So funktioniert die Pflege zu Hause

Im Alter wünschen sich viele Menschen, so lange wie möglich zu Hause wohnen zu bleiben. Doch wenn Pflege notwendig wird, sind die Angehörigen oft nicht in der Lage, alle Aufgaben zu bewältigen. In solchen Fällen unterstützt die Spitex. Eine Reportage.

Immer mit Velo unterwegs: Karin Koch-Haug auf dem Weg zu ihrem nächsten Einsatz. (Fotos: das)

Eng reihen sich die Elektrofahrräder im Veloraum am Standort von Spitex Zürich in Wipkingen aneinander. Mindestens zwanzig von ihnen sind hier geparkt. Sie stehen den Mitarbeitenden für ihre Pflegeeinsätze zur Verfügung. Wer bei der Spitex arbeitet, kann zwischen Velo oder Auto als Verkehrsmittel entscheiden.

Die Pflegefachfrau Karin Koch-Haug wählt stets das Velo. Für ihre heutige Tour braucht sie allerdings gleich deren zwei: eines für sich und eines für die Journalistin, die sie an diesem Vormittag begleiten darf. Die Pflegefachfrau nimmt zwei volle Akkus aus dem Regal, steckt sie auf die Fahrräder und überreicht der Journalistin ihren Fahrradschlüssel. Es ist kurz nach acht Uhr morgens, die gemeinsame Tour kann beginnen.

Koch-Haug gehört zum «Memory Care Team», das sich speziell um Menschen mit einer dementiellen Erkrankung kümmert. Den Anfang macht das Ehepaar M.: Der 93-jährige Ehemann ist Demenzpatient, seine bald 90-jährige Frau kümmert sich um ihn und um den Haushalt. Dabei erhält sie zweimal täglich Hilfe von der Spitex.

Heute unterstützt Koch-Haug Herrn M. bei der Körperpflege sowie beim Ankleiden und kontrolliert, ob er die Medikamente eingenommen hat. Abends wird nochmals jemand vorbeischauen. Zudem kommt einmal wöchentlich Besuch von einem Hauswirtschaftsteam. Die restlichen Arbeiten übernimmt Frau M. selber, gelegentlich unterstützt von Bekannten.

Das Ehepaar ist dankbar für die Spitex-Besuche. Denn, so sagt Frau M., die Pflege ihres Mannes sei für sie schon anstrengend. Und nachdem er im letzten Jahr eine längere Zeit im Spital verbringen musste, war klar, dass sie mehr Hilfe brauchen. «Anfangs haben wir uns Gedanken darüber gemacht, wie es wohl sein wird, wenn immer wieder andere Leute zu uns nach Hause kommen. Aber mittlerweile ist das für uns kein Problem mehr. Die Pflegenden sind alle sehr freundlich, man merkt, dass sie Freude am Beruf haben», erklärt sie.

Dass Koch-Haug und das Ehepaar miteinander vertraut sind, ist spürbar. Bei der Körperpflege sind M. und die Pflegefachfrau ein eingespieltes Team, die Handgriffe sitzen. Nach dem Einsatz dokumentiert Koch-Haug auf dem Tablet, wie der Besuch verlaufen ist und wie viel Zeit er in Anspruch nahm. Hier wird die Pflegeleistung direkt mit der Krankenkasse abgerechnet.

Mahlzeitendienst und Nachbarin unterstützen

Bei Frau F., der nächsten Kundin, steht das Anziehen von Kompressionsstrümpfen auf dem Programm. Die Nachbarin, die regelmässig nach ihr schaut, hat sie am Vorabend schon bereitgelegt. «Das ist sehr professionell vorbereitet», sagt Koch-Haug erfreut. Denn das Anziehen ist nicht ganz einfach: Geduldig lässt Frau F. die Fachfrau ihre Aufgabe erledigen.

Wie das Ehepaar M. wirkt auch Frau F. sehr präsent. Den Haushalt macht sie noch selber. Auf Kochen hat sie aber keine Lust mehr: «Das habe ich lang genug gemacht», schmunzelt sie. Deshalb lässt sie sich mehrmals wöchentlich vom Mahlzeitendienst ihr Essen bringen. Mittwochs kommt jeweils die Tochter vorbei und bereitet ihr das Mittagessen zu.

Herr T., der nächste Patient, hat auch keine Lust auf Kochen. Und oft auch nicht auf Essen, wie er erklärt. Deswegen freut sich Koch-Haug besonders, als sie bei ihm in der Küche ein vorbereitetes Frühstück entdeckt. Und dazu noch ein sehr gesundes: Müesli mit Datteln und getrockneten Früchten. Zweimal täglich schaut die Spitex bei ihm rein, daneben kümmert sich auch noch ein Freund um ihn. Gepflegt werden muss er nicht, hier geht es hauptsächlich um Medikamenteneinnahme und einen Kontrollbesuch.

Als Quereinsteiger willkommen

Koch-Haug radelt zügig voraus, jetzt ist Pause angesagt. Im Spitex-Zentrum gibt es Kaffee und die Gelegenheit, mit den anderen Pflegenden zu plaudern. Zur Spitex kamen sie auf verschiedenen Wegen: Hier arbeiten sowohl Fachpersonen Gesundheit, als auch Pflegefachkräfte mit einer höheren Fachbildung oder Pflegehilfen, die als Quereinsteigerinnen einen Kurs in der Pflege absolviert haben. Auch das Arbeitspensum ist flexibel: Neben den Hauptangestellten sind viele Temporäre im Einsatz. Es dürften allerdings auch noch mehr sein – generell ist die Spitex stets auf der Suche nach weiterem Personal, heisst es.

Schnell ist die kurze Pause vorbei, Frau C. wartet bereits. Sie lebt alleine mit ihrem Kater, ihre Tochter wohnt aber im selben Haus und hat bis vor Kurzem den Grossteil der Pflege geleistet. Erst seit diese für einige Wochen im Urlaub war, kommt die Spitex täglich vorbei, ausser am Wochenende. Die Notwendigkeit hat Frau C. zuerst nicht wirklich eingesehen, doch nun ist ihr auch wohler dabei. Koch-Haug kümmert sich nicht nur um die Patientin, sondern versorgt auch den Kater mit frischem Trinkwasser. Denn Aufstehen fällt Frau C. nicht leicht. Bereits mehrmals ist sie in der Wohnung gestürzt, nun steht der Rollator immer griffbereit.

Ist Einsamkeit ein Thema?

Mit Mahlzeitendienst, Hauswirtschaftsspitex, Notfallknopf und täglichen Pflegebesuchen lassen sich betagte Menschen in vielerlei Hinsicht unterstützen, um so lange wie möglich zu Hause leben zu können. Doch ohne Angehörige, Nachbarinnen und Bekannte geht es nicht, das wird bei allen Besuchen deutlich. Und das nicht nur aus pflegerischer Sicht, sondern auch aus sozialer. Denn wer nicht mehr aus dem Haus gehen kann oder will, der verbringt notgedrungen täglich etliche Stunden alleine.

Das beschäftigt zum Beispiel auch Frau K. Sie wirkt noch sehr fit, fast sportlich. Sie wäre gerne wie früher nach Italien gefahren über den Sommer. Aber das geht nicht mehr. Sie fühle sich «verbraucht». Und einsam: «Heute bin ich den ganzen Tag völlig alleine im Haus», erklärt sie. Wie geht man als Pflegende damit um? Und wann ist es vielleicht doch Zeit, der Kundschaft zu raten, in eine Institution zu wechseln? Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind.

Von der medizinischen Seite her ist der Fall oft klarer: Gerade bei den Demenzpatient*innen sind es Kriterien wie eine mögliche Eigengefährdung oder die Tatsache, dass jemand sich nicht mehr orientieren kann. Die Überweisung in eine Institution ist dann unerlässlich. Auch bei Menschen, die eine 24-Stunden-Pflege benötigen, wird die Betreuung zu Hause äusserst schwierig und kostenintensiv.

Mit 101 Jahren noch alleine leben

Einerseits die Geborgenheit der vertrauten Umgebung, andererseits das Gefühl der Einsamkeit – das kennt auch Frau R. Sie ist bereits stolze 101 Jahre alt und lebt alleine. Zweimal täglich erhält sie Besuch von der privaten Spitex «z’Züri dähei». Pflege braucht sie eigentlich nicht, aber Unterstützung im Haushalt und bei der Körperpflege.

Beim Besuch des «Hönggers» ist Karim bei ihr. Er schätzt sie als eine sehr freundliche Kundin. Gerne verrichtet er für sie alle Aufgaben, die hier anfallen. «Den Pflegeberuf muss man mit Leidenschaft ausführen, um wirklich gut auf die Leute eingehen zu können», sagt er. Und auch Frau R. ist zufrieden mit der Betreuung, selbst wenn das Leben in ihrem Alter nicht einfach ist: Ihr Bruder ist vergangenes Jahr im Alter von 99 Jahren gestorben, ihr Mann ist bereits seit 12 Jahren tot.

Nun bleibt ihr kaum mehr jemand. «Wie sich das anfühlt, das können Sie sich nicht vorstellen», erklärt sie. «Ich wusste das ja früher auch nicht.» Doch sie weiss zu schätzen, was sie hat: «Es ist einfach schön, in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Wenn ich morgens die Augen aufmache, weiss ich, wo ich bin», freut sie sich.

Wenn die Menschen daheim alt werden

Lana Mujcinovic ist bei der Spitex «z’Züri dähei» für die Administration zuständig. Der «Höngger» hat sich mit ihr über ihre Arbeit unterhalten. Hier das Interview lesen.

Im Fokus: Wertvolle Jahre

Der «Höngger» veröffentlicht auch in diesem Jahr verschiedene Artikel, die sich der Lebensrealität von Betagten und Menschen mit Behinderung widmen. Diese Reihe entsteht mit freundlicher Unterstützung der Luise Beerli Stiftung, die sich für solche Menschen stark macht.

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