Meine Freundin, die Primel

Unsere Redaktorin Dagmar Schräder schreibt über die grossen und kleinen Dinge des Lebens. Heute über den Wert einer Blume.

Dagmar Schräder bringt ihre Gedanken aufs Papier. (Foto: dad)

Vor Kurzem war ich einkaufen. In einem Supermarkt. Neben der Lebensmittel- war eine grössere Blumenabteilung, in der die ersten Frühlingsblumen zum Verkauf angeboten wurden. Osterglocken, Tulpen, Primeln und Narzissen leuchteten in den schönsten Farben, adrett arrangiert, in kleinen Osterkörbchen und mit Osterhasen und bunten Eiern dekoriert. Der Anblick erfreute mein Herz – und das vieler anderer Kund*innen sicher auch.

In den wenigen Minuten, die ich vor der Auslage verbrachte, erstanden gleich mehrere Personen so einen bunten Frühlingsgruss. Auch ich war versucht zuzugreifen. So ein Blümchen tut einfach gut, vor allem, wenn es draussen nass und grau ist. Ich widerstand der Versuchung, weil ich bereits voll bepackt war mit Esswaren für die Familie.

Nach dem Einkaufen passierte ich den Hintereingang des Geschäfts. Und dort, aus einem grossen Müllcontainer, lugten zwei gelbe und zwei rosarote Blumen hervor. Vier kleine Primeln, schon halb zugedeckt durch Plastikverpackungen und anderen Müll, aber sich doch deutlich vom Abfall hervorhebend. Einzelne Blüten waren bereits etwas verwelkt, die Blätter hingen ein wenig mitgenommen hinunter, aber sie waren noch lebendig.

Es war offensichtlich, dass die vier Primeln draussen in der Auslage gegen ihre Schwestern und Kolleginnen keine Chance hatten. Mit ihren welken Blüten würde sich niemand für sie entscheiden, wenn daneben zum gleichen Preis strahlende und unversehrte Exemplare käuflich zu erwerben waren. Also waren sie nix mehr wert. Logische Konsequenz: Sie wurden entsorgt.  

Österlicher Weltschmerz

Klar, es waren «nur» ein paar Blümchen, aber mich überkam bei ihrem Anblick doch ein leichter vorösterlicher Weltschmerz. Wie fies wir doch zuweilen zu den anderen Bewohner*innen dieses Planeten sind, wie acht- und respektlos wir mit ihrem Leben umgehen. Wie kommen wir überhaupt darauf, Lebewesen zu züchten, die einzig und allein den Zweck haben, uns für ein paar Tage oder Wochen zu gefallen? Wir holen uns die Blümchen ins Wohnzimmer, um den Frühling zu spüren, ein wenig Leben in der guten Stube zu haben, uns nahe der Natur zu fühlen. Und sind gleichzeitig so meilenweit von ihr entfernt.

Ich hab die vier kurzerhand aus dem Müll gefischt und mit nach Hause genommen. Die welken Blüten hab ich abgeschnitten. Sie haben sich dafür bedankt, indem sie innerhalb weniger Tage wunderschöne neue Blüten produziert haben. Die erfreuen jetzt mein Herz jeden Tag von Neuem. Noch viel mehr, als es perfekte Blümchen getan hätten.

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