Mit Trudi auf friedlicher Mission

Vor vier Monaten ist Giovanni Guidon nach Höngg gezogen. Mit im Gepäck war seine Konzertorgel «Trudi», mit der er nun hier für nostalgische Musikerlebnisse sorgen wird. Ein Portrait des Höngger «Orgelmannes».

Giovanni Guidon und seine «Trudi»: Beide erst vor vier Monaten hierher gezogen, aber schon wohlklingend zuhause.

Stattlich sieht sie aus, die Trudi. Ein grosser, massiver Kasten aus rotem Holz auf einem fahrbaren Untersatz, kunstvoll verziert mit filigranen Zeichnungen und einem kleinen Gemälde, das die Stadt Zürich darstellt. «Amor vincit omnia», «die Liebe besiegt alles», steht in geschwungener Schrift auf dem Deckel. Nur die zwölf hölzernen Orgelpfeifen, die von aussen sichtbar sind, lassen auf den ersten Blick erkennen, dass es sich hierbei um ein Musikinstrument handelt.

Mit Pfeifen und Trompeten

Richtig eindrücklich wird die Begegnung mit Trudi aber, wenn Guidon an der Kurbel auf ihrer Rückseite dreht. Dann setzt sich der Blasebalg in ihrem Inneren in Bewegung und pumpt Luft durch die insgesamt 78 Pfeifen und die 20 Kupfertrompeten. Ihr warmer Klang erfüllt den Raum, an eine Kirchenorgel erinnernd und doch ganz eigen. Sechs verschiedene Register kann «der Orgelmann» ziehen und damit zwischen Trompeten- und Pfeifenklang variieren, die Lautstärke anpassen, Vibrato einfügen. Mal klingt die Orgel majestätisch-pompös, dann wieder ganz sanft und melancholisch. Das Stück, das gespielt wird, befindet sich dabei auf einer gestanzten Papierrolle, einem sogenannten Lochband, das in zwei Spulen eingelegt und durch das Drehen der Kurbel abgewickelt wird. Beim Abwickeln fährt das Band mit seinem Lochmuster über einen Widerstand, der die einzelnen Pfeifen aktiviert. Produziert werden die Bänder ebenso wie die Orgeln von einem deutschen Orgelbauer – alles in Handarbeit. Rund 60 dieser Bänder, die jeweils drei bis vier Musikstücke beinhalten, besitzt Guidon bereits. Seine Sammlung baut er stetig aus.

Musik als festlicher Moment

«Seit meinen Anfängen als Orgelspieler habe ich mir einen Fundus von Liedern zusammengestellt, mit dem ich ungefähr zehn Stunden am Stück Musik machen könnte», erklärt der 68-jährige. «Darunter befindet sich viel klassische Musik, aber auch Volkstümliches, Chansons und modernere Stücke». Sein Repertoire passt Guidon dabei stets der Situation an, in der er spielt. Eins jedoch gehört für ihn immer dazu: «Wenn ich spiele, kleide ich mich festlich und zelebriere den Augenblick. In erster Linie spiele ich für mich, ob jemand zuhört oder nicht, das ist sekundär. Glücklich macht es mich, wenn Kinder zuhören, staunen und sogar zu meiner Musik zu tanzen anfangen», so Guidon. In seinen Augen ist die Musik ein Gesamtkunstwerk, zu dem mehr gehört, als einfach nur den «Leierkasten» zu bedienen. «Natürlich kann man dem Örgelimaa vorwerfen, dass er nur vorproduzierte Musik wiedergibt und keine grosse Eigenleistung vollbringt. Ganz so einfach wie es aussieht, ist es aber nicht. Es braucht nicht nur ein gutes Rhythmusgefühl, um das Tempo des jeweiligen Stückes richtig wiederzugeben, auch ein gutes Timing ist unerlässlich, um die Register im richtigen Moment zu ziehen». Das will trainiert werden. Zuhause in seiner kleinen Zweizimmerwohnung verzichtet Guidon allerdings aus Rücksicht auf die Nachbarn weitgehend darauf, auf der Orgel zu spielen. Er hat dafür ganz in seiner Nähe den idealen Übungsraum gefunden: «Zum Üben gehe ich in die Tiefgarage des Coops hier im Zentrum von Höngg. Dort ist die Akkustik super, es klingt, als würde ich in einer Kathedrale spielen», erklärt er.

Ein Kindheitstraum wird wahr

Wie aber kommt man auf die Idee, Drehorgel zu spielen – ein Instrument, das in Zeiten von iPhones und iPods vom Aussterben bedroht ist? Guidon, oder «(gui)Don Giovanni», wie er sich auch nennt, hat erst vor einigen Jahren damit angefangen. Lange hat er für seine eigene Drehorgel gespart und sich mit ihrem Kauf einen Herzenswunsch erfüllt. Das Spiel auf der Drehorgel hat für ihn nostalgischen Charakter. Aufgewachsen in einer Pfarrersfamilie als achtes von neun Kindern war die Welt der populären Musik, das Theater und die Jahrmärkte, die ihn so faszinierten, für den strengen Vater stets ein Tabu. Seine Kreativität, sein musikalisches und künstlerisches Talent konnte Guidon in seiner Kindheit nicht ausleben. «Ich wäre so gerne Barpianist geworden, aber das war mir leider nicht vergönnt. Nun kompensiere ich diesen unerfüllten Wunsch mit meiner Tätigkeit als «Örgelimaa», das kommt dem Barpianisten schon ziemlich nahe», erklärt er mit einem Augenzwinkern. Neben der Malerei, den Federzeichnungen, die für ihn die Funktion eines Tagesbuchs haben und von denen einige auf der Orgel verewigt sind, hat er mit dieser Musik ein zweites Ventil gefunden, um seine Gefühle auszudrücken.

Friedensbotschaft

Schliesslich geht es ihm auch darum, eine Botschaft zu transportieren. «Als Örgelimaa in der traditionellen Rolle, wie er früher auf Jahrmärkten zu finden war, ist man immer auch ein wenig ein Clown, der den Zuschauern gute Laune schenkt. Ich möchte mit meiner Musik gerne Freude verbreiten und gegen Krieg und Missgunst auf der Welt anspielen. <Amor vincit omnia>, die Liebe besiegt alles, dieser Spruch hat für mich eine sehr grosse Bedeutung. Meine Mutter Trudi hat mir vorgelebt, was dieser Satz bedeutet». Ihr zu Ehren hat er seine Orgel Trudi getauft. Wer sich für Guidons Kunst interessiert oder ihn und seine Orgel für einen Anlass buchen möchte, findet unter www.der-orgelmann.ch oder auf facebook unter «der Orgelmann» weitere Informationen. Die Erlöse, die er bei seinen Auftritten erzielt, spendet Guidon an die Schweizerische Stiftung für das cerebral gelähmte Kind.

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