Palmen auf dem Käferberg

Dass die Wipkinger immer wieder versuchen, den Käferberg ihrem Quartier zuzuschlagen, ist nachvollziehbar: Dort oben gibt es Palmen, Granittische und ein Restaurant, das sich klammheimlich zur Gourmetbeiz gemausert hat.

Die beiden Vorspeisen: Links "Ziegenkäsemousse auf grüner Wiese», rechts «Randenmousse mit Mozzarella und Meeretich-Heu».
Ossobuco
Schwarzer Risotto
Desserts, links Crème brulée mit Farina-bona Glacé, rechts Panna cotta im Glas.
Tessin Grotto-Team vor Palmen Links Susanne Hofstetter, rechts Madeleine Rog, die beiden Gastgeberinnen, in der Mitte René Will, Küchenchef.
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Was für eine Steigerung! Höwi kennt René Will, den Küchenchef im «Tessin Grotto», seit der den Kochlöffel zum ersten Mal in einer Polenta geschwungen hat. Seither hat der Norddeutsche, dessen Grossvater ein Küssnachter war, die Kulinarik auf ein Niveau gehoben, das Gault-Millau-Punkte verdient. Klar finden sich auf der Karte klassische Gerichte wie Ossobuco, Brasato, Risotto & Co., viele Kreationen sind jedoch nicht der Tessiner Folklore geschuldet, sondern raffinierte mediterrane Etuden. Die Ziegenfrischkäsemousse ist ein gutes Beispiel. Die beste, vergleichbare Mousse kennt Höwi vom «Centovalli» in Ponte Brolla. Will’s Kreation ist noch einen Zacken luftiger und schmeckt weniger zickig. Hübsch die «grüne Wiese», püriert aus frischen Garten- und Wildkräutern vom Keltenhof. Edel ist auch die Randenmousse mit Büffelmozzarella und Meerrettichspänen. Süsse, scharfe und bittere Geschmacksnoten ergeben eine olfaktorisch spannende «Reise». Dazu ein knuspriges Brot aus dem Maggiatal, einen weissen Merlot, zum Beispiel einen «Terre alte» von Gialdi oder einen «Sinfonia» von Chiericati: Da kann man sich das Halbtax nach Ascona (65 Franken) tatsächlich sparen. Den Stau vor dem Gotthard sowieso. Den Risotto haben ohnehin nicht die Tessiner erfunden, warum also nicht mal einen schwarzen Risotto probieren, zubereitet aus Venere-Reis aus dem Piemont? Schön al dente schwimmen die kleinen Körner im Fond. Eine grüne Insel aus Erbsen-Mandel-Pesto und Ubriaco-Käse bereichern das Gericht. Dass marinierte Erdbeeren mitschwimmen, ist der Saison und der Farbe geschuldet. Passender wäre grüner Frühlingsspargel, was vor drei Monaten der Fall war, wie Renée erklärt. Picobello auch das Ossobuco mit den Riesen-Gnocchi. Bei der geschmorten Kalbshaxe gibt einzig die Sauce Anlass zu Kritik. Der dunkle, dicke Saft tut dem zarten Fleisch am Knochen – Lieferant ist die Metzgerei Keller am Manesseplatz – auch optisch nicht gut. Hat René, der früher im «Tobelhof» in der Küche stand, das Rezept von dort mitgenommen? Im «Tobelhof» wird diese Sauce zu praktisch jedem Gericht serviert, sogar zum Läberli!

Glacé aus geröstetem Maismehl – geht das?

Es geht! Und darüber hat sich Höwi besonders gefreut. Denn «Farina bona» ist eine wiederentdeckte Rarität aus dem kulinarische Erbe der Bauern aus dem Onsernonetal. Sie haben die Maiskörner zuerst über dem Feuer geröstet und erst danach gemahlen. Das gibt dem Mehl – und damit auch dem Glacé – einen feinen Popcorn-Geschmack. Serviert wird die Kreation zu einer Crème brûlée mit Tonkabohnenaroma. Höwis Frau, alles andere als ein Dessertfan, war drauf und dran, noch eine zweite Portion zu bestellen. Ähnlich erging es Höwi bei der «Panna cotta», die nicht wie üblich als schwabbliger Pudding daherkommt, sondern als luftige Mousse im Glas. Oben drauf Pistazienkernöl und neben dem Glas Himbeermark, meilenweit entfernt von den industriellen Toppings mit Geschmacksverstärkern. Mehr davon zum Schluss.

Transparenz bis zur Kaffeebohne

Der Kaffee von Carlito aus Losone, das Mineralwasser «Gazosa» aus Bellinzona, der Whisky von den Terreni alla Maggia aus Ascona: Man spürt, dass die Pächter Tessinfans sind. Sogar beim Fondue, genannt «Fonduta», werden Alp- und Bergkäse aus der Leventina und dem Bedretto verwendet. Unbedingt probieren: die Variante mit Maronistücken. Nachhaltigkeit liegt den Gastgebern ebenfalls am Herzen. Viele Ausgangsprodukte kommen von Biobetrieben oder sind Pro-Specie-Rara. Und weil es immer mehr Menschen mit Lebensmittelallergien gibt, bietet das Haus auch etliche gluten- und/oder lactosefreie Speisen an. Es gibt sogar eine eigens kreierte Karte für Allergiker. Für Vegis ist das «Tessin Grotto» ohnehin ein Paradies. Die Gnocchi mit Salbei oder die Ravioli mit Gemüsefüllung sind Gerichte, bei denen sogar «Eingefleischte» einen Seitensprung ins Auge fassen.

Apropos Innovation

Die findet im «Tessin Grotto» nur beim Personal nicht statt. Seit die Hofstetters 2009 das damalige «Jägerhaus» übernommen und komplett umgekrempelt haben, sind die Protagonisten an Susannes Seite die gleichen: Nebst dem Küchenchef ist es Madeleine Rog als Gastgeberin. Stets guter Laune und sichtlich Fan ihres Jobs. Auch Ersin, der Kellner, ist seit sieben Jahren dabei: Welche Sorte Mozzarella ist das? Wurde dieser Merlot im Barrique ausgebaut? Wie heisst der Kaffeeproduzent? Ersin weiss es. So viel personelle Konstanz ist die Ausnahme in der Gastronomie und gibt dem Gast das Gefühl, als würde nach Hause kommen.

Kritik?

Claro! Wir sassen neben dem Teich mit den Seerosen und den Goldfischen. Auf der Karte erscheinen die Karpfenfische selbstverständlich nicht, somit bleibt nur die Vermutung, dass sie sich selber dezimieren, denn es waren nur fünf. Dann die homöopathische Dosierung des Himbeermarks bei der Panna cotta. Sorry Leute, wenn Ihr schon eine derart feine Sauce serviert, dann bitte nicht schmürzelen! Preislich sind die separat verrechneten Beilagen an der Schmerzgrenze. Klar, werden zum Beispiel die Gnocchi à la minute zubereitet und sind eine Klasse für sich. Aber 12.50 Franken?! Bei der Weinauswahl – mitkonzipiert vom Tessiner «Weinpapst» Urs Mäder, Ascona – vermisst Höwi ein paar wirklich edle Etiketten. Aber vielleicht schlummern ja noch einige im Keller, wo man als Gast reindarf um selber auszuwählen.

Tessin Grotto
Waidbadstrasse 151
8037 Zürich
geöffnet Mittwoch bis Sonntag 9 bis 23 Uhr.
Telefon: 044 271 47 50
www.tessin-grotto.ch

Zum Autor
Er nennt sich Höwi, ist ein stadtbekannter Gastrokritiker und Buchautor und schaut den kochlöffelschwingenden Profis im Kreis 10 in die Töpfe. Die Gastrokolumne erscheint monatlich im Höngger und alle drei Monate im Wipkinger.

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