Lehrstellensuche und Corona

Seit mehr als einem Jahr Ausnahmezustand, Lockdown, Homeoffice und Unternehmen mit schweren wirtschaftlichen Problemen. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für die Jugendlichen der zweiten und dritten Sekundarschulklassen, um neu in den Berufsalltag einzusteigen oder sich eine Lehrstelle zu suchen. Wie äussert sich die Krise in Bezug auf die Lehrstellensuche?

Andres Züger berät die Sekundarschüler*innen bei der Berufswahl

Rund zweihundert Jugendliche besuchen momentan eine der zweiten und dritten Klassen des Sekundarschulhauses Lachenzelg in Höngg. Die Schüler*innen der dritten Klassen befinden sich in punkto Berufsfindung auf der Zielgeraden: Nach den Sommerferien starten sie in einen neuen Lebensabschnitt, sei es mit dem Beginn einer Lehre, dem Besuch einer weiterführenden Schule wie einem Gymnasium oder einer Mittelschule. Wer keine Lehrstelle findet, muss sich bis zum Sommer um eine alternative Anschlusslösung bemühen. Auch für die Jugendlichen, die die zweite Klasse der Sekundarschule besuchen, beginnt jetzt im Frühling eine besonders wichtige Phase in Bezug auf ihre berufliche Zukunft: für sie geht es nun darum, Schnupperlehren zu absolvieren und Bewerbungen zu schreiben. Und zu all diesen Herausforderungen kommt nun noch die Corona-Krise mit all ihren Einschränkungen und Auswirkungen auf Wirtschaft und Alltag hinzu.  

Erschwerte Bedingungen

Morena Gulli, Sekundarlehrerin einer der dritten Klassen im Schulhaus Lachenzelg, bestätigt, dass die Lehrstellensuche für ihre Schüler*innen im Vergleich zu früheren Jahrgängen schwieriger war. «Mitten in der <heissen Phase>, als die Jugendlichen eigentlich Schnupperlehren hätten machen müssen, begann der Lockdown der ersten Welle», so Gulli. «Viele Schnupperlehren wurden entweder abgesagt oder gar nicht erst angeboten. Einige Betriebe gingen zwar zum Online-Schnuppern über, dies ist aber in keinster Weise einem realen Schnuppern gleichzustellen. Der oder die Jugendliche kann sich so nicht zeigen, kann nicht üben, sich vorzustellen, sich in einem Setting von Erwachsenen zurechtzufinden.» Erschwerend sei hinzugekommen, so Gulli, dass der Unterricht nur noch im Homeschooling stattgefunden habe. Gespräche bezüglich Berufswahl waren so schwieriger, einige Schüler*innen seien für die Lehrpersonen nur schwer erreichbar gewesen. Vor allem die schwächeren Schüler*innen hätten sich treiben lassen und seien nicht sehr motiviert gewesen, sich angesichts der ohnehin schwierigen Lage mit der Berufswahl auseinanderzusetzen.
Auch die 15-jährige Schülerin Jamila hat das vergangene Jahr aus den obgenannten Gründen als anspruchsvoll erlebt. «Schwierig fand ich auch, dass wir im letzten Sommer kein Zeugnis erhalten haben», erklärt Jamila. Bei den Bewerbungsgesprächen, die dann im Spätsommer stattfanden, seien die Jugendlichen, so Jamila, unter einem noch grösseren Druck gestanden, im Gespräch zu überzeugen und die potenziellen Arbeitgeber aufgrund des ersten Eindrucks für sich zu gewinnen: «Ich konnte ja nicht mit einem aktuellen Zeugnis beweisen, welche Leistungen ich in der Schule erbringe», so Jamila.

In diesem Jahr nicht weniger Lehrstellen

Dennoch verlief für sie die Lehrstellensuche erfreulicherweise weitgehend problemlos und erfolgreich – wie auch für die meisten ihrer Mitschüler*innen. Andres Züger vom Laufbahnzentrum der Stadt Zürich, zuständig für die Beratung der Schüler*innen der Schule Lachenzelg, bestätigt, dass die Chancen für die Lehrstellensuchenden des aktuellen Jahrgangs nicht unbedingt schlechter standen oder stehen als unter normalen Umständen: «Wie das SBFI schreibt, wurden bis Ende Februar 2021 laut monatlicher Umfrage der Task Force <Perspektive Berufsbildung> bei den kantonalen Berufsbildungsämtern gesamtschweizerisch knapp 28000 Lehrverträge für den Lehrbeginn im Sommer 2021 unterzeichnet. Dies entspricht rund 35 Prozent der Lehrverträge, die 2020 insgesamt abgeschlossen wurden. Die Lehrstellenvergabe verläuft damit ähnlich wie in den Vorjahren.» Wie Züger weiter erklärt, bieten laut dem LehrstellenPuls, einer regelmässigen Erhebung der Professur für Bildungssysteme der ETH Zürich in Kooperation mit der Lehrstellenplattform «yousty», 80 Prozent der im Februar befragten Betriebe im Vergleich zu 2020 gleich viele oder mehr Lehrstellen an. Der Anteil der Betriebe, die mehr Lehrstellen anbieten, liegt bei zehn Prozent. 16 Prozent der Betriebe werden weniger Lehrstellen anbieten und vier Prozent wissen es noch nicht. Bei einer in der Februar-Befragung neu eingefügten Frage gaben fünf Prozent der Betriebe an, dass sie zusätzliche Lehrstellen anbieten für Lernende, die wegen COVID-19 sonst keine Lehrstelle finden würden, etwa wegen Betriebsschliessungen.»
Generell zeigt sich also zumindest für den Lehrbeginn im Sommer 2021 ein überraschend positives Bild, wobei einzelne Branchen stärker von den Auswirkungen der Pandemie und den damit verbundenen Schutzmassnahmen betroffen sind als andere.  So ist die Lehrstellenvergabe momentan vor allem in der Fitness- und Eventbranche sowie im Hotel- und Gastronomiebereich schwieriger als in anderen Jahren. «Hier zeigen sich», so Züger, «gewisse Verzögerungen bei der Rekrutierung von Lernenden».

Schnuppern während der Pandemie

Grössere Probleme bei der Lehrstellensuche könnte jedoch der darauffolgende Jahrgang zu bewältigen haben, die jetzigen Zweitklässler*innen der Sekundarschulen. Auch für diesen Jahrgang sind bis anhin jegliche Berufsinformationsveranstaltungen und -messen ausgefallen. Deutlich kleiner als in den vergangenen Jahren ist zudem das diesjährige Angebot an Schnupperlehren. So boten laut Züger «nur 53 Prozent aller Lehrbetriebe in der Schweiz im Januar 2021 Schnupperstellen an.» Dafür verantwortlich seien «die unsichere Lage und die Corona-Schutzmassnahmen. Viele Mitarbeitende arbeiten im Homeoffice oder aufgrund der Schutzmassnahmen sind vor Ort keine Schnupperlehren möglich – Paradebeispiel dafür ist das Gesundheitswesen».

Virtuell informieren

Alternativ werden statt Infoveranstaltungen an vielen Orten Online-Veranstaltungen angeboten. So bieten die kantonalen Berufsinformationszentren sowie das Laufbahnzentrum virtuelle Veranstaltungen an. Und auch Schnupperlehren werden – zumindest teilweise – virtuell angeboten. So haben nach Auskunft von Züger mittlerweile rund 16 Prozent der Lehrbetriebe ein virtuelles Angebot an Schnupperlehren aufgebaut. In manchen Branchen werden die Betriebe zudem regelrecht erfinderisch: Das Bieler Tagblatt etwa berichet, dass im Kanton Bern einige Betriebe der Hotellerie und Gastronomie begonnen haben, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten: Lernende bekochen und bedienen Lernende, angeleitet von erfahrenen Berufsbildenden.

Wie sind die Prognosen?

Generell könnte sich die Ausbildungssituation in der Schweiz in den nächsten Jahren aufgrund der durch Corona bedingten Rezession allerdings noch einmal deutlich verschärfen. So hat der Bildungsökonom, Stefan Wolter aufgrund früherer Rezessionen in der Schweiz ermittelt, dass in den nächsten fünf Jahren zwischen 5000 und 25 000 Lehrstellen verloren gehen könnten, wie er in einem Interview mit dem Elternmagazin «fritz und fränzi» erläutert. Während der minimale Einbruch diesen Berechnungen zufolge noch vertretbar wäre, weil in den vergangenen Jahren oftmals schweizweit einige tausend Lehrstellen freigeblieben sind, könnte das negativste Szenario dazu führen, dass während mehrerer Jahre weniger Lehrstellen angeboten würden, als es braucht.

Nach der Lehre fangen die Probleme erst richtig an

Und auch für diejenigen, die bereits in Ausbildung sind oder kurz davorstehen, sie abzuschliessen und nun auf der Suche nach einer Arbeitsstelle sind, ist die Situation nicht einfach. Bei den Berufslernenden sind die Auswirkungen der Schutzmassnahmen bereits deutlich spürbar. Homeoffice und Homeschooling hinterlassen hier ihre Spuren, die Lehrbetriebe sind nach den Erhebungen von «LehrstellenPuls» der Ansicht, dass die Lernenden den aufgrund der Pandemie verpassten Stoff in der restlichen Lehrzeit nicht mehr ganz aufholen können. Das wirkt sich auch auf die Abschlussprüfungen beim Lehrabschluss aus. Hier sind nach den Erkenntnissen, die sich aus den Erhebungen ergeben, deutliche zusätzliche Anstrengungen nötig, um die Chancengleichzeit der Lehrabsolvierenden sicherzustellen. Wie sich das auf die spätere Beschäftigungsquote der Lehrabsolvierenden auswirken wird, ist momentan noch nicht wirklich abzusehen. Zahlen sind bisher lediglich für das Jahr 2020 vorhanden: Wie das Schweizer Fernsehen im Oktober 2020 berichtete, lag hier die Erwerbslosenquote Mitte des vergangenen Jahres für junge Menschen nach der Ausbildung bei über zehn Prozent, doppelt so hoch wie bei den anderen Altersklassen.

 

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