Keine Angst vor Robotern

Die fortschreitende Digitalisierung löst bei vielen diffuses Unbehagen aus: Wo führt die Entwicklung in Zukunft hin? Mit dieser Frage befasste sich die Gastdozentin Dr. Karin Vey am jährlichen ESPAS-Apéro.

Geschäftsführerin Rita Durschei (links) und Dr. Karin Vey hatten nach dem Vortrag reichlich Gesprächsstoff.

Die ESPAS Stiftung setzt sich seit bald 35 Jahren für Menschen mit psychischen oder körperlichen Erwerbsbeeinträchtigungen bei der beruflichen und sozialen Integration ein. Einmal im Jahr lädt sie ihre Kunden und Lieferanten zu einem ausgiebigen Apéro riche und einem Vortrag zu einem aktuellen Thema in ihren Hauptsitz nach Höngg ein. Gerade im Bereich der niederschwelligen Arbeit befürchtet man, dass stetig intelligenter werdende Computersysteme bestehende Arbeitsplätze bedrohen könnten. Über den Stand der Entwicklung und die Zukunft der Digitalisierung sprach Dr. Karin Vey, Innovations- und Trendexpertin des ThinkLab der IBM Forschung Zürich in ihrem Referat.

Big Data

Das digitale Universum verdoppelt sich alle zwei Jahre, zurzeit umfasst es 44 Zettabites. Das ist eine 44 mit 21 Nullen dahinter. «Stellen Sie sich vor, Sie reihen Tablets flach aneinander, bis Sie die Länge der Chinesischen Mauer haben. Dann schichten sie diese Mauer viermal aufeinander», veranschaulicht die Frau, die einen PhD in Physik und einen Master in Psychologie und Informatik hat. Alleine mit den Gesundheitsdaten, die im Leben eines einzelnen Menschen gesammelt werden, könnten 300 Millionen Bücher gefüllt werden. Man sollte sich diese Zahl einmal vor Augen halten, wenn man das nächste Mal auf den Schrittzähler schaut. «Big Data» nennt sich die Masse an Informationen, die irgendwo im World Wide Web herumschwirren. Big Data nennt man aber auch Technologien, die zum Auswerten dieser Informationen verwendet werden. Denn was damit geschehen soll, ist die grosse Frage der Zukunft. Fest steht, dass intelligente Systeme heute schon in der Lage sind, das Netz in schwindelerregender Geschwindigkeit zu durchforsten, die häufigsten Antworten auf eine Frage zu berechnen und am Ende die richtige Lösung auszuspucken.

Digitaler Humanismus

Beim Grosshändler wurden bereits die ersten Kassenpersonen von Computern ersetzt, in Fabriken arbeiten Maschinen schneller und genauer als menschliche Angestellte – und deshalb billiger. Effizienz heisst das Wort der Stunde. Ist es da nicht angebracht, die Digitalisierung als Bedrohung wahrzunehmen? Wird der Mensch nicht überflüssig? Nein, meint die Expertin, den am Ende brauche es immer den Menschen, der die Entscheidungen trifft. Ein «digitaler Assistent» könne jedoch zur Entscheidungsfindung beitragen. Sie bringt das Beispiel eines Radiologen: Der Computer kann anhand der Röntgenbilder mit einer hohen Präzision einen Tumor entdecken. Weil er sehr schnell ist, bleibt dem behandelnden Arzt mehr Zeit, um sich um den Patienten zu kümmern, ein Aspekt, der auf die Genesung einen hohen Einfluss hat. Dieses positive Paradox nennt Vey den «digitalen Humanismus».

Positives Menschenbild

Während des Vortrags blickt man in einige skeptische Gesichter. Woher sie wisse, dass der Arzt sich tatsächlich mehr Zeit für den Patienten nehmen werde, fragt eine Zuhörerin, könnte es nicht sein, dass er stattdessen mehr Patienten annehme, um noch effizienter zu sein? Wieso sollten Arbeitgeber nicht so funktionieren, wie sie es meist tun, nämlich wirtschaftlich und gewinnorientiert? Die Forscherin Vey hält diesen Einwand durchaus für berechtigt und gibt zu: Es braucht ein Umdenken. Die Menschen müssen sich fragen, in was für einer Gesellschaft sie miteinander leben wollen. Sie beobachte aber bereits Gegenbewegungen zur stetigen Effizienzsteigerung, zum Beispiel gäbe es wieder mehr Kleinstbauern, und die Menschen würden vermehrt auf regionale und nachhaltige Produkte zurückgreifen. Solche Entwicklungen gäben Anlass zur Hoffnung, dass andere, vielleicht längst verschwundene Berufe wieder etabliert würden. Wichtig sei, dass sich die Menschen auf ihre Stärken konzentrierten, nämlich ihre Empathie Fähigkeit, ihre Kreativität, ihre Moralität. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung könne man ruhig den Maschinen überlassen, es wäre wohl vergebene Lebensmüh, sie auf diesem Gebiet schlagen zu wollen. Seit einiger Zeit ist man daran, «kognitive» Roboter zu entwickeln, die die Gefühlslagen eines Menschen erkennen können und in der Lage sind, eine Art Dialog zu führen. Was wie eine Spielerei klingt, kann insbesondere im Gesundheitsbereich wertvolle Hilfestellungen bedeuten. So könnten solche Computersysteme zur Früherkennung von Autismus bei Kindern eingesetzt werden, was eine Frühförderung und Training ermöglichen würde. Auch Alzheimer-Patienten könnten mit Hilfe eines digitalen Assistenten länger selbstständig in ihren eigenen vier Wänden leben.

Neue Arbeitsfelder finden

Auch Rita Durschei, Geschäftsführerin der ESPAS, glaubt nicht, dass die Intergrationsarbeitsplätze der ESPAS in Zukunft gefährdet sind. Sicher, die Kundenaufträge würden immer komplexer, allein, dass Massenversände heute oft per E-Mail und nicht mehr per Post abgewickelt würden, stelle die Arbeitenden vor neue Herausforderungen. Doch die Zeiten seien ohnehin schon lange vorbei, als man sagen konnte, «wir machen es wie immer». «Wenn wir innovativ bleiben und den Willen haben, neue Lösungen zu entwickeln, werden wir auch weiterhin auf die wechselnden Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden eingehen können».

Im nächsten Jahr wird die ESPAS 35 Jahre alt und lädt die Bevölkerung am 17. Juni 2017 zu einem Tag der offenen Tür ein. ESPAS Stiftung für wirtschaftliche und soziale Integration Erwerbsbeeinträchtigter, Naglerwiesenstrasse 4, www.espas.ch.

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