Ohne Rolf – mit «Blattrand»

Letzten Donnerstag bewiesen «Ohne Rolf» im reformierten Kirchgemeindehaus Höngg, dass Kabarett auch ohne Ton bestens funktioniert. Mit ihren Plakaten zum Mitlesen boten sie Unterhaltung auf hohem Niveau.

Ein abendfüllendes Kabarett-Programm ohne ein gesprochenes Wort? Kann das funktionieren? Erschöpft sich die Komik, Texte nur von Plakaten zu blättern, statt sie zu sprechen, nicht ziemlich schnell? Diese oder ähnliche Fragen mag sich so manch ein Gast im Vorfeld der Aufführung gestellt haben. Die Antwort gleich vorneweg: Ja, es funktioniert hervorragend. Was Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg mit ihrem Programm «Blattrand» im Rahmen von «Höngger Kultur» vor rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauern an diesem Abend zum Besten gaben, war herrlich kurzweilig, unheimlich komisch, tiefsinnig und voller überraschender Wendungen.

Papier ist geduldig – und voller Emotionen

Das Prinzip, auf dem dieses Programm ebenso wie die beiden anderen Stücke, mit denen «Ohne Rolf» auf Tournee waren, basiert, ist denkbar einfach: zwei Künstler, zwei Plakatwände, zwei Leitern. Wortlos betraten die beiden Luzerner Kabarettisten die Bühne, stellten sich hinter ihre Plakatwand auf die Leiter und blätterten den auf grosse Blätter gedruckten Text ihrer Konversation durch – Wort für Wort, Satz für Satz, manchmal gar Punkt für Punkt. Und obwohl sie dabei keine anderen Geräusche verursachten als das Rascheln des Papiers, vermochten sie mit ihren Texten alle Stimmungen, Gefühle und Tonlagen eines normalen Gesprächs zu vermitteln. Ihre Plakate können flüstern, wenn der Text ganz klein gedruckt ist, Gedanken darstellen, wenn der Text in Klammern steht, und mit fetten Buchstaben schreien; sie können ängstlich, fragend, verärgert und traurig sein und sogar «Bruder Jakob» im Kanon singen.

«Blattränder» in Gefahr

Spielerisch unternahmen die beiden Kabarettisten, die im Jahr 2015 mit dem Deutschen Kabarettpreis ausgezeichnet worden sind, mit ihren Zuschauern im Verlauf des Abends eine äusserst amüsante Reise durch Höhen und Tiefen der deutschen Sprache, verdrehten gekonnt Wort um Wort und verblüfften mit ihrem «erlesenen» Sprachwitz. Inhaltlich waren die Protagonisten in diesem Bühnenprogramm als bedauernswerte Gestalten, «Blattländer», auf einer skurrilen Mission und erhofften sich vom Publikum Hilfe dabei, die gesprochene Sprache zu erlernen.
Die «Stimmberechtigten», wie sie die Zuschauer nannten, sollten ihnen zeigen, wie man seine Stimme benutzt. Bedroht wurden sie auf ihrer Reise durch ominöse «böse Männer» in Form von sprechenden Kassettenrecordern, die sie ständig einzufangen versuchten. Glücklicherweise konnten sich die beiden aber gegen das Böse durchsetzen und den Kassettenrecordern mit einer Suppe aus «Stimmbändern» den Garaus machen. Die eigene Stimme fanden die beiden zu ihrem grossen Bedauern aber trotzdem nicht.

Konsequent durchdacht

Das war aber auch nicht weiter schlimm, denn erstens war die Handlung des Stücks eh nebensächlich und zweitens konnte das Duo so fröhlich weiterblättern und das Publikum mit dieser ganz eigenen und noch nie dagewesenen Komik begeistern – eine Komik, die bis ins Letzte konsequent durchdacht war. So änderte sich beispielsweise die Sprache auf den Plakaten mit den Büchern, die die beiden Komiker im wahrsten Sinne des Wortes «verschlangen». Nach dem genüsslich zelebrierten Verzehr einer chinesischen Bedienungsanleitung etwa erschienen bei Jonas Anderhub so lange nur noch chinesische Buchstaben auf den Plakaten, bis er sich zur Heilung der Sprachverwirrung ein deutsches Reclam-Heftchen zu Gemüte führte. Leider war dies die «Sammlung deutscher Sprichwörter», so dass er nun ausschliesslich in Sprichwörtern kommunizierte. Als Christof Wolfisberg dagegen plötzlich mitten im Blatt-Dialog die Tinte ausging und die Buchstaben auf seinen Plakaten langsam verblassten, half ihm ein Schluck Tinte, sie wieder schwarz erscheinen zu lassen.
Sogar die dicken Krokodilstränen, die Jonas Anderhub nach einer Auseinandersetzung mit Christof Wolfisberg weinte, waren aus Papier – ebenso der Gong, der das Ende der Pause signalisierte. Er kam an diesem Abend ohne Ton aus und wurde als Plakat mit der Aufschrift «Gong» durchs Foyer getragen.
Bei all diesem Slapstick rutschte der Humor jedoch niemals in Plattitüden ab, im Gegenteil, oftmals bewies er gar durchaus Tiefgang: etwa in der Szene, in der sich die beiden Gedanken darüber machten, dass bei ihnen jede Äusserung im wahrsten Sinne des Wortes «vorgeschrieben» ist und sie sich überlegten, wie frei das Publikum wohl denken und sprechen könne.

Immer wieder überraschend

Bewundernswert war auch die pantomimische Schauspielleistung der beiden Darsteller – etwa bei der Szene, in der Jonas Anderhub ein ganzer Stapel Plakate zu Boden fiel. Das Mitleid des ganzen Saals war den beiden verzweifelten Darstellern nach diesem offensichtlichen Missgeschick, das sie sichtbar aus der Fassung brachte, sicher. Krampfhaft bemühten sie sich, keine Miene zu verziehen, um die peinliche Situation zu überspielen und mussten sich doch deutlich zusammenreissen, um nicht einfach nervös loszulachen. Natürlich bedeutete dies für Christof, dass er notgedrungen eine gleich grosse Anzahl Plakate aussortieren musste, damit die Konversation weiterhin zusammenpasste. Und während sich das Publikum noch fragte, was wohl auf den Plakaten steht, die nun aussortiert auf dem Boden lagen, erschien genau diese Frage auf einem der nächsten Plakate und entlarvte die «Panne» als integralen Bestandteil des Programms. Immer wieder wurde mittels derartiger Stilmittel das «Vorgeschriebene» und Starre der bedruckten Plakate spielerisch aufgehoben und wirkte plötzlich sehr spontan und teilweise fast schon magisch.

Zum Abschluss für einmal mit Rolf

Spontan war an diesem Abend auch die Interaktion mit dem Publikum. So wurde der Hauptsponsor der Veranstaltung, Rolf Weidmann, zu seiner Überraschung von den beiden Kabarettisten auf die Bühne gebeten und durfte als «Lehrling» seine eigene Plakatwand bedienen. Mit viel Humor nahm er die Herausforderung an, und – obwohl er selbst, hinter der Plakatwand stehend, den Text gar nicht lesen konnte, den er dem Publikum präsentierte – die Kooperation mit den beiden Profis funktionierte hervorragend und sorgte für viel Heiterkeit im Saal. Auch die vielen Gedanken, die das Duo zum Abschluss des Abends mit einem Kescher im Publikum einsammelte, waren nicht nur witzig, sondern zudem verblüffend treffend. Kein Wunder, dass das Publikum nicht müde wurde, den Künstlern beim Blättern zuzusehen und die beiden nach diesem viel zu kurzen «Leseabend» nur ungern und mit tosendem Applaus in ihren wohlverdienten Feierabend entliess. Bleibt nur zu hoffen, dass «Ohne Rolf» demnächst mal wieder in Höngg Station machen, um das hiesige Publikum ein wenig «belesener» zu machen.

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