Rhythmus, Konstanz und Anstand!

In unzähligen Erziehungsratgebern wird Eltern erzählt, dass Rhythmus und Konstanz wichtig seien für Kinder. Die Umwelt wirke auf diese oft unbekannt und überraschend, ein gut strukturierter Ablauf helfe Stress und Anstrengung zu verhindern. Dies scheint nicht nur für die Kleinen zu gelten, denn sind wir ehrlich: Das Leben der meisten ist geprägt von Rhythmus und Konstanz – auch das der Zürcher Kantonsrät*innen.

Sylvie Matter, SP

Jede*r kennt es: Immer gleiche Abläufe im Alltag oder wöchentliche Telefonate mit den Eltern zur immer gleichen Zeit. Konstanz gibt Sicherheit, wenn die Welt aus den Fugen geraten scheint; aber Rituale können auch unnötig werden. Im Kantonsrat ist das nicht anders. Seit vier Jahren darf ich die Rhythmen und Rituale im Rathaus kennenlernen. Nicht nur Sitzungstag und -ablauf, Reihenfolge der Redner*innen und der Sitzplatz jedes Einzelnen ist festgelegt, sondern auch der Platz in der Garderobe. Doch einmal im Jahr fällt der Rat aus seinem normalen Rhythmus, tagt zusätzlich am Dienstag, und die Redner*innen verzichten bei ihren Voten auf die ansonsten immer üblichen Begrüssungsformeln. Immer dann nämlich, wenn der Kantonsrat das Budget und den Entwicklungs- und Finanzplan bespricht.

Alle Jahre wieder

Man ahnt es: Auch der Ablauf der Budgetdebatte ist konstant: Auf die Eintretensdebatte folgt die Beratung der einzelnen Anträge – 93 sind es dieses Jahr – danach folgt die Runde mit den Voten der Fraktionspräsident*innen und die Schlussabstimmung. Doch nicht nur der Ablauf der Budgetsitzung ist jedes Jahr gleich, auch gewisse Anträge kommen alle Jahre wieder. So zum Beispiel der Antrag der SVP, bei der ZHAW und der ZHdK 13 Millionen zu sparen. Egal, welche Anstrengungen zur Optimierung die Fachhochschulen unternommen haben, egal, wie dringend ihre Abgänger*innen in der Wirtschaft gebraucht werden, egal, wie zutreffend der Antrag überhaupt ist (vorgeworfen wird ungezügeltes Wachstum, die ZHdK nimmt aber nur eine festgelegte Zahl Studierender auf): Die SVP stellt immer wieder den gleichen Antrag – auch ein Ritual, aber ein unnötiges.
Seit vier Jahren darf ich zu diesem Antrag sprechen und stehe immer vor der Versuchung, das Votum des letzten Jahres wieder zu halten – ist ja auch der gleiche Antrag. Doch das wäre den betroffenen Hochschulen gegenüber unanständig und würde ihre Anstrengungen missachten. Und nicht nur vor Weihnachten gilt: Auch wenn Rhythmen und Konstanz wichtig sind, der Anstand darf nicht verloren gehen. Das gilt auch in der Politik.

Sylvie F. Matter, SP, Kantonsrätin

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