Höngger Fauna
Ob Maus oder nicht Maus
Tag und Nacht unterwegs – so kosten die kleinen Vielfrasse ihr kurzes Leben voll aus. Sie sind jetzt im Frühling besonders gut zu beobachten und auch zu riechen, die Hausspitzmäuse.
8. April 2021 — Marianne Haffner
Als ich vor Jahren eine Holzbeige umschichtete, schoss plötzlich eine etwa 30 Zentimeter lange, pelzige Schlange hervor und verschwand blitzschnell unter dem Gartenhaus. Ich hatte ein Phänomen beobachtet, das ich bisher bloss aus Büchern kannte: eine Spitzmauskarawane! Normalerweise tragen Spitzmausweibchen, zum Zügeln oder wenn ihr Nest bedroht wird, ihre Jungen einzeln im Maul davon, wie viele andere Säugetiere auch. Das dauert aber bei bis zu sieben Spitzmaus-Jungen zu lang. Viel effizienter ist da die Karawanenbildung. Dabei beisst sich ein Jungtier rasch am Hinterteil der Mutter fest, das nächste am Hinterteil des ersten und so weiter, wonach die Karawane – als «pelzige Schlange» eben – in Sicherheit flüchtet. Das Spektakel in meinem Garten dauerte bloss ein paar Sekunden und blieb seither leider einmalig. Trotzdem muss ich Hausspitzmäuse nicht missen. Mein Wintergarten duftet immer wieder moschusartig, weil Spitzmäuse unter der Blechabdeckung wohnen. Die etwa zehn Gramm leichten Tiere riechen derart stark, dass Hauskatzen sie zwar erjagen, aber nicht fressen. Doch kann man Hausspitzmäuse nicht nur riechen, sondern gerade jetzt im Frühling, wenn die Bodenvegetation noch nicht besonders dicht ist, auch gut beobachten. Mit ihren spitzen Schnauzen und den darauf sitzenden, langen Tasthaaren beschnüffeln und betasten sie unentwegt die nähere Umgebung auf der Suche nach Nahrung. Die kleinen Augen spielen dabei eine untergeordnete Rolle, während die grossen Ohren sehr empfindlich sind. Vor allem Insekten und deren Larven, Asseln, Spinnentiere und auch Schnecken stehen auf ihrem Speiseplan. Und sie fressen Unmengen davon, täglich annähernd das eigene Körpergewicht. So wundert es nicht, dass Hausspitzmäuse während 24 Stunden rund zwölfmal auf ausgiebige Nahrungssuche gehen. Bei extremem Nahrungsmangel können sie allerdings für ein paar Stunden in Lethargie fallen, die Körpertemperatur von 38 auf 18 Grad, sowie die Herzfrequenz und die Atmung absenken.
Spitzmäuse gehören, wie Igel und Maulwürfe, zur Ordnung der Insektenfresser. Sie haben also nichts mit Mäusen, mit Nagetieren zu tun. Insofern ist ihr Name irreleitend. Deshalb wollte die Deutsche Gesellschaft für Säugetierkunde 1942, mitten im Krieg, «die falschen Mäuse» Spitzmaus in «Spitzer» und Fledermaus in «Fleder» umbenennen. Doch Adolf Hitler winkte ab: Einerseits sollte man Bezeichnungen, die sich eingebürgert hätten, nicht abändern und andererseits fand er, wenn die Gesellschafter nichts Wichtigeres zu tun hätten, könne man sie ebenso gut in Baubataillonen an der russischen Front einsetzen. Nur, den Spitzmäusen ist es egal, wie wir sie nennen, Hauptsache ihre Nahrungsbilanz stimmt.
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