«Mein Schatz ist das A und O, Anfang und Ende»

Kantaten waren in der Barockzeit ein fester Bestandteil des Gottesdienstes in grösseren Kirchen und für Bach im Speziellen eine liturgische Form, die seiner Fantasie einen unbegrenzten Spielraum liess.

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Am vergangenen Samstagabend führte der Reformierte Kirchenchor Höngg unter der Leitung von Peter Aregger zusammen mit dem Orchester Aceras barock, dem Organisten Robert Schmid, Catriona Bühler, Sopran, Alexandra Forster, Alt, Loïc Paulin, Tenor und Christian Marthaler, Bass, im Reformierten Kirchgemeindehaus erstmals wieder nach der Pandemie-Schliessung drei Kantaten von Johann Sebastian Bach auf.
Das Konzert begann mit der Kantate BWV 112, für welche Bach den bekannten 23. Psalm «Der Herr ist mein Hirte» Form und Klang für ein persönliches Glaubensbekenntnis anbietet. Es beginnt denn auch fast intim mit Horntönen, in die sich der grosse Chor langsam und feierlich einmischt, um dann einem Oboensolo und der Altistin Alexandra Forster Raum für ein sanftes, beschwingtes Zwiegespräch zu lassen. Im folgenden Rezitativ bekräftigt Christian Marthaler mit seiner tragenden Bassstimme, dass er auch «im finstern Tal sich vor keinem Ungelücke fürchte». Loic Paulin, von dem wir jedes einzelne Wort verstehen, und Catriona Bühler erklären sich in einem spannenden Duett und farbigen Tonkombinationen, weshalb der Herr ihr «Herze unverzagt und frisch» mache, worauf der Chor, die Oboen, die Violinen und Bratschen, und überhaupt das ganze Orchester mitsamt den vier Sänger*innen erklären, dass Gutes und die Barmherzigkeit nach ihrem Leben folgen würden.
Die darauffolgende Kantate, BWV 27, «Wer weiss, wie nahe mir mein Ende?» spricht und singt von den letzten Dingen, die zur Zeit Bachs – die Uraufführung fand 1726 statt – als der Tod fast alltäglich präsent und unvermutet eintreffen konnte. So beginnt diese Kantate mit der Frage der Sopranistin, wie nahe das Ende wohl sei, worauf der Chor lamentoartig und von der Altistin, dem Sopran und dem Tenor wechselseitig bestärkt nach Antworten sucht und sich darauf wiederum die Sopranistin und der Bass mit «Gute Nacht, du Weltgetümmel» ins Gespräch einmischen. Das Ganze plätschert etwas dahin, was dem Thema wohl geschuldet ist, bis sich der Chor und speziell auch die Orgel abschliessend einmischt mit dem kategorischen Imperativ «Welt ade! Ich bin dein müde – in dem Himmel allezeit Friede, Freud und Seligkeit!».
Den Kantatenabend beschliesst Peter Aregger mit einer Perle der Chormusik, mit der Kantate Nummer 1 (!) des Bachwerkverzeichnisses: «Wie schön leuchtet der Morgenstern», die Bach am 25. März 1725 an Mariae Verkündigung erstmals aufführte. Wiederum ist die Einstimmung durch das Orchester leicht wie Bergluft, Bläserstimmen evozieren eine Herbststimmung, in die sich ein beschwingter Chor einstimmt und immer weitere Facetten ausspielt, sich Paulin und Bühler bejahend die Verse teilen und die Oboe in langen, eleganten Bögen die Sängerin unterstützen. Im Kontrast dazu die darauffolgenden Männerpartien, in denen Marthaler und Paulin die barocken Kontraste von hell und dunkel, von laut und leise demonstrieren und der Text dazu «ein irdisch Glanz, ein leiblich Licht rührt meine Seele nicht» das Ganze ironisch kommentiert. Der Chor antwortete darauf mit der intensiven Begleitung des Orchesters und unterstützt von Sopran, Alt und Tenor: «Wie bin ich so herzlich froh, dass mein Schatz ist das A und O» und fügte der Form halber noch zu: «Amen! Amen! Komm Du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange, Deiner wart ich mit Verlangen!» Ist diesem zutiefst christlichen Werk aus früherer Zeit etwas Moderneres entgegenzustellen?                                              

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