Rosengarten – was ist eigentlich das Problem?

Hier sollte ein weiterer, ausgewogener und langer Artikel zur Rosengartenthematik erscheinen. Doch dann platzte der Autorin der Kragen.

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Der Kantonsrat Zürich hat am 25. März über den Erlass eines Spezialgesetzes und die Bewilligung eines Rahmenkredits für das Projekt Rosengartentram und Rosengartentunnel befunden. Mit 102 zu 64 Stimmen wurde die Vorlage angenommen. Es ist damit zu rechnen, dass das Referendum ergriffen und die Bevölkerung im kommenden Herbst an die Urne gerufen wird.

Zum Zeitpunkt, als dieser Artikel verfasst wurde, stand das Resultat so zwar noch nicht fest, war aber absehbar. Als Verleger der Wipkinger Quartierzeitung geht es natürlich nicht, diesen wichtigen Entscheid einfach zu ignorieren. Nicht, dass die Rosengartenstrasse in deren Berichterstattung je zu kurz gekommen wäre. Neben den Beiträgen auf den Seiten der einzelnen Akteure wurde das Thema seit März 2016 fast in jeder Ausgabe redaktionell aufgenommen. Es gab sogar eine Serie «Leben und Arbeiten an der Rosengartenstrasse», die das hiesige Kleingewerbe und die Anwohner*innen porträtierte.

Im Februar und März 2019 hat sich der Kantonsrat schliesslich getroffen, um in langen Debatten die beiden Kommissionsanträge zu diskutieren und eigene zu stellen. Alle Minderheitenanträge wurden abgelehnt. Die SVP kriegt ihre dritte (Sicherheits-)Spur im Tunnel zwischen Bucheggplatz und Hirschwiesenstrasse, die Strecke Wipkingerplatz-Nordstrasse wird nicht zur Quartierstrasse abklassiert, die Plafonierung von 56’000 Autos nicht im Gesetz verankert. Ausserdem soll die Stadt bei einer Umnutzung freiwerdender Grundstücke einen Teil des möglichen Mehrwerts bis 40 statt 20 Jahre nach Inbetriebnahme des Gesamtvorhabens an den Kanton abliefern.

Rosenrotes Märchen

Sollte die Politik überhaupt über Humor verfügen, so hört der Spass an der Westtangente auf. Die Parteien, die sonst Selbstverantwortung predigen, sorgen sich auf einmal um die armen Anwohner*innen. Abgesehen davon, dass man sich fragen kann, ob die Sozialhilfebezüger*innen, Asylbewerber*innen und andere Minderverdienende es sich einst noch leisten werden können hier zu leben, geht das Mitleid dann doch nicht so weit, dass man zu Gunsten des «Grösseren Guten» nicht ein, zwei Hauseigentümer enteignen könnte. Nur ist das Thema zu ernst, und das Projekt zu gross, wichtig und zu teuer, um sich darüber lustig zu machen. Aber es ist eben auch zu ernst, wichtig und teuer, um bei der Diskussion auf idealistischen Standpunkten zu beharren, wie es beide Seiten tun. Denn eigentlich wäre es für das Erreichen einer 2000-Watt-Gesellschaft durchaus nötig, die alten Hauszeilen entlang der Rosengartenstrasse zu sanieren. Solange der Verkehr weiterhin denselben Schmutz und Lärm erzeugt, werden die Vermieter jedoch Schwierigkeiten haben, Leute zu finden, die bereit sind, an diesem Ort die durch Sanierung höheren Mieten zu bezahlen.
Und inwiefern soll das Quartier zusammenwachsen? An den meisten Querstrassen besteht schon heute die Möglichkeit, die Rosengartenstrasse zu überwinden: Wer zum Bäcker an der Lehenstrasse will, erreicht ihn via Unterführung. An der Nordstrasse kann die Bananenbrücke oder die blaue Unterführung benützt werden. Die ist, wie die meisten ihrer Art, zwar keine Schönheit. Aber anders als oft wiederholt, stinkt sie höchst selten nach Urin. Wer von der Dorfstrasse zum Röschibachplatz will, geht über die kleine Brücke und wer am Wipkingerplatz im Coop einkaufen muss, kommt über zwei Ampeln dort hin. Einzig, wer von der Zschokke- zur Geibelstrasse gelangen will, muss einen unnötigen Umweg auf sich nehmen.
Es stellen sich zwei Fragen: Ist das Problem «nur» eines für Leute, die auf der Höngger Seite wohnen? Denn für die Wipkinger*innen, die auf der östlichen Seite leben, gibt es – wenn man ehrlich ist – ausser dem Steiner Beck keinen Grund, auf die andere Seite zu laufen. Es gibt keine Läden, keine Restaurants oder sonstigen Plätze in Gehdistanz. Alles, was weiter entfernt liegt, ist mit dem 46er-Bus und dem 13er-Tram gut erreichbar. Die meisten Kinder im Westen gehen in der Waidhalde zur Schule und nicht im Schulhaus Nordstrasse. Und selbst wenn der Tunnel kommt und die Strasse abklassiert wird: Kann gerade am Knotenpunkt Nordstrasse/Rosengartenstrasse mit zwei Trams, zwei Nord-Süd Autofahrbahnen und den beiden Busspuren 46 und 33 wirklich von einer Beruhigung die Rede sein? Die viel gescholtene Schneise wird mit den beiden Tramlinien auch nicht verschwinden. Es verhält sich ähnlich wie mit dem Urin-Gestank-Gerücht: Man wiederholt es so lange, bis selbst die es glauben, die tatsächlich vor Ort leben.

Alles nur ein Ablenkungsmanöver?

Es entsteht der Eindruck, dass die versprochene Rosengartenromantik der Speck ist, mit dem man die Mäuse fangen will, für ein Projekt, das am Ende erfahrungsgemäss mehr als die kommunizierten 1,1 Milliarden kosten wird. Aber es umfasst eben nicht nur Wipkingen, sondern insgesamt 2,3 Kilometer, wie auch Regierungsrätin und Mutter des Rosengartentunnels, Carmen Walker-Späh, im Kantonsrat wieder in Erinnerung rief. Wieso also wird fast immer nur über den Abschnitt Rosengartenstrasse gesprochen, nicht aber über die Tramlinien über die Hardbrücke? Wieso war diese 2008 für die Initianten des Rosengartentram ok, heute aber nicht mehr? Und was bedeutet es, dass diese Tramverbindung für die VBZ ein Kernelement der Weiterentwicklung des Zürcher Tramnetzes ist? Wird die Bevölkerung so lange über ein Tram abstimmen müssen, bis es ja sagt? Wenn man von Lärm- und Schmutzbelästigung spricht, müsste in der Konsequenz nicht auch die Hardstrasse untertunnelt werden? Und was ist mit dem massiven Umbau, der am Albisriederplatz vorgesehen ist, nachdem dieser vor nicht allzu langer Zeit erst umgebaut wurde? Schon jetzt herrscht dort ein verkehrstechnisches Chaos – wird das mit den beiden zusätzlichen Trams dann besser? Alles Fragen, die im Kantonsrat durchaus angesprochen, auf die aber keine Antworten gefunden wurden.

Schliesst die Schneise der Polemik

Und hier zeigt sich, wo der Hund wirklich hingepinkelt hat: Es geht in dieser Diskussion nicht um Anwohner*innen, nicht um Klimafreundlichkeit, nicht um das Gewerbe. Sondern lediglich um einen Kampf zwischen links und rechts, Autofahrern und Velofahrerinnen, Stadt und Land. Genauso, wie sich die Bürgerlichen in der Stadt von den Mehrheitsparteien ständig vorführen lassen müssen, genauso zeigen die Bürgerlichen im Kanton den Linken, wer befiehlt. Und das ist schade, weil es Personen gibt, die sich tatsächlich seit über 40 Jahren für eine Korrektur dieses grössenwahnsinnigen Fehlers einsetzen. Und die in diesem Projekt einen Kompromiss sehen, der sie zwar nicht begeistert, aber doch immerhin besser ist als der Status Quo. Das Problem ist nur: es ist ein Megaprojekt, und solche können immer nur ganz oder gar nicht realisiert werden. Eine Politik der kleinen Schritte wurde bislang stets verhindert.

Vielleicht war das Timing auch schlecht: So kurz vor den Kantonsratswahlen hatten differenzierte Meinungen keinen Platz. Nur sollten gerade Politiker*innen ihre Wähler*innen nicht vergessen. Denn denen verleidet das ständige und polemische Hick-Hack und gegenseitige Parteienbashing irgendwann. Ein Blick nach Westen genügt um zu sehen, was politikverdrossene Bürger*innen machen, wenn sie sich ignoriert fühlen. Und das kann unmöglich das Ziel sein.

 

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