«Ich will etwas bewegen»

Mit 22 Jahren machte sich André Bolliger als Plattenleger selbständig. Mittlerweile führt er ein Team von zehn Angestellten. Vorwärtskommen spielte im Leben des Mittfünfzigers schon immer eine wichtige Rolle.

André Bolliger: ein sportlicher Typ.

Vor fünf Jahren zog die Firma Bolliger Plattenbeläge GmbH nach Rümlang. Ein mittelgrosser, lichtdurchfluteter Raum mit vielen Ordnern in USM Regalen und einer roten Küchenwand ist das neue Reich von André Bolliger und seinem Team. Er hat einen langjährigen Angestellten zu seinem Plattenleger-Chef ernannt und ihm die Verantwortung für die Baustellenbewirtschaftung übergeben. Bis vor drei Jahren war er selber noch auf der Baustelle anzutreffen, heute ist er, wie er sagt «zum Bürohengst mutiert», kümmert sich um die Akquise neuer Aufträge, die Offert- und Rechnungstellung. Die Umstellung war für ihn gar nicht so einfach.  «Ich bin ein Handwerker. Ich hole mir meine persönliche Befriedigung darin, dass ich ein Werk anschauen kann, es anfassen kann. Ein fertig verkleidetes Bad, eine Küche, das ist für mich fassbar und gibt mir ein gutes Gefühl. Im Büro fällt das weg, stattdessen arbeitet man einen Pendenzenstapel ab. Das ist nicht wertend gemeint, für mich ist es einfach immer noch gewöhnungsbedürftig». Das Alphatier lernt, auch einmal etwas abzugeben.

Eigentlich wollte er ursprünglich Maschinenmechaniker werden, hatte schon den Vertrag bei Escher-Wyss im Sack. Der Bau hatte ihn nie interessiert. Aber in der Familie der Mutter gab es Plattenleger, und ein Onkel forderte ihn auf, bei ihm eine Schnupperlehre zu machen, um wenigstens noch etwas anderes zu sehen. Bolliger fühlte sich sofort wohl und nach einer Woche war klar: Es wird die Plattenleger-Lehre. «Der Bau hat mir gewisse Freiheiten gegeben, die mir entsprachen. Nicht ständig kontrolliert zu werden, zum Beispiel. Nach der Lehre habe ich noch weiter dort gearbeitet, bis ich mich mit meinem Onkel überworfen habe. Das war vielleicht mit ein Grund, warum ich mich selbständig gemacht habe: Ich wollte ihm zeigen, dass ich das auch alleine kann.

Sie waren aussergewöhnlich jung, als Sie den Schritt in die Selbständigkeit wagten. Wie kam es dazu?

«Es war immer mein Wunsch, im Leben etwas bewegen zu können. Angefangen bei mir selber: Ich wollte mich als Plattenleger verändern, um meiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Nicht nur materiell, sondern auch im Handlungs- und Bewegungsspielraum. Gleichzeitig war da eine gewisse Lust an der Herausforderung, vielleicht vergleichbar mit einem Wettkampf im Sport. Dass man wissen will, ob man es schaffen und am Ende sagen kann: Da habe ich etwas bewegt für mich und vielleicht sogar für andere, zum Beispiel als Arbeitgeber. Ich war früher im Leichtathletik Verein Zürich Nord, auch Trainer. Viele meiner Kollegen aus diesem sportlichen Umfeld haben später Führungspositionen eingenommen oder sich selbständig gemacht. Vielleicht hat das mit der Sportlernatur zu tun, die ehrgeizig ist und etwas erreichen will, aber sich auch bewusst ist, dass es harte Arbeit bedeutet. Ob es dann am Ende tatsächlich klappt, steht allerdings auf einem anderen Blatt, es braucht immer auch ein bisschen Glück im Leben. Nicht alles ist planbar, da spreche ich aus eigener Erfahrung».

Fast wäre es mit der Selbständigkeit vorbei gewesen, bevor sie richtig begonnen hatte: Der junge Plattenleger, gerade in der Ausbildung zum Meister, hatte einen schweren Motorradunfall und lag viereinhalb Tage im Koma. Ohne die Hilfe seines ehemaligen Arbeitgebers, der sich um die offenen Aufträge kümmerte, wäre sein Geschäft wohl eingegangen. «Auf einen Schlag war ich völlig hilflos, musste in die Reha und konnte etwa ein halbes Jahr nicht arbeiten. Aber ich habe die Kraft gefunden, mich aufzurappeln und weiter zu machen. Meine sportliche Grundkonstitution hat sicher geholfen. Diese Einstellung habe ich auch im Geschäftsleben: Scheitern kann man immer, es kommt vor. Wichtig ist nur, dass man sich wieder zusammenrauft und weitermacht».

Sport war und ist noch immer ein wichtiger Bestandteil im Leben des Unternehmers. Er sei polysportiv unterwegs, fahre viel Fahrrad und gehe im Winter auf Skitouren. Körperlich ausgepowert zu sein, gäbe ihm ein gutes Gefühl und einen Ausgleich. Wettkampf-Ambitionen hat er allerdings keine mehr. Wenn er heute mit dem Fahrrad von Zürich nach Davos fährt, dann sind die sieben Stunden im Sattel, die Dörfchen, durch die er radelt, die Natur um ihn herum das Ziel. Wenn er oben ankommt, hat er neue Energie getankt für den Geschäftsalltag, vielleicht im Kopf einige Probleme analysiert und einen Lösungsweg skizziert. Es kümmert ihn nicht, ob andere ihn für verrückt halten, er macht das für sich und für das tiefe Glücksgefühl, dass es ihm gibt. Ein junger Mann steckt seinen Kopf durch die Tür, sie tauschen ein paar scherzhafte Worte. «Ein Paradebeispiel» nennt ihn Bolliger: Kam mit schlechten Deutschkenntnissen aus einer Integrationsklasse hierher, wollte Plattenleger lernen. Erst hatte der Chef Bedenken, doch nach einer Schnupperlehre durfte er bleiben. Als er die Lehrabschlussprüfung im ersten Anlauf wegen des Sprachverständnis nicht schaffte, unterstützte ihn die Firma mit Förderkursen. Heute hat er einen Eidgenössischen Fähigkeitsausweis, einen Schweizer Pass und eine Familie. Er ist eine seiner treuesten Seelen, sagt Bolliger.

André Bolliger, sind Sie ein strenger Chef?

Ich bin konsequent. Ich kann mit Schwächen oder Fehlern umgehen. Das heisst, ich thematisiere sie. Auch hier kommt das Teamwork zum Tragen: Ich verkaufe den Kunden etwas, das meine Leute umsetzen müssen. Dazu müssen sie verstehen, was ich erwarte. Wenn das funktioniert, bin ich ein loyaler Chef, ich gebe auch etwas zurück. Und ich setze auf Kontinuität: Das Geschäft soll kein Durchlauferhitzer sein. Dazu gehört eben auch, dass man nicht bei der ersten Durststrecke Leute entlassen muss. Meine Mitarbeiter sind für mich nicht einfach «Schubladen», die ich öffne und wieder schliesse, wie es mir gerade beliebt. Es sind Menschen, die für mich arbeiten und gut arbeiten, damit alle etwas davon haben. Und je besser das Teamwork funktioniert, desto besser geht es uns.

Was geben Sie Ihren Kindern mit?

«Seid anständig, habt Respekt und Toleranz gegenüber anderen und seid fleissig. Es sind einfache Grundsätze. Bleibt aufrecht, steht zu Euren Fehlern und macht es in Zukunft besser. Meine Frau und ich haben keine Ansprüche, wenn es darum geht, wie sie ihr Leben gestalten oder was sie beruflich machen. Selbstverständlich unterstützen wir sie, aber wir zwingen ihnen nicht unsere Träume auf. Solange sie sich anstrengen und einsetzen, können sie tun, was sie wollen. Hauptsache sie bewegen sich».

 

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