochenendhaus und Ausbildungslager für Auslandsdeutsche, die jeweils aus der ganzen Schweiz angereist kamen. Die Turnerschaft der Ortsgruppe Zürich der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei führte auf dem grossen Umgelände eine eigene «Anbauschlacht» durch. NSDAP-Ortsgruppenleiter Erwin Lemberger wollte mit diesem Tribut an die Autarkiebemühungen der Schweiz bei der Agrarproduktion wohl die Loyalität der «Deutschen Kolonie» gegenüber dem Gastland herausstreichen.

Hitlers «alter Kämpfer» im Heizenholz

Die Strafverfolgungsbehörden hatten bereits die Vorgänge in der «Villa Wehrli» streng kontrolliert. Im Mai 1941 äusserte die Bundesanwaltschaft «Bedenken» gegen die Errichtung des Kameradschaftshauses, glaubte jedoch nicht, «dass genügend Gründe für eine Ablehnung vorliegen». «Vom erwähnten Haus aus geniesst man eine prächtige Aussicht auf die Stadt und besonders auf die militärischen Anlagen in Dietikon und Umgebung», heisst es in einem Polizeirapport. Nicht ohne Grund befürchtete man, dass die Nazis in der Schweiz teilweise in nachrichtendienstlicher Mission unterwegs waren. Lemberger selbst wurde jedenfalls im Mai 1943 von einem Militärgericht wegen Spionagetätigkeit verurteilt. Die Besucherschaft des Kameradschaftshauses unterlag einer rigiden Polizeikontrolle. So wurde etwa registriert, dass Ende August 1941 ein Josef Feichtmayr aus Bayern «zwecks Durchführung eines Lehrganges bei den deutschen Kolonien» im Kameradschaftshaus in Höngg abstieg. Den Behörden blieb jedoch verborgen, dass es sich bei dem Sturmbannführer um einen Nazi der ersten Stunde handelte. Feichtmayr, NSDAP-Mitgliedsnummer 104, hatte bereits am Hitler-Putsch 1923 in München teilgenommen und war Gründungsmitglied des «Stosstrupps Adolf Hilter», der späteren SS. Was der «alte Kämpfer» den rund zwanzig Kursteilnehmern genau erzählte, lässt sich anhand der schweizerischen Akten nicht erschliessen. Bekannt ist allerdings, dass die wechselnden Bewohnerinnen und Bewohner des Kameradschaftshauses in Höngg von Beginn weg als Störenfriede wahrgenommen wurden. Die mit Ackerarbeiten betreute NSDAP-Sportgruppe holte die «während der gegenwärtigen grossen Hitze erforderliche Tranksame» gemäss Revierdetektiven in der Gartenschenke des Restaurants Grünwald, «was eine gehobene Stimmung bewirkt». «Die Leute gehen aber auch oft in die genannte Wirtschaft, um dort ihren Durst gleich an der Quelle zu stillen», so der Polizeibericht. «Wie immer, wenn sich diese Burschen in der Mehrzahl befinden, fühlen sie sich stark, und so fehlt es bei solchen Gelegenheiten selten an mehr oder weniger versteckten Provokationen.» So geschehen bereits eine Woche nach der Eröffnung des Kameradschaftshauses, am Sonntagnachmittag des 22. Juni 1941. In den frühen Morgenstunden hatte mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion der deutsche Vernichtungskrieg im Osten begonnen. In der Gartenbeiz hätten die euphorisierten Deutschen die entsprechende Radiomeldung «mit Bravorufen quittiert». «Glücklicherweise sollen keine Gäste anwesend gewesen sein, die an einem solchen Gebaren Anstoss genommen haben», so Quartierpolizist Geisseler, der fürchtete, es werde ob solch «provokatorischem Benehmen» über kurz oder lang zu einer «Keilerei» oder gar einer «schwerwiegenden Schlägerei» kommen.

Eine «deftige Prügelei»

Die Anwohnerschaft beklagte sich regelmässig über den Lärm, den die deutschen Sommerfrischler jeweils am Ende ihres Aufenthalts im Heizenholz verursachten. So erstattete im Mai 1942 Paul Mathys von der Regensdorferstrasse Anzeige wegen Nachtruhestörung. Er wohne «an der grossen Aufmarschroute» zum Kameradschaftshaus und werde öfters aus dem Schlaf geschreckt, wenn die Heimkehrer um Mitternacht «ihre deutschen Marschlieder erschallen liessen» und im Gleichschritt stadteinwärts zogen. «Er hoffe zuversichtlich, dass die entsprechenden Schritte unternommen würden», schrieb der empörte Höngger Kaufmann der Stadtpolizei, «damit ihm der Weg der Selbsthilfe erspart bleibe». Beim «Absingen ihrer deutschen Marschlieder» würden von den Nazis gewisse, wohl für die vom «Dritten Reich» und seinen Verbündeten umzingelte Schweiz besonders provokative Texte, «nicht wörtlich gesungen, sondern nur melodisch gedrällert», so Detektiv Geisseler. «Dass natürlich solche Aufzüge bei der Bevölkerung unliebsam auffallen, ist verständlich.» Auch Jakob Heusser erinnerte sich 2009 im «Höngger», wie er als junger Soldat im Aktivdienst, als er mit Freunden im Heimurlaub die «Braunhemden in voller Montur» vorbeidefilieren sah, nur knapp der Versuchung widerstehen konnte, im nahen Wald «einige kräftige Stöcke zu holen und auf die ungeliebten Gesellen loszugehen». Einige Bauern aus dem nahen Rütihof hätten sich tatsächlich einmal eine «deftige Prügelei mit den nationalsozialistischen Nachbarn geliefert», berichtete eine Zeitzeugin.

Diskrete Ermahnungen

Die Deutschen zeigten sich wenig zimperlich. Im Oktober 1941 fuhren zwei Arbeiter aus Altstetten mit ihren Fahrrädern auf der Regendorferstrasse stadtauswärts. Der Polizei gaben sie zu Protokoll, sie hätten den vor dem Kameradschaftshaus versammelten Deutschen im Vorbeifahren «aus Übermut ‹Sieg Heil› zugerufen». Nach einigen hundert Metern habe sie «ein Personenauto überholt und gestellt. Dem Auto seien sieben bis acht Herren entstiegen und diese hätten behauptet, sie, die Velofahrer, hätten ihnen beleidigende Worte zugerufen, wie ‹Hitler verrecke›.» Stossend war, dass die Deutschen von den beiden Schweizern die Ausweise verlangten und ihre Velonummern notierten, sich also «zu polizeidienstähnlichen Handlungen hinreissen» liessen. «Diese ‹Herren›» würden sich immer mehr erlauben», so die Stadtpolizei. Man entschied jedoch, kein Aufheben über den Vorfall zu machen, um die Stimmung nicht weiter anzuheizen. Das diskrete Vorgehen kam der NSDAP-Landesgruppenleitung entgegen, die sich um ein korrektes Erscheinungsbild der «Kolonie» bemühte. Anlässlich der Anzeige wegen Nachtruhestörung vom Mai 1942 versicherte der für das Kameradschaftshaus verantwortliche Erwin Lemberger, den «Übelständen sofort auf den Leib zu rücken» und seinen Leuten «einzuschärfen, solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden».

Ein Ende fand der Nazi-Spuk im Heizenholz schliesslich im Mai 1943, als der Mietvertrag der «Deutschen Kolonie» auslief und Wehrlis ihr Haus an die Stadt Zürich verkauften.

Quellen

* Schweizerisches Bundesarchiv, Dossier E2001D#1000/1552#3329*
* Stadtarchiv Zürich, Dossier V.E.c.63
* Stefan Ineichen: Zürich 1933-1945. 152 Schauplätze. Zürich, 2009

Zum Autor

Thomas Bürgisser ist Historiker und lebt in Höngg. Der erste Teil dieser Geschichte erschien unter dem Titel «Das ‹Fröntlerhaus› im Heizenholz» im «Höngger» vom 3. Juni 2021.

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