«Ich bin pragmatischer geworden»

Während seiner 15 Jahre als Polizeireporter für den Tages-Anzeiger hat Stefan Hohler in einige menschliche Abgründe geblickt. In seinem neuen Buch «13 Mordfälle und ein Amour fou» präsentiert er die eindrücklichsten Kriminalfälle seiner Karriere.

Höngger und Polizeireporter Stefan Hohler präsentiert ein neues Buch. (Foto: zvg)

Stefan Hohler ist kein Debütant: Bereits vor sieben Jahren erschien sein Buch über den Höngger Fluchthelfer Hans Ulrich Lenzlinger. Der damalige Verleger, Manfred Hiefner, führt heute den Münster Verlag und fragte ihn vor etwas mehr als einem Jahr an, ob er ein Buch mit den als Polizeireporter erlebten Kriminalfällen schreiben wolle. Obwohl Hohler kein Sammler ist, hatte er doch noch einige Unterlagen zur Hand. Also begann er neben seiner Arbeit die Fakten zu 14 ausgewählten Fällen zusammenzutragen. Entstanden ist ein leicht lesbares, süffiges Buch, das auch Einsichten in die juristische Arbeit der Gerichte gibt.

Herr Hohler, im Vorwort Ihres neuen Buches lobt der Sprecher der Stadtpolizei Zürich, Marco Cortesi, Ihre Arbeitsweise: Richtig vor Schnell. Heute gibt es einen Wettlauf unter den Medienschaffenden, wer eine News als Erster veröffentlichen kann. Wie halten Sie diesem Geschwindigkeitsdiktat stand?

Auch beim Tages-Anzeiger versuchen wir natürlich, so aktuell wie möglich zu sein. Aber mit Blick oder 20 Minuten Online können wir nicht mithalten. Ich halte das eigentlich für ein Privileg. Es ist wichtiger, sich die Zeit zu nehmen, um zu prüfen, ob Aussagen auch wirklich stimmen. Vor Ort und im Affekt sagen Leute vielmals Sachen, die so nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und die sie vielleicht nicht einmal so meinen. Wenn man das einfach eins zu eins übernimmt, kann man diesen Menschen enorm schaden. Die Arbeit ist allerdings dieselbe wie bei anderen Journalist*innen: Ich bin vor Ort, spreche mit den anwesenden Personen, versuche die Geschehnisse einzuordnen und mir ein Bild zu machen. Dabei halte ich mich an die Spielregeln der Polizei. Wenn ein Tatort abgesperrt ist, muss ich dort nicht trotzdem reingehen.

Kostet es Sie Überwindung mit Angehörigen der Opfer zu sprechen?

Man nennt es das «Glöcklispiel», wenn man bei Angehörigen klingeln oder sie anrufen muss. Das mache ich tatsächlich nicht sehr gern, es ist aber Teil der Arbeit. Wenn sie nichts sagen wollen, akzeptiere ich das auch. Ich gehe aber nicht mit Blumen oder so vorbei. Auch wenn ich durchaus Empathie habe, fände ich das seltsam, ich kenne diese Menschen ja nicht persönlich.

Wie verändert sich das Menschenbild, wenn man 15 Jahre lang in diese Abgründe sieht?

Mein allgemeines Menschenbild hat sich nicht unbedingt verändert – ich denke nicht, dass die Menschen grundsätzlich böse sind. Aber meine Einstellung zum Umgang mit Täter*innen ist pragmatischer geworden. Ich glaube zum Beispiel nicht mehr daran, dass jede Person therapierbar ist oder daran, dass jedem und jeder eine zweite oder dritte Chance zusteht. Es ist auch nicht immer die Gesellschaft schuld daran, dass jemand kriminell wird.

Sie waren sicher ein bis zweimal in der Woche an Gerichtsverhandlungen, wie beurteilen Sie unser Justizsystem?

Die Arbeit der Gerichte überzeugt mich grundsätzlich schon. Es wird sehr genau gearbeitet, es gibt keine Schnellschüsse: Selbst über einen kleinen Fall wird sicher einen halben Tag lang verhandelt. Man nimmt das ernst. Von gewissen politischen Gruppen wird den Gerichten jeweils «Kuscheljustiz» vorgeworfen, weil sie meist im untersten Drittel des möglichen Strafmasses bleiben. Man setzt bei uns auf Resozialisierung und Prävention, und hofft, dass die Täter*innen später wieder auf den rechten Weg kommen. Das kann vor allem für die Angehörigen der Opfer schwierig zu ertragen sein. Ich muss selber sagen, dass ich nicht immer verstehe, wieso bei schweren Gewalt- und Tötungsdelikten nicht härtere Strafen ausgesprochen werden.

Entwickelt man für gewisse Täter*innen manchmal auch eine Art Mitgefühl oder Verständnis? Manche Fälle grenzen ja auch ein bisschen an Dummheit.

Mitgefühl würde ich es nicht nennen. Man kann eine Tat vielleicht nachvollziehen, aber Mitleid ist das nicht. Es gab diesen einen Fall, der auch im Buch beschrieben wird, wo ein Malermeister, der bislang völlig unbescholten durchs Leben ging, seinen Nebenbuhler umgebracht hat. Seine erste Straftat war also gleich ein Mord und dann liess er noch den Tresor mitgehen. Als ich dann die Konstellation mit seiner Frau sah – beide konnten sich nicht wirklich ausdrücken – und die Hintergründe erfuhr, da hatte ich wirklich das Gefühl, dass er nicht der klassische Mörder ist, sondern ihm das Leben einfach böse mitgespielt hat. Natürlich macht es die Tat nicht weniger schlimm, er hat auch eine Strafe erhalten. Aber die meisten Täter*innen haben ihre Tat geplant und gezielt durchgeführt, sie handelten aus freiem Willen. Bei ihm hatte ich das Gefühl, dieser freie Wille war eingeengt.

Welcher Fall ging Ihnen persönlich nah?

Das war ganz klar der Fall Rupperswil. Der ist in seiner Brutalität und Konstellation der wichtigste und schrecklichste Fall. Ich habe ihn auch im Buch ausführlicher beschrieben. Besonders berührt hat mich das Foto der Mutter, das sie am Bankschalter zeigt. Man sieht ihr an, dass sie nicht ahnte – und nicht ahnen konnte – was geschehen würde. Das ist besonders bedrückend, weil wir es wissen. Er bekam lebenslänglich, das sind in der Regel 20 Jahre und danach wird er verwahrt, ich gehe davon aus, dass er nicht mehr rauskommt.

Werden Sie diese Arbeit vermissen?

Die klassische Polizeiarbeit habe ich immer gerne gemacht, aber es waren letztendlich die Gerichtsfälle, die mich noch mehr interessiert haben. Dort erfährt man erst die Hintergründe einer Tat. Die Gerichtsverhandlungen würde ich gerne weiter besuchen, einfach etwas reduzierter. Denn ich habe ja auch noch ein Privatleben, für das ich jetzt mehr Zeit habe. Ich bin begeisterter Ornithologe, wandere viel und geniesse das Leben.

Ist es eigentlich der Traum eines jeden Journalisten, ein Buch zu schreiben?

Ich hatte diesen Traum eigentlich nie, beide Bücher wurden an mich herangetragen, selber wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen. Aber es ist etwas Neues, eine andere Art zu arbeiten, das hat mir gefallen. Ob es irgendwann einmal noch ein Buch von mir geben wird, kann ich jetzt noch nicht sagen. Es wird aber bestimmt keine Autobiografie.

Stefan Hohler: 13 Mordfälle und eine Amour fou. Die spannendsten Kriminalfälle des «Tages-Anzeiger»-Polizeireporters. Münster-Verlag, Basel 2019. 174 S., 25 Franken.

Am Montag, 25. November, um 20 Uhr, findet eine Lesung des Autors in der neu eröffneten Buchhandlung Kapitel 10, Limmattalstrasse 197, statt.

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