Symptome einer Midlife-Crisis, Teil 1

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über die eigene Befindlichkeit in Bezug auf ihr Lebensalter – wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Ich glaube, jetzt hat sie auch mich erwischt. Plötzlich und hinterrücks hat sie mich gepackt und ich muss nun gucken, wie ich mit ihr klarkomme. Sie hat ihre Chance gewittert, als sie erkannte, dass dieser doofe runde Geburtstag mit der Fünf vorne dran nicht nur in meinem Bekanntenkreis langsam überhandnimmt, sondern auch bei mir unweigerlich immer näher rückt. Da hat sie eiskalt zugeschlagen, die Midlife-Crisis.

Ich muss sagen, sie ist vielleicht noch nicht ganz so dramatisch ausgeprägt wie bei anderen Leidensgenossen. Immerhin habe ich mir noch kein Segelboot gekauft oder mit dem Motorradführerschein begonnen. Allerdings habe ich tatsächlich schon mal über einen Camperbus nachgedacht – für die Zeit, wenn keines der Kinder mehr mit mir Ferien machen möchte. Und ich fahre E-Bike seit diesem Jahr, übrigens mit grosser Begeisterung.

Doch das sind nur Randerscheinungen. Deutlicher äussert sich die Krise darin, dass ich angefangen habe zu zählen. Nicht Geld, sondern Jahre. Auf einmal ist mir mein Alter ständig bewusst, das hat mich früher nie gekümmert. Und stets stelle ich bei Gesprächen mit Anderen Altersvergleiche an und denke darüber nach, was sie bis jetzt mit ihrem Leben angefangen haben, wie alt ihre Kinder sind und solchen Kram. Und ich bin immer ganz erleichtert zu erkennen, dass andere auch älter werden. Oder wenn ich feststelle, dass die Stars meiner Jugend – wer hätte das gedacht – auch gar nicht mehr so taufrisch sind. George Clooney ist schon 64!

Aber jetzt ganz im Ernst: Das ist doch gar nicht möglich, dass ich schon soo alt bin? Ich fühl mich doch unheimlich jung und sehe knapp aus wie dreissig – oder etwa nicht? Meine Kinder würden mich auslachen, wenn ich ihnen diese Frage stellen würde. Jemand, der schon zu Zeiten der analogen Wählscheiben-Telefonie gelebt hat, ist in Tat und Wahrheit steinalt. Und ausserdem sind die Kinder selber schon fast in dem Alter, in dem ich mich gefühlt gerade befinde. Es muss also wahr sein.

Und wieder muss ich zählen: Wie alt war ich schon wieder, als mein ältester Sohn geboren wurde? Und wie weit entfernt fühlt sich die Zeit an? Kommt mir vor, als sei es gestern gewesen, dabei ist es schon mehr als zwanzig Jahre her. Wenn ich jetzt in Gedanken gleich weit in die Zukunft gehe, wie alt werde ich dann sein? Werden sich die nächsten zwanzig Jahre ähnlich lang oder kurz anfühlen wie die letzten und sind also tatsächlich mit einem Wimpernschlag vorbei?

Und als wäre die Rechnerei nicht schon ärgerlich genug, hat auch der Algorithmus der sozialen Netzwerke meine Schwäche erkannt. Immer öfter erhalte ich diskret Werbevideos für Fitness ab 50 eingespielt. Oder für Verjüngungskuren. Das allein ist noch nicht besorgniserregend. Aber ich habe mich tatsächlich dabei ertappt, wie ich verdächtig lange einem gutaussehenden und leicht angegrauten Typen dabei zugesehen habe, wie er asiatisches Pilates angepriesen hat. Damit erhält frau in den 50ern den Körper einer Zwanzigjährigen zurück. Garantiert. Bis jetzt habe ich das Angebot noch nicht angeklickt. Aber wer weiss, wozu mich diese Krise noch treibt.

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