Tierische Neuzuzüger in Höngg

Die Zusammensetzung der Höngger Fauna ist nicht konstant, sondern sie wandelt sich laufend – in der Vergangenheit, heute und in Zukunft. Während einzelne Tierarten aussterben, kommen neue dazu und andere kehren zurück. Und dies alles mit oder ohne Zutun des Menschen.

2
Der Kartoffelkäfer aus Mexiko hat bei uns keine Fressfeinde.
Der Seefrosch, eingeführt als Froschschenkel-Lieferant, dezimiert die einheimischen Amphibien.
In der Stadt Zürich brüten jährlich bis zu 25 Schwanen-Paare.
Die Nordamerikanische Kiefernwanze lebt seit ein paar Jahren auch in Höngg.
Seit mehr als 10 Jahren treibt der Buchsbaumzünsler aus Ostasien sein Unwesen bei uns.
Die Spanische Wegschnecke hat innert 60 Jahren die einheimische Rote Wegschnecke aus ganz Zürich verdrängt.
1/6

Es war vor vielen, vielen Jahren, als ich in meinem Garten auf dem Berg einen wunderschönen Käfer fand. Gelb, mit schwarzen Streifen auf dem Rücken und gepunktetem Halsschild, faszinierte er mich derart, dass ich, damals Studentin, ihn ganz stolz unserem Entomologen, dem Insektenspezialisten an der Uni, brachte. Anstatt meine Begeisterung zu teilen, fuhr dieser mich an: «Weisst du überhaupt, was das ist?» Nein, hatte ich ja noch nie zuvor gesehen. «Das ist ein Kartoffelkäfer!», schrie er und schlug ihn platt! Noch nie gesehen, doch aus der Literatur war mir klar: Der Kartoffelkäfer ist einer der wichtigsten Schädlinge im Kartoffelanbau. Ende des 19. Jahrhunderts aus Nordamerika eingeschleppt, breitete er sich rasch in Europa aus und kam 1937 auch in die Schweiz. Ein klassisches Neozoon ist er also, der Kartoffelkäfer – wenn auch nicht absichtlich vom Menschen eingeführt, lebt er nun bei uns, wo er zuvor nicht heimisch war.

Neuankömmlinge

Neben dem Kartoffelkäfer gibt es zahlreiche weitere Insekten, die zu den Neozoen gezählt werden müssen. Insekten stellen wahrscheinlich die grösste Anzahl gebietsfremder Tierarten in der Schweiz. Sie alle aufzuzählen ist nicht nur aus Platzgründen unmöglich, sondern auch weil man viele von ihnen noch gar nicht kennt. Das Schreckgespenst unter ihnen dürfte aktuell die Tigermücke sein, deren Eier ursprünglich mit dem Güterverkehr aus Südostasien kamen. Im Mittelmeerraum und auch im Tessin etabliert, hat sie nun den letzten Winter offenbar in Wollishofen überlebt. Die aggressive Stechmücke sticht auch tagsüber und kann allergische Reaktionen auslösen und könnte Krankheiten übertragen. Doch bisher sind in der Schweiz keine Krankheitsübertragungen bekannt. Tigermücken zu bestimmen ist nicht einfach, helle Streifen an Körper und Beinen hat auch die Asiatische Buschmücke. Ebenfalls aus dem asiatischen Raum eingeschleppt, ist diese inzwischen sogar häufiger als unsere einheimische Stechmücke. Unter www.stadt-zuerich.ch/schaedlingsbekaempfung gibt es viele Infos und nützliche Tipps zu den beiden neuen Plagegeistern.

Aber nicht nur bei den lästigen Blutsaugern, auch unter den Glücksbringern gibt es Neozoen. Diesen Sommer bat ich meinen Partner Hans-Peter Stutz, doch mal schnell im Garten ein «Anketierli» zu fotografieren, weil ich darüber einen Artikel zur Höngger-Fauna schreiben wollte. Die Bildausbeute war gross, aber ebenso die Enttäuschung: Auf fast allen Bildern war nicht das «Glücksbringerli» mit den sieben schwarzen Punkten abgelichtet, sondern der Asiatische Marienkäfer mit bis zu 19 Punkten. Aus Japan und China stammend, wurde dieser Käfer zur biologischen Bekämpfung von Blattläusen in Gewächshäusern eingesetzt. Daraus entflohen, etablierte er sich rasch, so auch vor gut zehn Jahren in Zürich. Heute ist dieser Marienkäfer viel häufiger als «unser Anketierli», das er in Bedrängnis bringt. Aus dem einstigen Nützling ist inzwischen sogar ein Schädling im Obst- und Weinbau geworden.

Wenn es in Höngg in einem Teich oder an der Limmat sehr laut quakt, ein ohrenbetäubendes, lachendes «oäh-mä-ä-ä» auch tagsüber erschallt, dann ist das gar nicht gut. Solche Gewässer sind vom Seefrosch befallen. Ursprünglich in Osteuropa und im Balkan heimisch, wurde er vor allem für kulinarische Zwecke eingeführt, leider auch heute noch. Seinem Schicksal entronnen oder absichtlich ausgesetzt, breitet er sich seit den 1960er-Jahren im Kanton aus. Nur, was ist denn so schlimm an diesem an und für sich hübschen Frosch? Erstens ist er gross und frisst alles, was er nur irgendwie hinunterwürgen kann, und dazu gehören auch andere Amphibienarten, die er in ihren Beständen arg dezimieren kann. Zweitens gibt es den «Seefrosch» als Art gar nicht. Hinter dem Namen «Seefrosch» verstecken sich mehrere eingeschleppte, ähnlich aussehende osteuropäische Arten. Drittens können sich diese untereinander und auch mit den einheimischen Wasserfröschen kreuzen, so dass grosse genetische Veränderungen stattfinden.

Eigentlich gehört auch die Mauereidechse in Höngg zu den Neozoen, denn sie gelangte via Materialtransporte, also mit menschlicher Hilfe, vermutlich aus dem Süden in den Rangierbahnhof von Zürich. Von hier aus breitete sie sich in den 1990er-Jahren erfolgreich aus und besiedelte von der Limmat her den sonnigen Hönggerberg. Allerdings gibt es im Kanton Zürich auch ursprüngliche Vorkommen von Mauereidechsen, deshalb kann man darüber diskutieren, ob die Höngger Mauereidechsen nun Neozoen sind oder nicht. Sicher kein Neozoon ist die Weissrandfledermaus, ein Neuankömmling aus dem Mittelmeerraum, denn sie schaffte es aus eigener Kraft, die Alpen vom Tessin her zu überqueren. Die Fledermaus kam in den 1980er-Jahren nach Zürich und ist auch in Höngg zu Hause. Sie fühlt sich im relativ warmen Stadtklima wohl, findet selbst in kleineren Parks genügend Nahrung und zieht hier ihre Jungen auf.

Alteingesessene

Während all die vorhin aufgeführten Beispiele in diesem oder im letzten Jahrhundert zur Höngger Fauna gestossen sind, gibt es andere, von denen wir schon fast vergessen haben, dass sie auch Neozoen sind. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Schwan, genau genommen der Höckerschwan. Ursprünglich kam er in Nordosteuropa, beim Schwarzen Meer und in Asien vor. Bereits im 12. Jahrhundert hielt man in England die stolzen Wasservögel in Parkweihern. Vor bald 100 Jahren wurde das erste Paar im Zürichsee ausgesetzt und heute können wir uns See und Limmat ohne Schwäne kaum mehr vorstellen. Ein anderes, aber heimlich lebendes Beispiel, ist die Wanderratte. Sie kam auf Schiffen und mit anderen Transportmitteln im 19. Jahrhundert aus Südostrussland und Nordchina zu uns. Weil sie Krankheiten übertragen und an Bauten Schäden verursachen kann, werden ihre Bestände in der Stadt Zürich kontrolliert und reguliert. Ähnliche Massnahmen werden gegen die Stadttaube ergriffen. Diese stammt von verwilderten Haustauben ab, die ihrerseits in der Antike aus der Felsentaube, die ursprünglich am Mittelmeer und Atlantik lebte, domestiziert wurden. Und ebenso müssen wir ein anderes Haustier als Neozoon betrachten, auch wenn das ein heikles Thema ist: Hauskatzen wurden seit dem Mittelalter vor allem dazu gehalten, um Ratten und Mäuse zu bekämpfen. Diese Katzen ernährten sich hauptsächlich von selbst erjagten Beutetieren und wurden vom Menschen höchstens zugefüttert, wenn dieser selber genug Nahrung hatte, was damals nicht oft der Fall war. Die heutigen Hauskatzen erhalten zu Hause genügend Futter, befriedigen draussen nur noch ihren Jagdtrieb und lassen die erbeuteten Tiere meist liegen. In Höngg dürfte es über 4000 freilaufende Katzen geben. Tötet jede von ihnen wöchentlich auch nur ein Tier, fallen ihnen jährlich mehr als 200000 (zweihunderttausend) Tiere zum Opfer. Und dies sind nicht nur Mäuse, sondern viele Singvögel, Spitzmäuse, geschützte Eidechsen, Blindschleichen, Molche und Frösche, auch viele Schmetterlinge und Käfer, ja sogar Eichhörnchen. Die Verantwortung für all die getöteten Wildtiere tragen jedoch nicht die Hauskatzen selber, sondern wir Menschen. Neben den Hauskatzen gibt es aber auch echte einheimische Wildkatzen. Einst weit verbreitet, wurde die Wildkatze im Schweizer Mittelland Ende des 19. Jahrhunderts ausgerottet und kommt heute nur noch im Jura vor. Diese Katzen leben ausschliesslich von dem, was sie selber erbeuten. Studien belegen, dass es darum auf zehn Quadratkilometern gerade mal Platz für vier Wildkatzen hat. Dies bedeutet, dass es auf der Fläche von Höngg höchstens drei Hauskatzen geben könnte, müssten auch sie von dem leben, was sie draussen erbeuten – aber eben!

Rückkehrer

Selbstverständlich sind Tiere, die in Höngg ausgestorben sind oder ausgerottet wurden, keine Neozoen, wenn sie es schaffen, sich bei uns wieder zu etablieren. Ein typisches Beispiel für einen Rückkehrer ist das Wildschwein. Wer nicht schon eine Rotte live im Wald beobachten konnte, hat sicher ihre Spuren gesehen: aufgewühlte Böden, auch Wegränder, «Suhlen» für Schlammbäder, Trittsiegel mit den typischen Abdrücken von je zwei Haupthufen und Afterklauen schräg dahinter. Im 19. Jahrhundert schweizweit praktisch ausgerottet, eroberte das Wildschwein mit der Zunahme der Waldflächen und dem Maisanbau ab den 1960er-Jahren seine angestammten Gebiete zurück, auch den Höngger Wald. Der Biber hingegen, anfangs des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ganz ausgerottet, schaffte seine Rückkehr nicht alleine. Er wurde von 1956 bis 1977 durch gezielte Aussetzungen wieder angesiedelt. Erfolgreich breitete er sich aus und seit ein paar Jahren leben auch bei uns an der Limmat wieder Biber.

Demnächst in Höngg?

Leider müssen wir in Zukunft mit vielen weiteren Neozoen rechnen, es dürften vor allem Insekten sein. Aber auch grössere Tiere sind zu erwarten. So zum Beispiel der Waschbär und die Bisamratte, die beide ihres Pelzes wegen im letzten Jahrhundert aus Nordamerika nach Europa eingeführt wurden. Der Waschbär breitet sich seither aus, erreichte 1976 die Schweiz und wird inzwischen auch in der Stadt Zürich gesichtet. Dieser Kleinbär mit dem schwarz-weiss geringelten Schwanz ist zwar putzig, bringt aber auch einen Spulwurm mit, der die menschliche Gesundheit gefährden könnte. Seine Auswirkungen auf die einheimische Fauna sind noch weitgehend unbekannt und umstritten. Und falls eines Tages kleine, braune Pelztiere in der Limmat herumschwimmen, sind das nicht unbedingt junge Biber, sondern es könnten durchaus Bisamratten sein. Als Räuber gefährden sie die einheimischen Muschelarten. Neben neu auftretenden Neozoen dürfen wir aber auch Rückkehrer in Höngg erwarten. Wer weiss, vielleicht stammen eines Tages die Trittspuren grosser Hunde, die wir im Schnee im Wald beobachten, tatsächlich vom Wolf. Jedenfalls ist das vermutlich früher möglich, als dass sich wieder Fischotter in der Limmat tummeln.

2 Kommentare


Themen entdecken