In der nächtlichen Krise nicht alleine sein

Das Pflegezentrum Käferberg setzt auf Freiwilligenarbeit. Im Frühling fand ein Kurs für die Nacht- und Krisenbetreuung betagter Kranker und Sterbender statt. Der Höngger Jürg Schläpfer absolvierte ihn und erzählt von seinen Erlebnissen.

Jürg Schläpfer auf dem Weg ins Zimmer eines Bewohners, wo er die freiwillige Nacht- und Krisenbetreuung macht.

Jürg Schläpfer, 73, sitzt mit Eva Veith, der Koordinatorin der Freiwilligenarbeit im Pflegezentrum Käferberg, auf der Terrasse des Zentrums und hört ihr aufmerksam zu. «Auf das Inserat im Höngger haben sich rund 15 Freiwillige mit ganz verschiedenem beruflichem Hintergrund gemeldet, davon waren 14 Frauen. Nach dem Eignungsgespräch haben insgesamt zehn Personen im Alter von 42 bis 73 Jahren am 25-stündigen Basiskurs ‹Nacht- und Krisenbetreuung› für das ‹Käferberg› teilgenommen», erzählt sie. Wieso hat sich Jürg Schläpfer gemeldet? «Ich sah das Inserat und fühlte mich sofort rundum angesprochen. Mir war klar: Da gehe ich hin!» Seine erste Motivation sei gewesen, nach seiner Pensionierung – er ist diplomierter Psychologe IAP – mal nicht für Geld zu arbeiten und der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. «Nach meinen ersten Nacht-Einsätzen sehe ich dies nicht mehr so. Es ist für mich zu einer Win-win-Situation geworden, ich erhalte eine ganzheitliche Sicht auf das Leben und seine Endlichkeit. Teilweise habe ich sehr tiefgründige Nacht-Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.»

Beruhigen und einfach da sein

In seinem Bekanntenkreis hat Jürg Schläpfer aufgehört, von seinem Engagement als «Freiwilliger Mitarbeiter NaKri», wie es auf seinem Namensschildchen steht, zu erzählen. «Ich erhielt immer Lob und Bestätigung, was ich da für eine super Sache mache. Das will ich nicht, das ist mir unangenehm, nun behalte ich es einfach für mich und freue mich auf meine Einsätze. Interessant ist auch der Kontakt mit den betagten Bewohnern und dem meist jungen Personal.» Er findet zudem, dass das Leben im Alter lebenswert sei: «Man kann immer Neues anpacken, auch wenn man älter ist.» Zweimal pro Monat erhält er an zuvor vereinbarten Tagen einen Anruf, ob sein Engagement als Unterstützung des Nachtdienstes gefragt ist oder nicht. Wenn ja, was bisher immer der Fall war, beginnt um 22 Uhr sein Einsatz, der bis sechs Uhr morgens dauert. «Je nachdem bin ich für ein bis zwei Bewohnende zuständig. Ich sitze in ihren Zimmern, spreche mit ihnen, wenn sie nicht schlafen können oder beruhige sie, wenn sie Angst haben.» Die Nacht biete ein spezielles Umfeld, gefragt seien nicht selten seelsorgerische Ansätze. «Die Spiritualität wird bei vielen Menschen im Alter immer wichtiger. Sie sind sehr offen und nicht nur auf eine Richtung fixiert, sondern wollen über ihre Empfindungen sprechen», hat Jürg Schläpfer erfahren. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien teilweise depressiv, dement, litten unter Schlafstörungen, seien ängstlich und fühlten sich manchmal einsam. «Alle diese Krankheitsbilder nehmen wir Freiwilligen ernst und sprechen mit den Bewohnern auf Augenhöhe. Es handelt sich hier um Hochbetagte, auch Sterbende, mit einem Durchschnittsalter von 87 Jahren – ihr Bewegungsradius ist eingeschränkt, ein grosser Teil ihres Lebens besteht aus Sitzen, Warten und dem Aushalten der Gegebenheiten. Zudem sinkt man in frühere, auch kindliche, Muster zurück.» Eva Veith erzählt, dass diese menschlichen Stimmungen gut von Freiwilligen aufgefangen werden können: «Sie führen keinerlei pflegerische Verrichtungen aus. Wenn ein Bewohner auf die Toilette muss, so rufen die Freiwilligen den Nachtdienst, ebenso geben sie keinerlei Medikamente ab.» Schlafen die ihm zugeteilten Personen, so kann es sich Jürg Schläpfer, der 30 Jahre lang Lehrer war, gemütlich machen: Im gemeinsamen Wohnzimmer kann er ein Buch lesen oder fernsehen, und in der Mitte der Schicht wartet gar ein Essen auf ihn. Warum engagiert das Pflegezentrum Käferberg Freiwillige für die Nacht- und Krisenbetreuung? «Wir haben hier insgesamt 101 Freiwillige in den verschiedensten Bereichen. Freiwillige Mitarbeitende sind eine Brücke zur Aussenwelt. Sie bringen eine andere Perspektive mit und werden daher besonders geschätzt. Wir wollen den Wert der Freiwilligenarbeit stärken, zudem ist sie im Leitbild der Pflegezentren der Stadt Zürich festgehalten. Die Nacht- und Krisenbetreuung ist ein Pilotprojekt, welches wir das erste Mal mit Laien durchführen, welche aber besonders geschult und begleitet werden. Es klappt bestens», freut sich Eva Veith.

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