Mehr als eine Ansammlung von Bäumen

Im «Waldlabor» auf dem Hönggerberg wird der Wald erforscht und dokumentiert. In Rahmen einer von der ETH organisierten Führung erfuhren die Teilnehmer*innen am 29. März, was hier eigentlich genau geschieht.

Station Mittelwald. Martin Brüllhardt erläutert seinen Zuhörer*innen, wie ein Mittelwald funktioniert. (Foto: Dagmar Schräder)

Unter «Labor» stellt man sich gemeinhin fensterlose Räume voller Chemikalien, Pipetten und Sicherheitstafeln vor. Das im Jahr 2020 gegründete «Waldlabor» ist da ein ganz klein wenig anders: Es besteht aus einem 150 Hektar grossen Waldstück auf dem Hönggerberg. Die beiden Eigentümerinnen des Waldes, Stadt und Kanton Zürich, haben es dem gemeinnützigen Verein «Waldlabor» für die Dauer von 100 Jahren zur Erforschung zur Verfügung gestellt (der «Höngger» berichtete). Der Verein besteht aus sechs Mitgliedern – den beiden Eigentümerinnen, dem Verband WaldZürich, welcher das Projekt initiiert hat, den Forschungsinstitutionen ETH Zürich und der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL sowie dem Verband des Zürcher Forstpersonals.
Die Vision des Waldlabors ist es, den Kulturwald, also den von Menschen bearbeiteten und genutzten Wald, zu untersuchen, zu dokumentieren und für alle erlebbar zu machen. Fünf verschiedene Schwerpunktthemen werden hier gezeigt und erforscht, dabei versteht sich der Verein als offene Plattform, wo jede*r eigene Projekte durchführen kann. Die Ergebnisse und Erkenntnisse sollen dabei nicht nur Fachleuten und Forschenden zur Verfügung stehen, sondern auch der breiten Bevölkerung nähergebracht werden.

Forschen unter natürlichen Bedingungen

Eine Möglichkeit, das Waldlabor besser kennenzulernen, bieten die kostenlosen öffentlichen Führungen, die «Public Tours», der ETH. An diesem Frühlingsabend Ende März haben sich 25 Personen zu der Führung angemeldet, Kinder und Erwachsene, ältere und jüngere Semester, die ganze Bandbreite. Er freue sich sehr über das rege Interesse, begrüsst Ralph Trossmann, Programmverantwortlicher für die Public Tours bei der ETH Zürich, die Teilnehmer*innen vor dem Schützenhaus auf dem Hönggerberg. Saharastaub liegt in der Luft und färbt den Himmel leicht rötlich, als sich die Gruppe unter der Leitung von Martin Brüllhardt, dem Geschäftsführer des Waldlabors, auf den Weg macht, um den Wald zu erkunden.
«Dieses Waldstück ist ein Reallabor, wo unter natürlichen Bedingungen die vielgestaltigen Einflussfaktoren auf den Wald untersucht werden», beginnt Brüllhardt seine Ausführungen. «Untersucht, quantifiziert und dokumentiert werden auch viele der Leistungen, welche der Wald bringt, von der Sauerstoffproduktion über die Wasserfiltration bis hin zum CO2-Speicher. Hier kann eine gemeinsame Gestaltung und Nutzung dieses komplexen Ökosystems unter Berücksichtigung aller Interessen ausgelotet werden – immer im Sinne einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit.»  

Station Mittelwald

Die Führung beginnt im Mittelwald – eine lichte Fläche, hauptsächlich aus Eichen bestehend, direkt anschliessend an das Schützenhaus und die Sportanlagen. Für das Laienauge sieht sie ziemlich erschreckend aus – ausgedünnt, mit weniger Bäumen als gewohnt (auch hierzu berichtete der «Höngger»). Hat das noch etwas mit Wald zu tun?
Diese Form der Waldnutzung, so Brüllhardt, sei jahrhundertealt. Charakterisiert wird sie durch eine zweischichtige Bewirtschaftung. Die Schicht des «Niederwalds» oder «Hauschicht», wird alle 20 Jahre geerntet und als Brennholz verwendet. Dabei werden die jungen Bäume «auf Stock gesetzt», also weit unten abgeschlagen. Die Baumstrünke der Hagebuche, Linde oder des Hasels treiben dann mehrstämmig wieder aus, sie bilden sogenannte Stockausschläge. Die «Oberschicht» dagegen besteht aus Kernwüchsen, wird länger stehen gelassen und diente in der Vergangenheit als Bauholz.
Diese Bewirtschaftungsform habe einige Vorteile, erklärt Brüllhardt seinen Zuhörer*innen: So wächst die Hauschicht auf dem vorhandenen Wurzelwerk und kann schnell viel oberirdische Biomasse bilden. Das Schlagen der jungen Bäume führt zudem zu einer Auflockerung der Strukturen und lässt mehr Licht auf den Boden, so dass hier Arten gedeihen können, die lichtaffin und wärmebedürftig sind und an schattigen Standorten nicht gedeihen.
Heute werden die alten Mittelwaldeichen im Hönggerwald geschont und in der Regel nicht geerntet, denn sie dienen als Habitat für Vögel und Insekten, etwa für seltene Arten wie den Mittelspecht. Man finde hier Eichen, die rund 120 – 150, teilweise auch 200 Jahre alt seien, erklärte Brüllhardt. Auch abgestorbene Bäume werden zum Teil stehen gelassen, um Habitate für totholzbewohnende Arten zur Verfügung zu stellen.  

Forschen und erklären

Eine andere Nutzungsform, die Brüllhardt seinen Gästen zeigt, ist der «Dauerwald». Dieser Laubwald, der in der hiesigen Region natürlicherweise vor allem aus Buchen bestünde, wird anders bewirtschaftet als ein Mittelwald und unterscheidet sich optisch daher auch entscheidend von dieser Waldform. Hier werden alle fünf Jahre nur einzelne Bäume in der Menge des Zuwachses genutzt, sodass die Waldbewirtschaftung und die Veränderung des Waldbildes für Spaziergänger*innen weniger auffällig ist. Dafür gelangt aber auch weniger Licht auf den Waldboden, so dass Arten, die nicht schattentolerant sind, an dieser Stelle kaum gedeihen.
In Bezug auf die Gehölzartenvielfalt ist insbesondere auch das auf dem Hönggerberg angelegte «Arboretum» von Bedeutung: Hier werden verschiedene mitteleuropäische Gehölzpflanzen kultiviert – über 250 Arten werden hier ausgebracht und gepflegt. Interessant sind diese Gehölze nicht nur in Bezug auf die Veranschaulichung der Artenvielfalt, sondern auch in Hinblick auf den Klimawandel. Im Arboretum kann exemplarisch ausgelotet werden, welche Arten am besten mit einem sich verändernden Klima klarkommen, um allenfalls auch weiterführende waldbauliche Forschung zu inspirieren.
Und auch die verschiedenen Forschungsprojekte im Wald kommen während der Führung zur Sprache. So werden etwa die Wasserkreisläufe im Wald untersucht oder anhand der Aktivitäten von Mikroorganismen erforscht, inwiefern die Wärmeentwicklung in der Stadt das Mikroklima im Wald verändert.

Zwei verschiedene Nutzungsformen: Zwischen dem Nadelwald links und dem Laubwald rechts sind deutliche Unterschiede zu erkennen. (Foto: Dagmar Schräder)

Wie alt werden die Bäume – und wieso?

Das Interesse der Teilnehmenden an den Ausführungen Brüllhardts ist gross. Die Fragen, die gestellt werden, verraten, dass sich der Grossteil der Teilnehmer*innen bereits eingehend mit der Thematik befasst hat. Auch die jüngsten Teilnehmer*innen sind ganz bei der Sache. «Wie alt können Bäume maximal werden? Und warum werden sie so alt?», fragen die Kinder den Experten. Und schliesslich: «Wie viele Bäume gibt es eigentlich insgesamt auf der Welt?» – eine Frage, die selbst Brüllhardt nicht wirklich beantworten kann.
Nach rund einer Stunde verabschiedet sich dieser von seinem Publikum. In einigen Wochen wird erneut eine Führung zum Waldlabor stattfinden. Wer dieses auch ausserhalb einer Führung erkunden möchte, kann dies jederzeit tun. Informationen dazu liefern die vier aufgestellten Tafeln sowie die Waldlabor-App, die sich für den Besuch auf das Mobilgerät herunterladen lässt. Und wer selbst ein Forschungsprojekt habe oder eine drängende Frage im Zusammenhang mit dem heimischen Wald, sei, so Brüllhardt, herzlich eingeladen, sich beim Verein zu melden.

Fragerunde im Wald. (Foto: Dagmar Schräder)

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