Energie
Klimaschutz auf dem Teller
Last but not least: Der Konsum stellt eines der theoretisch einfachsten und praktisch schwierigsten Themen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz dar. Der Abschluss der Fokusserie beschäftigt sich damit, wo hier am meisten Potenzial zur Emissionsverringerung liegt und wie sich dies umsetzen lässt.
4. August 2021 — Dagmar Schräder
Es ist eine Binsenwahrheit: viele unserer momentanen Herausforderungen und Umweltprobleme liessen sich entscheidend verringern, wenn sich das individuelle Konsumverhalten ändern würde. Klimaschutz betrifft eben nicht nur die Energieversorgung, den Verkehr oder die Industrie, Emissionen entstehen vielmehr in grossem Ausmass auch in Zusammenhang mit all den ganz alltäglichen Kaufentscheidungen und Konsummustern.
Konsum – was ist das?
Was aber genau beinhaltet der Begriff Konsum? Grundsätzlich unterteilt das Bundesamt für Umwelt (BAFU) den Konsum auf die verschiedenen Bereiche «Wohnen, private Mobilität, Ernährung, Konsumgüter und Dienstleistungen sowie öffentliche Dienste und Versicherungen». Das umschliesst also den individuellen Einkauf von Waren und Gütern ebenso wie die Wohnsituation und das Reise- und Freizeitverhalten.
Wir verbrauchen weit mehr als eine Erde
Wie gross die Menge der durch den Konsum verursachten Treibhausgasemissionen ist, ist nicht ganz einfach zu berechnen: Einerseits sind die individuellen Konsumentscheidungen schwieriger zu ermitteln als etwa der Stromverbrauch oder das Verkehrsaufkommen, andererseits kommt erschwerend hinzu, dass gerade bei den Konsumgütern ein Grossteil der Emissionen in die Kategorie «grauer Emissionen» fällt, also Emissionen von Gütern und Rohstoffen, die im Ausland produziert werden.
Hochrechnungen des BAFU gehen jedoch davon aus, dass die Schweizer*innen pro Kopf und Jahr einen Treibhausgas-Ausstoss in der Grössenordnung von rund 13 Tonnen CO2- Äquivalenten verursachen (Zahlen aus dem Jahr 2018). Damit liegt die Schweiz mit ihrem «Treibhausgas-Fussabdruck» deutlich über dem Durchschnitt der EU mit rund 8.5 Tonnen pro Kopf und Jahr (vergleiche hierzu auch den Einführungsartikel zum Fokusthema vom 3. Juni).
Was essen wir?
Wie die Stadt Zürich in ihrem «Masterplan Umwelt» erklärt, ist es innerhalb des Problemfelds Konsum die Ernährung, welche am meisten Umweltschäden verursacht: «Mit unserer Ernährungsweise in der Stadt Zürich verursachen wir rund 30 Prozent aller Umweltbelastungen – durch den Verbrauch von grauer Energie, Treibhausgasemissionen, intensive Bodennutzung – und damit mehr als im Bereich Wohnen mit 17 Prozent oder der Mobilität mit 9 Prozent.» In Bezug auf die Treibhausgase, so die Informationen der Stadt weiter, liege der Anteil der durch die Ernährung verursachten Emissionen bei rund 20 Prozent. Diese entstehen in der Landwirtschaft beim Anbau von pflanzlichen Produkten, bei der Produktion von tierischen Lebensmitteln, durch den Einsatz von Maschinen und Düngemitteln, bei der Lagerung sowie beim Transport.
Tierische Produkte
Am meisten Emissionen verursacht dabei aber die Nutztierhaltung: laut Angaben von Agroscope ist die Nutztierhaltung in der Schweiz insgesamt für ungefähr 13 Prozent der gesamthaft ausgestossenen Treibhausgase verantwortlich; rund 80 Prozent der Lachgas- und 83 Prozent der Methanemissionen hierzulande stammen aus der Landwirtschaft. Klimapolitisch relevant sind dabei nicht nur die hohen Ausstösse an Emissionen, die durch die Nutztiere direkt verursacht werden, sondern auch das Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag bei der Fleischproduktion: um ein Kilo Fleisch zu produzieren sind laut dem Interessensverband «swissveg» je nach Getreidesorte sieben bis 16 Kg Getreide nötig. 80 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen weltweit werden für die Produktion von tierischen Erzeugnissen eingesetzt, rund ein Drittel der weltweiten Anbauflächen dient alleine der Futtermittelproduktion für die Tierzucht.
Nach Meinung von Experten stellt somit die Reduktion der Tierbestände eine der wichtigsten Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft dar. In einer Studie von ewz zur 2000 Watt-Gesellschaft aus dem Jahr 2012 etwa kommen die Autor*innen zum Schluss, dass alleine durch eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums bis zu 13 Prozent der Umweltbelastungen eingespart werden könnten. Davon ist die Schweiz momentan allerdings noch ziemlich weit entfernt: Gemäss «swissveg» verzichten zurzeit lediglich drei Prozent der Schweizer Bevölkerung ganz auf tierische Produkte, elf Prozent ernähren sich vegetarisch. Seit 2010 ist der Fleischkonsum hierzulande zwar um sieben Prozent zurückgegangen, im Schnitt verspeisen die Schweizer*innen im Jahr aber immer noch gut 50 Kilogramm Fleisch pro Kopf.
Politische Regulatorien
Um den Individualkonsum klimafreundlicher zu gestalten und den eigenen Klimazielen, sei es auf Bundes-, Kantons- oder Stadtebene, gerecht zu werden, versucht daher auch die Politik, das Thema Ernährung aufzugreifen.
Auf internationaler Ebene haben sich etwa die Mitgliedsstaaten der UNO 2015 mit der Agenda 2030 dazu verpflichtet, 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung zu verfolgen, die bis 2030 erreicht werden sollen. Neben den hochgesteckten Zielen, Armut und Hunger weltweit zu beenden, ist einer der erklärten Inhalte der Agenda auch die Förderung von nachhaltiger Produktion und Konsum. Auch auf nationaler Ebene verfolgt die Schweiz die «Strategie zur nachhaltigen Entwicklung», welche am 23. Juni 2021 gemeinsam mit dem dazugehörigen «Aktionsplan 2021 bis 2023» vom Bundesrat verabschiedet wurde.
In der Stadt Zürich hat sich im November 2017 die Mehrheit der Zürcher Stimmbevölkerung für die «Förderung einer umweltschonenden Ernährung» ausgesprochen. Damit soll das Ziel der 2000 Watt-Gesellschaft um die Bemühungen um eine umweltschonende Ernährung ergänzt werden, basierend auf dem «Milan Urban Food Policy Pact», einem internationalen Abkommen von weltweit über 100 Städten. Zudem gehört das Thema «Ernährung» neben «Stadtklima» sowie «Siedlung und Mobilität» zu den drei Schwerpunkten der städtischen Umwelt- und Klimapolitik, wie es im «Masterplan Umwelt», dem Steuerungsinstrument des Stadtrats für die städtische Umweltpolitik, vorgegeben wird.
Vorbild und Information
Die Zürcher Politik in diesem Bereich zielt einerseits darauf hin, in städtischen Betrieben eine Vorbildfunktion in punkto Ernährung und Nachhaltigkeit einzunehmen. Die Produktion von Speisen und das Angebot öffentlicher Kantinen soll so möglichst ausgewogen, saisonal und umweltfreundlich gestaltet, das Fleischangebot reduziert werden. Die Stadt bemüht sich weiter darum, Lebensmittelverluste zu verringern und unterstützt die regionale Produktion und Verteilung, wobei sie mit externen Partner*innen kooperiert. Andererseits wird mittels Informationskampagnen versucht, die Bevölkerung aufzuklären und zu einem nachhaltigen Lebensstil zu animieren: «Potenziale hat die Stadt bei ihren Ernährungsangeboten und der Verminderung von Lebensmittelabfällen in den städtischen Betrieben wie Schulen, Spitäler sowie Alters- und Pflegezentren. Mit gezielten Aktivitäten so z.B. Informationen und Kooperationen kann die Stadt sowohl Kundinnen und Kunden, Teile der Bevölkerung als auch nicht-städtische Betriebe zu einer umweltfreundlichen Ernährung ermuntern», so der Wortlaut des Masterplans. Auch in der schulischen Bildung steht Nachhaltigkeit auf dem Lehrplan: sie ist im Lehrplan 21 der Volksschule ebenso verankert wie in den Berufslehren, die im Zusammenhang mit der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln stehen.
Mit dem Projekt «Zürich isst» wird darüber hinaus das städtische Ernährungssystem genauer analysiert und das Verbesserungspotenzial insbesondere in Bezug auf den Konsum regionaler Produkte aufgezeigt. Daraus sollen Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Die Projektphase dauerte von Ende 2019 bis Mitte 2021, die Ergebnisse werden in Bälde publiziert werden.
Eigenverantwortung und Ethik
Das konkrete politische Ziel der Stadt lautet unter anderem, in den städtischen Verpflegungsbetrieben die Umweltbelastung bis zum Jahr 2030 gegenüber 2020 um 30 Prozent zu senken, vermeidbare Lebensmittelverluste auf weniger als zehn Prozent der Produktionsmenge zu beschränken und den Anteil nachhaltiger Produkte auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen. In Bezug auf das individuelle Konsumverhalten erweist es sich insgesamt jedoch als besonders herausfordernd, nachhaltiges Verhalten durch konkrete Gesetze, Verbote, Regulierungen und Massnahmen zu steuern. Schliesslich geht es bei diesem Thema doch viel stärker noch als in anderen Bereichen darum, die individuelle Verantwortung wahrzunehmen. Das führt zu ganz grundlegenden Fragen, die weniger politisch, als vielmehr ethisch beantwortet werden müssen: wieviel kann und muss jede*r einzelne dazu beitragen, dass die Emissionen nicht weiter steigen? Worauf lässt sich verzichten und inwiefern können Konsumgewohnheiten geändert werden?
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