«Sich aufzuregen, bringt nichts»

Wer über 65 Jahre alt ist, soll zu Hause bleiben, so der häufig wiederholte Aufruf. Gerade für aktive Renter*innen dürfte dies besonders schwierig sein. Der «Höngger» hat bei einem Mitglied der Wandergruppe 65 plus nachgefragt, wie das Befinden ist.

Hans Schweighofer beim Froschweiher im Waidberg, aufgenommen von seiner Frau.

Zweimal im Monat begeben sich die rüstigen Renter*innen der Höngger Wandergruppe 65 plus auf Halb- und Ganztagswanderungen in der Schweiz, die Vorschauen werden jeweils im «Höngger» publiziert. Aufgrund der Massnahmen zu Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus mussten auch diese Ausflüge abgesagt werden, einerseits, weil die Teilnehmenden aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe gehören, anderseits, weil die SBB keine Gruppenreisen mehr zulässt. Es muss für viele ältere Mitmenschen schwierig sein, sich quasi unter Hausarrest stellen zu lassen, gerade heute, wo so viele noch weit ins Alter körperlich fit sind. Man könnte annehmen, dass es für die leidenschaftlichen Wanderer besonders schwierig ist, auf ihre Ausflüge zu verzichten. Hans Schweighofer, selber einer der Wanderleiter, findet jedoch: «Nein. Wenn man sich darauf einstellt, dann kann man die Einschränkungen ertragen – sofern sie nicht ewig andauern.»

Letzte Vorwanderung gerade noch geschafft

Schweighofer lebt mit seiner Frau seit 1972 in Höngg. Geboren wurde er nördlich von Linz, Österreich, nahe der tschechischen Grenze. 1958 kam er zum ersten Mal in die Schweiz. Seine Arbeit im Kundendienst bei Maag Zahnräder, damals beim heutigen Prime Tower angesiedelt, führte ihn für einige Jahre in die USA, wo er seine Frau kennenlernte – eine Baslerin. Als die Einschulung des ersten Kindes nahte, entschied sich das Paar, nach Zürich zurückzukommen und hier ein neues Leben aufzubauen. Viele Jahre sind seither vergangen. Mit 83 Jahren liebt es Schweighofer noch immer, seine Frau mit spontanen Ausflügen zu überraschen. «Wenigstens im Nachhinein sagt sie immer, dass es schön war», lacht er schelmisch. Kurz vor dem Lockdown konnte er zusammen mit einem weiteren Wanderleiter noch eine Vorwanderung in der Rheinschlucht machen. «Wir sind nur sehr wenigen Leuten begegnet, und auch der Zug war praktisch leer, es verlief problemlos», erzählt Schweighofer. Und die Wanderung war natürlich wunderschön, ob sie Ende Mai auch durchgeführt werden kann, steht jedoch noch in den Sternen. «Wir sind jeweils 25 bis 35 Personen, es hängt stark davon ab, ob die SBB uns als Gruppe mitfahren lässt». Persönlich erträgt der Rentner die Situation gut, gemeinsam mit seiner Frau unternimmt er täglich ein- bis zweistündige Wanderungen auf dem Höngger- und dem Käferberg. «Nachmittags sind meist mehr Leute im Wald, verständlich: Wenn man in einer Wohnung eingesperrt ist, muss man einfach manchmal raus», meint er. Die vom Bund ausgesprochenen Massnahmen findet der sportliche Senior vernünftig. Zwar gingen seine Frau und er noch selber einkaufen, hielten sich dabei aber immer an den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand. Sicher, das gemütliche Zusammensein mit Freunden und Nachbar*innen falle nun weg, und auch ein Besuch beim Coiffeur täte mal wieder Not, aber sich darüber aufzuregen, sei auch keine Lösung. «Eine Situation, die man nicht ändern kann, muss man akzeptieren und das Beste daraus machen», sagt Schweighofer. Ärger koste nur Energie und am Ende schade man sich selber damit am meisten. Solange absehbar sei, dass der Zustand irgendwann endet, appelliere er an die Vernunft.

Das Leben schätzen gelernt

Vielleicht macht das Alter gelassen, vielleicht liegt es auch an seiner eigenen Geschichte, dass der Mann so geduldig mit der Situation umgehen kann. Vor acht Jahren musste er noch einmal ganz von vorne beginnen: Infolge eines Zeckenbisses erlitt er eine Gehirnentzündung, oder Enzephalitis. «Im Waidspital hatten sie mich bereits abgeschrieben», erzählt Schweighofer. Im Rollstuhl, kaum in der Lage zu sprechen und selber zu essen, standen die Chancen schlecht, dass der damals bereits 75jährige Herr je wieder auch nur einen Spaziergang machen würde. Dass er heute wieder mehrstündige Wanderungen leiten kann, auch wenn das Gleichgewicht nicht mehr so gut mitspielt, verdankt er neben dem Glück wohl auch einem besonders starken Lebenswillen, «der hat mich wahrscheinlich gerettet». Bergsteigen könne er aber nicht mehr, sagt er, und lacht herzlich. Solche Zäsuren lassen einem das Leben umso mehr geniessen, so viel wird klar, wenn man ihm zuhört. Sobald die Restriktionen gelockert werden und reisen wieder möglich ist, will er ein paar Reisen für sich und seine Frau buchen, zum Beispiel eine Schifffahrt ins Donaudelta. Alle paar Jahre trifft sich seine Familie – sie waren ursprünglich sieben Geschwister, fünf davon leben noch – zu einem grossen Fest in Österreich, «es wäre schön, wenn wir es dieses Jahr noch schaffen würden, uns zu sehen». Und natürlich steht auch noch eine weitere Vorwanderung an, diesmal in Davos ein Höhenweg von der Schatzalp aus über die Stafelalp zurück nach Davos. «Die Wanderung ist erst für Juli vorgesehen, es bleibt also noch etwas Zeit», meint der fröhliche Wanderer zum Abschied.

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