«Junge Kunst Höngg» – 25 Jahre später

Vor 25 Jahren, im Mai 1985, organisierten vier junge Erwachsene im reformierten Kirchgemeindehaus Höngg die Ausstellung «Junge Kunst Höngg». Was ist aus den ambitionierten Träumen von damals geworden? Haben sie sich erfüllt? Wo stehen die vier im Sommer 2010?

Pressebild von 1985: Was ist aus diesen vier geworden?
Linien prägen ein Werk: Ruedi Rempfler heute in seinem Atelier. 
André Perrenoud zeigt in seinem Atelier dem «Höngger» eines seiner neusten Werke.
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Der «Höngger» vom 31. Mai 1985 berichtet, es seien zur Überraschung der vier jungen Künstler über 400 Personen an die Vernissage gekommen. Alle vier waren mit der Ambition an die Öffentlichkeit getreten, dass dies der Anfang einer Künstlerkarriere sein möge, und vom Erfolg beschwingt nahmen sie sich enthusiastisch vor, jedes Jahr jungen Höngger Künstlern eine solche Plattform zu bieten. Daraus ist nichts geworden, doch zwei von ihnen haben es in der Kunstszene mittlerweile beachtlich weit gebracht. Ein näherer Blick auf das damalige Pressefoto zeigt:

Ruedi Rempfler

Mit Jahrgang 1953 der älteste der vier, ist er noch bis kommenden Sonntag mit einem zentralen Werk an der Gruppenausstellung «AZB for ever» im Helmhaus vertreten. Vor 25 Jahren hatte er sein Bildhauer-Atelier am Dorfbachweg im Zentrum von Höngg. Bald nach der Höngger Ausstellung folgten weitere, unter anderen eine vielbeachtete in der Galerie Andy Illien. 1990 würdigte ihn die Stadt Zürich mit einem Atelierstipendium für sechs Monate in Paris. Rempfler beschäftigt sich bis heute oft mit dem Thema «Linien». Als der Schweizer Physiker Heinrich Rohrer 1986 für die Mitentwicklung des Rastertunnelmikroskops den Nobelpreis bekam, stürmte der Höngger Grabmalbildhauer und Ateliergenosse von Rempfler, Fritz Schütz, eines Morgens aufgeregt ins Atelier: «Deine Skulptur war im Fernsehen», rief er seinem Bildhauerkollegen zu und meinte damit die Bilder der Oberflächenstrukturen der Silizium-Atome, welche Rohrer sichtbar gemacht hatte. Tatsächlich entdeckte auch Rempfler in der kleinsten aller möglichen Darstellungsformen seine grossen Werke wieder. Er nahm Kontakt mit dem berühmten Wissenschafter auf, und dieser war von den Parallelen zwischen Wissenschaft und Kunst so fasziniert, dass er eine Abbildung von Rempflers Werk in die Würdigungsschrift der Nobelstiftung aufnehmen liess. Seither zieht sich das Linienthema durch Rempflers Leben und Werk, Linien wie Wasser, das ähnlich wie jenes heute in der Nähe seines Ateliers in Schlieren über die Steine fliesst. Auch sein derzeitiges Hauptwerk, «Die Visionen des Niklaus von Flüe», ein sakraler Raum, ausgestellt im Helmhaus Zürich, hat seinen Ursprung im Linienthema: Nachdem Rempfler in verschiedensten Kulturen und Ländern Linienmustern begegnet war, brach bei ihm plötzlich die Frage nach Gott auf. In den Äusserungen des Einsiedlers Niklaus von Flüe fand er – selbst erzogen in einem christlichen Internat und nun, nach Jahren der Abwesenheit, plötzlich wieder auf Themen der Mystik und Religion zurückgeworfen – Antworten und Halt, umgesetzt nun in den «Visionen des Niklaus von Flüe»: ein steinerner Thron, ein stelenförmiger «Leuchtturm», Insignien der Macht des abwesenden Königs, seine stilisierten Thronwächter. Erzählt Rempfler davon, so tritt in seine Augen ein Leuchten, das nur noch übertroffen wird, wenn er von seinem acht Monate alten Jungen erzählt. Was mit dem Werk nach der Ausstellung geschieht, ist derzeit noch unklar, ein Standort noch nicht gefunden. Neben der Kunst, deren Einkünfte unstet sind, übernimmt Ruedi Rempfler nach wie vor gewerbliche Steinmetz-Arbeiten, vom kunstvollen Grabmal bis zu Renovationsarbeiten an Wegkreuzen aus dem 16. Jahrhundert.

Evelyne Rempfler

Ruedi Rempflers Cousine, lebt noch immer in Höngg. Beruflich heimisch wurde sie in der Medienbranche. Nach verschiedenen Anstellungen im redaktionellen Bereich arbeitet sie heute als Leiterin Innendienst bei der Publicitas. Künstlerisch ist sie kaum mehr tätig. Kunst habe heute einen anderen Stellenwert für sie, sagt Evelyne Rempfler: «Vor 25 Jahren dachte ich, ich würde mit meiner Kunst mal berühmt. Heute geniesse ich die Kunst der anderen: Ich besuche viele Ausstellungen und gehe an Auktionen, wo ich auch schon einiges erstanden habe.» Mit Vorliebe alte Meister, gesteht sie. Einzig das Gärtnern, das sie heute zu ihrer grossen Leidenschaft zählt, vergleicht sie mit Kunst: «In der Erde zu buddeln, dem Gemüse und den Blumen beim Gedeihen zuzuschauen, das hat etwas Meditatives: Ich kann wie früher beim Zeichnen und Malen alles rundherum vergessen.»

André Perrenoud

Seine neusten Werke – grossformatige Gemälde sowie kleinere Porträts, meistens in Ölfarben – sind unter dem Titel «Vom Mensch zum Fabeltier» ab 2. Juli im ehemaligen Textilgeschäft «Perla-Mode» zu sehen, das an der Langstrasse zu einem kulturellen Zentrum für junge, zeitgenössische Kunst geworden ist (siehe Kasten). Nach seiner Ausbildung zum Grafiker an der Kunstgewerbeschule Zürich lebte und arbeitete Perrenoud lange Jahre in St-Raphaël an der Côte d’Azur und ist erst seit vier Jahren wieder in Zürich zuhause. Sein Kurator, Stefan Wagner, schreibt über den ehemaligen Höngger: «Perrenoud hat für seine aktuelle Einzelausstellung einen irritierenden Titel gewählt. Er spielt darin auf die Beziehungen von feststehenden Wortbedeutungen und deren Verwendungen in Sätzen an, um damit eine Analogie zu seinem malerischen Vorgehen zu knüpfen. Indirekt formuliert er eine der wichtigsten Fragen der Malerei: Wie muss diese agieren, um einen Gegenstand oder eine Begebenheit visuell einzufangen? Die meist mit dunklem Hintergrund versehenen Gemälde entwerfen apokalyptische Bildinnenräume, die als Aufführungsorte für individuelle Erzählungen dienen. Als Vorlage für seine Geschichten wählt er Motive der medialen Bilderwelt oder monolithische Positionen der Kunstgeschichte.» Zurzeit beschäftigt sich Perrenoud umfangreich mit der Gattung «Porträt». Wagner dazu: «Insgesamt wirken die Bilder auf den ersten Blick illustrativ, führen aber bei genauerer Betrachtung die Sperrigkeit und die Schwierigkeiten vor, die die Geschichte Malerei stets mit sich bringt. Im Gegenzug könnte man seine Bilder durchaus auch als ästhetische Ereignisse beschreiben, die das Moment des visuellen Vergnügens am Motiv zelebrieren. Damit würde sich seine Malerei ahistorisch verhalten und nur das Moment der Bildbetrachtung wichtig werden lassen. Vielleicht weist er damit ein gutes Gespür für Tendenzen im Kunstbetrieb auf, welche das Spektakel am Kunstbetrieb der Betrachtung der Kunst vorziehen.»

Und der Vierte?

Der lebt noch immer in Höngg, hat einzelne Werke der anderen in seinem Haus, das neuste eben erst erworben im Atelier von Ruedi Rempfler – weil er schon vor 25 Jahren davon fasziniert war und es nun völlig verstaubt auf einem Regal wieder entdeckte. Als hätte es dort auf ihn gewartet, um an diesem doppelt speziellen Tag endlich gekauft zu werden. Und: Er hat eben diese Zeilen verfasst, seine «Kunst» geht wöchentlich gratis an 13 200 Haushalte in Höngg.

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