Quartierleben
Künstlerkosmos am Lebristenweg
Ende Oktober fand im Atelier am Lebristenweg 45, unterhalb der Waid, von wo aus früher die Eisenfiguren von Kurt Laurenz Metzler über die Stadt blickten, eine Gruppenausstellung statt.
17. November 2011 — Fredy Haffner
Der Eisenplastiker Willy Wimpfheimer und der Steinbildhauer Thomas Blumer hatten als Gäste Martin Senn und seine Objekte sowie Franz Imboden mit seinen Bildern geladen. Im und um das Haus, das der Stadt Zürich gehört und auch dem freien Kindergarten Hönggerberg ein Zuhause ist, bot sich dem «Höngger» bei seinem Besuch am 30. Oktober eine Szenerie, die das Herz eines jeden Bohémien höher hätte schlagen lassen. Die offenen Werkplätze vor dem Haus, in leuchtende Herbstfarben getaucht, waren belebt mit Menschen jeglicher Couleur, vertieft in angeregte Diskussionen. Die Tische boten wahre Stillleben aus Weinflaschen, kulinarischen Gaumenfreuden aller Art und Aschenbechern. In der Esse loderte ein Feuer und auf dem Amboss und im Schraubstock wurden Baumnüsse geknackt. Kinder tummelten sich zwischen den ausgestellten Skulpturen.
Offene Türen für offene Augen
Alle Tore des Atelierteils standen offen. Im Hausinnern liefen einem die Augen über an Eindrücken aus Bildern, Skulpturen und Werkplätzen mit einem Fundus an unverarbeiteten Materialien. Wahrlich ein Künstlerkosmos: das Universum von Willy Wimpfheimer und Thomas Blumer. Wimpfheimer, Bildhauer, Eisen- und Bronzeplastiker, arbeitet seit 40 Jahren am Lebristenweg. Seine Skulpturen, von denen viele rund ums Haus zu bestaunen sind, zeigen das als unzerstörbar eingestufte Material Eisen selbst in grössten Formaten als zerbrechlichen Werkstoff. Hier, als wären die massiven Vierkanteisen von einem Riesen gebogen worden und unter der Spannung geborsten, dort, als würde durch eine flach auf dem Boden liegende Platte «etwas» hindurchbrechen. Ein Kontrast zu diesen Objekten bilden die Alabasterskulpturen, die im Inneren des Hauses zu sehen sind. Auch sie sprechen dieselbe Formensprache, erhalten aber durch die lichtdurchlässigen Eigenschaften des Steins eine eigene, meditative Ausstrahlung.
Schwergewichtige Kunst
Auf dem Vorplatz, in einem aus alten Fensterscheiben gebauten, halboffenen Werkraum, arbeitet der Steinbildhauer Thomas Blumer. 1988 stiess er zur Gemeinschaft. Seine Skulpturen, vorwiegend aus Marmor oder Diabas, wurden schon in zahlreichen Galerien und Ausstellungen gezeigt. Sie spielen mit runden Formen, Linien und Kubaturen, zeigen sich mal mit ihrem vollen Gewicht oder schweben, stapeln und recken sich der Schwerkraft spottend in die Höhe. Doch Blumer scheut auch die Grenzen zu anderen Kunstformen nicht. Letztes Jahr schloss er eine Ausbildung in computergestützter Visualisierung und Animation mit dem Diplom 3D ab. Die am Computer gewonnenen Erkenntnisse versucht er nun auch «in Stein zu meisseln». Nicht gemeisselte, sondern gegossene, von feiner Hand geformte äusserst filigrane Gipsreliefs zeigte dagegen Martin Senn. Auch er − Mitglied der AZB, Arbeitsgemeinschaft Zürcher Bildhauer in Schlieren − ist ein vielseitiger Bildhauer, Objektkünstler, Maler und Kurator. Er ist auch einer der vier Künstler, die das umstrittene Projekt «Zürich Transit Maritim» am Limmatquai lancierten, dessen befristetes Wahrzeichen ein echter Hafenkran ist. Ursprünglich hätte der Kran 2011 stehen sollen, doch nach Kürzungen im Budget der Stadt Zürich im Dezember 2009 wurden im Mai 2010 bloss die ersten Poller, konzeptionelle Vorboten des Krans, montiert. Im Budget 2012 ist der Kran wieder eingeplant, die Opposition wird sich im Dezember im Gemeinderat dagegen wehren. Der eigentliche Grund aber, diese drei Tage des offenen Ateliers zu organisieren, war der weitgehend unbekannte, im Rütihof wohnende Franz Imboden, wie Thomas Blumer dem «Höngger» verriet. Blumer stiess im Keller seines Künstlerfreundes auf zahlreiche Bilder von so grossem Format, dass er sie selbst auf dem Boden des Kellers nicht ausbreiten konnte. Imboden betitelt seine Werke als «Kaleidoskope» und tatsächlich bannen die Arbeiten aus Kohle, Kreide- und Pastell- sowie Ölfarben das Auge des Betrachters ähnlich einem Kaleidoskop. «Franz lebt auf 30 Quadratmetern und ist ein Sammler», raunte Thomas Blumer verschmitzt, «er hat an seinen Wänden keinen Platz für die eigenen Bilder.» Am Lebristenweg erhielten Werk und Künstler nun vorübergehend Raum. Jenen, den sie auch verdienen − so findet Blumer, der Imboden gar als einen «Geheimtipp für das Haus Konstruktiv» bezeichnet.
Das Atelier ist grundsätzlich immer offen. Doch die Hemmschwelle für spontane Besuche sei gross, erzählt Blumer und bedauert dies grundsätzlich, auch wenn er gesteht, dass es schon Momente gebe, in denen man als Künstler nicht gerne in einem Prozess gestört werde – doch fragen koste ja nichts: «Man arbeitet ja nicht einfach nur für sich, sondern um die Kunst auch weiterzugeben.» Faszinierende Einblicke in das Schaffen der Künstler unter www.skulpt.ch, www.willywimpfheimer.ch und www.emsenn.ch
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