Im Dschungel der Bauvorgaben

Dieser «Höngger» widmet sich der Frage, wie und warum sich Höngg in den letzten rund hundert Jahren baulich entwickelt hat. Gab oder gibt es so etwas wie einen Masterplan dazu, wann, wo, was gebaut werden darf? Ja und nein: Es gab und gibt keinen Plan, doch Vorschriften von Bund, Kanton und Gemeinde. Das Baurecht, betrachtet als eine Pyramide aus Champagnergläsern.

Wer ein Grundstück bebauen will, hat sich an eine für Laien fast undurchschaubare Menge an Vorschriften zu halten, die zudem immer wieder ändern und deren Auslegung im Streitfall erst vor Gericht definiert wird. Das Baurecht setzt sich aus Erlassen und den daraus folgenden Gesetzen von Bund, Kanton und Gemeinde – für Höngg also die Stadt Zürich – zusammen. Alles zusammen regelt, was, wo und wie gebaut werden darf. Arbeitet man sich durch die diversen Gesetze, Erlasse und Richtpläne, so gewinnt man schnell den Eindruck, dass sich je nach Bauvolumen nebst einem kompetenten Architekturbüro auch der Zuzug eines Baurechtsexperten aufdrängt. Folglich wirft dieser Artikel nur einen groben Blick auf die föderalistische Kaskade der Vorschriften und Gesetze, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Eine Ordnerwand lässt sich nicht auf wenige Zeilen komprimieren.
Damit das paragraphenlastige Thema nicht all zu trocken daherkommt, stelle man sich die Kaskade der Vorgaben als eine Pyramide von Champagnergläsern vor, in deren oberstes Glas Flasche um Flasche gegossen wird, bis die untersten Gläser überlaufen.

Der Bund

Im obersten Glas werden also die Gesetze und Verordnungen des Bundes abgefüllt: Das Umweltschutzgesetz, die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Luftreinhalte- und Lärmschutz-Verordnung sowie das Raumplanungsgesetz (RPG). In diesem wird zum Beispiel geregelt, wo gebaut werden darf und wo nicht. Bis vor 50 Jahren durfte praktisch überall gebaut werden. So entstanden überall Ferien- und Wochenendhäuser, und erst Anfang der 1960er-Jahre wurde mit dem RPG, das seither ständig revidiert wird, der Zersiedelung der Landschaft wenigstens ansatzweise ein Riegel geschoben. Die Vorgaben des Bundes definieren in der Folge – hier also in den unteren Champagnergläsern – die Gesetze und Erlasse auf Kantonsebene. Doch im Unterschied zu Champagner, der mit jedem Überschwappen aus dem einen Glas in die nächsttieferen etwas an Spritzigkeit verliert, teilen sich die «Perlen» dieser Kaskade zum Sockel der «Gläserpyramide» hin permanent auf.

Der Kanton

Als zweite der drei Hauptebenen ist es also der Kanton Zürich, der den Rahmen vorgibt, wie in der Stadt Zürich und somit auch in Höngg gebaut werden darf. 86 Seiten umfasst das kantonale Planungs- und Baugesetz (PBG), das Ziel und Zweck der Raumplanung festlegt. In Juristendeutsch heisst es einleitend, «die Planungsmittel für die Aufteilung des Bodens in ver¬schiedene Nutzungsbereiche, für deren Einteilung, Erschliessung und Ausstattung sowie für die Ausübung der zulässigen Bodennutzung» sollen mit dem PBG gewährt und «die Zuständigkeiten und das Verfahren im Bereich der Raumplanung sowie des öffentlichen Baurechts» geregelt werden. Wo Rechte sind, sind bekanntlich auch Pflichten. Der Kanton Zürich hat eine Planungspflicht, in der er «zusammen mit Bund und regionalen Planungsverbänden die Besiedlungs- und Nutzungsentwicklung des Kantons und seiner Regionen» untersucht und «die Ziele der wünschbaren Entwicklung koordiniert und die Planungsmassnahmen von Kanton, Regionen und Gemeinden» erarbeitet. Damit der Föderalismus auf Gemeindeebene nicht total ausufert, müssen sich kleinere Gemeinden zu einem überregionalen Planungsverband zusammenschliessen – die Stadt Zürich gilt natürlich als eigener Planungsverband.

Die Richtpläne

Der Richtplan, das zentrale Instrument des PBGs, hat zum Ziel, «die räumlichen Voraussetzungen für die Entfaltung des Menschen und für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu schaffen oder zu sichern sowie der Bevölkerung der verschiedenen Kantonsteile in der Gesamtwirkung räumlich möglichst gleichwertige Lebensbedingungen zu gewähren». Im Fokus stehen dabei Boden, Wasser, Luft und Energie, die «sparsam beansprucht und vor Beein¬trächtigungen geschützt werden» sollen. Überbaubare Gebiete sollen «haushälterisch, ökologisch und ökono-misch ausgewogen genutzt werden» und die «Qualität der Siedlungen verbessert» werden. Als Grundlage dienen der kantonale Siedlungs- und Landschaftsplan, der Verkehrsplan, der Versorgungsplan und der Plan der öffentlichen Bauten und Anlagen. Doch auch hier geht die Kaskade noch eine Ebene tiefer, in den regionalen Richtplan, der die im kantonalen geregelten Bereiche enger umschreibt.

Die Stadt Zürich

Endlich ist der «Champagner» auf der Gemeindeebene, bei der Stadt Zürich angelangt und fliesst in den kommunalen Richtplan ein, der sich, so heisst es im kantonalen Gesetz, «auf einzelne Teilrichtpläne beschränken kann, die übergeordneten Verkehrspläne aber einhalten muss». In der Stadt Zürich ist der Gemeinderat für die Festsetzung dieses kommunalen Richtplans zuständig – und der Kanton muss ihn absegnen. Gemäss PBG müssen die Gemeinden eine Bau- und Zonenordnung (BZO) erlassen, die sich an die übergeordneten Vorgaben hält, ausser Abweichungen seien dort ausdrücklich gestattet. So ist also ganz Zürich rechtsverbindlich in Bau¬zonen, Erholungszonen, Landwirtschaftszonen, Freihaltezonen und Reservezonen unterteilt. Innerhalb der Bauzonen sind wiederum unterschiedliche Ausnutzungen, Bau- und Nutzweisen definiert. In der Stadt Zürich sind dies zum Beispiel Kern-, Quartiererhaltungs-, Zentrums-, Industrie- und Gewerbezonen, Zonen für öffentliche Bauten und natürlich Wohnzonen.  In der BZO besonders ausgewiesen sind «Kernzonen». Zürich zählt fast 40, zwei davon in Höngg: Eine kleine im Riedhof und die grössere – übrigens die erste des ganzen Kantons – rund um den Meierhofplatz, das Gebiet, das zudem als einer von acht «bäuerlichen Dorfkernen» in der BZO genannt wird. «Die Kernzonenvorschriften bezwecken die Wahrung des Ge¬bietscharakters durch Pflege der bestehenden Bau- und Grün¬substanz und deren eingepasste Ergänzung durch Bauten und Anlagen», heisst es in der BZO. Abgesehen von denkmalpflegerischen Auflagen sind Kernzonen das Werkzeug, mit welchem der Gesetzgeber am stärksten Einfluss auf die Gestaltung der Bauten nehmen kann – zumindest wenn sie neu gebaut werden sollen. Wie sich dies in der Kernzone am Meierhofplatz auswirkte und weiter auswirken könnte, dazu mehr in folgenden «Hönggern».

Jeder Zone ihre Auflagen

Unterdessen aber ist die Kaskade auf der untersten Stufe angekommen, die «Champagnerperlen» sind bereits sehr klein: Jetzt wird für jede Zone einzeln bestimmt, ob und was dort wie gebaut und wozu es genutzt werden darf. Dabei werden Gebäudemasse, Volumen, Geschosszahlen, Dachgestaltung, Ausnutzungsziffern, Grenzabstände, Wohnanteil, Fahrzeugabstellplätze und Unzähliges mehr vorgegeben. Und es wimmelt nur so von Abkürzungen. Die allgemein noch am bekanntesten in diesem Teil der BZO lauten zum Beispiel «W2» für «zweigeschossige Wohnzone». Die Zahl steigt bis «W5», also fünfgeschossig, danach wechselt der Buchstabe auf «Z» für «Zentrumszone», in denen fünf- bis siebengeschossig gebaut werden darf. Weiter regeln der Zonenplan der BZO und dessen Ergänzungspläne bis ins kleinste Detail weitere Belange, zum Beispiel auch, für welche Gebiete ein Gestaltungsplan besteht, wo Hochhäuser stehen dürfen, welche Geländeabgrabungen zulässig sind, wie Gärten oder Flachdächer zu begrünen sind, welche Grenzabstände eizuhalten sind und mehr – und was auf den 42 Seiten der BZO keinen Platz fand, regeln Sonderbauvorschriften, wie sie beispielsweise für das Fussballstadion bestehen. Ein weiteres Instrument zur Steuerung der Bautätigkeit ist der Gestaltungsplan (GP), eingeführt von der damaligen Stadträtin Ursula Koch. In einem GP definieren Bauherrschaft und Behörde gemeinsam Parameter für die Bauhöhe, den Anteil gemeinnütziger Wohnungen, wie viel Dienstleistungsbetriebe erlaubt sind und vieles mehr – mit einem solchen GP war es auch möglich, den Swissmill-Tower entgegen anderer Vorschriften zu realisieren. Und dann wäre da noch das Sonder-Instrument der «Arealüberbauung» zu nennen, das ebenfalls anderslautende Vorschriften aushebelt – doch wie gesagt: Eine Ordnerwand lässt sich nicht auf wenige Zeilen komprimieren.

Und die Eingangsfrage?

Höngg, um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen, hat sich in erster Linie deshalb baulich entwickelt, weil es die Grundeigentümer so wollten. Es gab nie einen Masterplan, was wann und wo gebaut werden soll – massgebend waren einzig Angebot und Nachfrage und so war es jedem Grundstückseigner überlassen, sein Land innerhalb der Gesetze und gestalterischen Vorgaben, die sich aus der hier betrachteten Champagnerkaskade ergossen, zu überbauen. Und ein Dorf wuchs zum Stadtquartier heran, das auch weiter einem baulichen und gesetzgeberischen Wandel unterworfen ist.

Die Übersicht aller Bau- und Zonenordnungen auf der Homepage der Stadt Zürich, www.stadt-zuerich.ch, auf der Seite des Hochbaudepartements, unter «Bewilligung & Beratung», dort unter «Baurecht».

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