Schulen in Höngg, Teil 4: Vogtsrain mit Wettingertobel

Im vorliegenden Teil der Artikelserie wird über die Schule Vogtsrain berichtet, zu der heute auch das älteste Schulhaus von Höngg gehört, das Gebäude am Wettingertobel.

Das Schulhaus Vogtsrain nach seiner Fertigstellung aus der Vogelperspektive. (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)
Eine der ersten Klassen damals im neuen Schulhaus.
1973 das erste in Höngg in einem Schulhaus integrierte Schwimmbad.
Das bunte Sommerfest im «Vogtsrain», das Highlight zum Ende des Schuljahres.
Die beiden Schulleiterinnen Nora Borschberg und Heidi Zandbergen.
Christian Knapp, ehemaliger Vogtsrain-Schüler und langjähriger Präsident des Elternrats.
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Die Schulanlage Vogtsrain wurde in den Jahren 1970 bis 1973 in den steilen Hang neben den Vogtsrain gebaut, der vom ältesten noch erhaltenen Höngger Haus, dem 1506 errichteten Lehenshof des Fraumünsters, heute das Ortsmuseum, zur Kappenbühlstrasse führt. Den Namen verdanken Strasse und Schule zwei Bewohnern des früheren Hauses zum Kranz, die in Höngg im 18. Jahrhundert als Untervögte – heute spräche man von Gemeindepräsidenten – gewirkt haben. Wie Georg Sibler in seiner Ortsgeschichte Höngg festhält, war das Dorf seit 1384 eine Obervogtei der Stadt Zürich. In diesem Jahr kam es zu einer gröberen Schlägerei zwischen Weiningern und Klosterknechten aus Wettingen, wobei zwei Weininger getötet wurden. Das Kloster, das die Vogteirechte über Höngg seit 1365 innehatte, wurde zu einer hohen Busse verurteilt und verpfändete dafür das Dorf Höngg an Zürich. Da das Kloster die Busse nicht bezahlen konnte, wechselten die Vogteirechte zur Stadt. Streit zwischen frühen «Hooligans» ist also die Ursache für unsere gegenwärtige Zugehörigkeit zu Zürich. Bis Höngg mit der Eingemeindung 1934 seine rechtliche Eigenständigkeit endgültig verlor, sollten aber weitere 550 Jahre ins Land ziehen.

Neue PFADE bei Disziplinarproblemen

Aus der Vogelperspektive erinnert die Schulanlage Vogtsrain an ein kubistisches Gemälde. Das Gelände ist weitläufig, Treppensteigen Alltag. Die Schule Vogtsrain beherbergt Kindergarten-, Unter- und Mittelstufenklassen, Horte sowie eine Abteilung der Heilpädagogischen Schule der Stadt Zürich. Die beiden Schulleiterinnen, Heidi Zandbergen und Nora Borschberg, empfangen den Berichterstatter in der ehemaligen Hauswartwohnung – auf mittlerem Höhenniveau, gleich unterhalb des künstlichen Baums von Rolf Flachsmann aus farbigem Scobalit. Die Wohnung wurde umgebaut und mit einem Büro für die Schulleitung, einem Sitzungszimmer, einem Kleingruppenraum und der Ecke für eine Insel im Schulalltag ausgestattet. Die jeweils von einer Schulleiterin betreute «Insel» dient – in Absprache mit der verantwortlichen Lehrperson – als Rückzugsort für einzelne Schüler. Ein solches Time-out soll Schüler, Klasse und Lehrkraft vorübergehend entlasten und eine für alle Beteiligten schwierige oder gar explosive Situation entschärfen. Die Vorgehensweise steht exemplarisch für den offenen Zugang zu Problemen, wie ihn das «Vogtsrain» pflegt. Seit drei Jahren nimmt die Schule am Projekt PFADE teil: «Programm zur Förderung alternativer Denkstrategien». Das Programm zielt auf zwei Ebenen. In Bezug auf das Kind möchte man Problemverhalten verringern – sowohl gegen aussen gerichtetes wie Aggressionen, Ablenkbarkeit, tiefe Frustrationstoleranz, Unruhe als auch gegen innen gelenktes: Traurigkeit, Ängstlichkeit, sozialer Rückzug. Die damit verbundene Verbesserung des Selbstwertgefühls und der sozialen Kompetenzen hilft dem Kind, seine Lernbereitschaft und seine Leistungen zu erhöhen. Gleichzeitig trägt das Programm dazu bei, Disziplinarproblemen in den Klassen vorzubeugen und das Schulhausklima insgesamt zu verbessern. Damit werden Lehrkräfte entlastet und Burn-outs reduziert. Als Teil des Projektes hat jede Klasse unter dem Titel: «Unsere Schule – so soll sie sein?» eine eigene Regel erarbeitet, die Eingang in die Hausordnung der Schule Vogtsrain gefunden hat.
Die Schulleitung beurteilt den Erfolg des PFADE-Projekts, das mit Weiterbildung für alle an der Schule Tätigen verbunden war, positiv. Der Aufwand habe sich gelohnt. Man verfüge nun im Unterricht und in der Betreuung über eine gemeinsame Sprache und über gemeinsame Handlungsstrategien. So werden bei Regelverstössen Konsequenzen mit Rücksicht auf die Unterschiedlichkeit von Personen und Situationen individuell ausgesprochen. Wichtig sei – neben der angemessenen «Sühne» – das Wiedergutmachen. Damit soll eine von Schuld entlastete Rückkehr in die Gemeinschaft ermöglicht werden. Für die Lehr- und Betreuungspersonen bestehe situativ selbstverständlich pädagogischer Spielraum.

Balance aller Ansprüche

Heidi Zandbergen und Nora Borschberg legen grossen Wert auf eine gute Vernetzung aller an der Schule Beteiligten. Sie haben in den letzten Jahren viel Zeit und Energie in den Aufbau eines fachlichen und persönlichen Austauschs zwischen Lehrpersonen, Hortleitungen, Schülern, Eltern, Fachstellen und Schulpflege investiert. Das Ziel, das alle verbindet: Die bestmögliche Förderung eines jeden Kindes gemäss seines individuellen Potenzials. Die Grundlage dafür stellt eine tragfähige Beziehung zu den unterrichtenden und betreuenden Personen dar. Man wolle so seinen Teil zur zukünftigen Gesellschaft beitragen und ist stolz darauf, auch ein Lehrbetrieb zu sein. Zurzeit werden in den Horten drei Lehrlinge zu Fachpersonen Betreuung ausgebildet. Die Schulleiterinnen sehen eine ihrer zentralen Aufgaben darin, für eine gute Balance zwischen den nach wie vor wachsenden Ansprüchen, die von aussen an die Schule getragen werden, und der Belastbarkeit ihrer Mitarbeitenden zu sorgen. Es brauche manchmal Mut, weniger zu machen und dadurch Verzettelung vorzubeugen. Aber es zahle sich aus: Viele langjährige Angestellte wie auch ihre eigene Zusammenarbeit weisen auf eine hohe Kontinuität hin.

Der Elternrat als Schnittstelle

Der 2008 ins Leben gerufene Elternrat bildet einen weiteren wichtigen Pfeiler dieser Vision von Schulgemeinschaft. Der 47-jährige Christian Knapp hat den Aufbau des Elternrates massgeblich mitgestaltet, war von Anfang an Vorstandsmitglied und wirkte später mehrere Jahre als dessen Präsident. Der Vater zweier Töchter im Alter von 13 und 15 Jahren ist in der Elektrobranche tätig. Als Kind besuchte er im Vogtsrain die Primarschule von der 1. bis zur 6. Klasse und erinnerte sich auch später gerne an diese Zeit zurück. Nach einigen «Wanderjahren» zog er mit seiner jungen Familie nach Höngg und als seine erste Tochter im «Vogtsrain» eingeschult wurde, suchte er einen direkten Bezug zur ehemaligen Lernstätte. Der fast zum selben Zeitpunkt getroffene Beschluss, die Elternarbeit an den städtischen Schulen zu institutionalisieren, bot Christian Knapp die Chance, sich an dieser Schnittstelle zu engagieren. 2008 entwarf eine Spurgruppe, an der er beteiligt war, das Reglement für die Zusammenarbeit der Schule Vogtsrain mit «ihren» Eltern. Es mussten funktionierende Strukturen aufgebaut und gleichzeitig zwei wichtige Aspekte berücksichtigt werden: Zum einen galt es, allzu hohen Erwartungen von Seiten der Eltern zuvorzukommen, zum anderen standen Befürchtungen der Lehrerschaft im Raum, Eltern könnten sich via Elternrat in methodisch-didaktische Belange einmischen. Das wichtigste Ziel aus Sicht des mittlerweile ehemaligen Präsidenten, zu dessen Erreichen das neue Gremium Wesentliches beitragen konnte: Nebeneinander wirken, ohne einander zu konkurrenzieren, damit die Kinder gerne in die Schule gehen – denn so lernen sie am besten. Allerdings wurde der Elternrat anfänglich von manchen Eltern nicht ernst genommen. Man vermutete hinter dem Ganzen eine Alibiübung. Nicht alle Vorurteile liessen sich abbauen. Christian Knapp zieht heute aber eine positive Bilanz zur Entwicklung der Elternarbeit im Vogtsrain, die von gegenseitigem Verständnis, Respekt und Wertschätzung geprägt sei. Das zeige sich auch immer wieder bei der Bewältigung von Problemsituationen um einzelne Schüler. Selber hat er mit dem Wechsel der zweiten Tochter in die Oberstufe sein Amt abgegeben. Wer sich von den vielfältigen Aktivitäten des Elternrats überraschen lassen will, braucht nur auf www.elternrat-vogtsrain.ch zu klicken.

Quellen:
– Ortsgeschichte Höngg von Georg Sibler, herausgegeben von der ortsgeschichtlichen Kommission des Verschönerungsvereins Höngg, erhältlich im Ortsmuseum Höngg, Vogtsrain 2.
– 1934–2009: Vom Dorf Höngg zum Quartier Zürich-Höngg, von François und Yves Baer, herausgegeben vom Quartierverein Höngg.