Der Satiriker Andreas Thiel in Höngg
Andreas Thiel, der Satiriker wetzte im Saal des Restaurant Desperados und im Anzug sowie der Irokesenfrisur die Messer mit seinem Programm «MACHT, Politsatire 4». Der messerscharfe Wortjongleur trank nicht nur Champagner, sondern gab dem Publikum tiefsinnige Gedankenspielereien mit auf den Heimweg.
21. November 2014 — Redaktion Höngger
Schon lange war der satirische Abend ausverkauft, und um die 150 Besucherinnen und Besucher warteten auf den von der Drogerie Hönggermarkt gesponserten Anlass. Verlagsleiter Fredy Haffner begrüsste das Publikum mit einer Analogie auf einen Raketenflug und übergab für den Countdown an Sponsor Daniel Fontolliet von der Drogerie Hönggermarkt. Er hatte 50 Gäste eingeladen, nannte Andreas Thiel den «Henker unter den Poeten und Wortchirurgen, dessen einzige erogene Zone sein Intellekt ist, und damit viel Vergnügen beim Programm „Macht, Politsatire 4″».
Nicht ohne meinen Irokesen
Als der in Bern geborene Solothurner dann die Bühne des «Mülihalde»-Saals betrat – natürlich mit seinem obligaten, pinkfarbenen Irokesen –, sagte er zu den Anwesenden: «Ich habe soeben einen Apéro riche miterlebt, der Abend ist für mich also schon gelaufen.» Zum Glück meinte er dies nicht ernst, denn so hätte das Publikum nichts gelernt – zum Beispiel, dass «die Deutschen ein geknechtetes Volk mit einer unbeugsamen Regierung» und die Schweizer «ein unbeugsames Volk mit einer geknechteten Regierung» seien. Er philosophierte weiter über «die Deutschen in der Schweiz» und kam zum Schluss, dass «wir Demokraten sind, denn wir mögen keine Minderheiten – wir sind ein Volk von Minderheiten, Politiker etwa sind die gefährlichste Minderheit.» Wer würde dem nicht zustimmen?
Aber auch Deutschlands Politik kam nicht ungeschoren davon: «Was macht Angela Merkel eigentlich genau? Niemand kann das sagen. Sie ist einfach ein Vakuum, das die Macht ausfüllt.» Auch sei es in Ordnung, über unangemessene Witze zu lachen: «Lachen ist ein spontaner Gefühlsausbruch. Ich sitze also im Garten und rede mit meinem Kopfsalat, der sagt, Humor sei das Gegenteil von Frustration.» Aha, Herr Thiel spricht also mit seinem Kopfsalat. Da entstehen tiefsinnige Gespräche, etwa, dass Comedy lustig sei, Satire aber nicht: «Dafür ist die Satire da. Comedy ist da, damit Humorlose auch mal etwas zu lachen haben.»
Die militärische Rasierklingensprache
Den Grossteil seines Programmes führte er in scharfem Hochdeutsch, der «militärischen Rasierklingensprache» durch, denn Mundart sei viel zu poetisch für Satire – damit sich das Publikum davon überzeugen konnte, redete der 43-Jährige im gemütlichen Solothurner Dialekt weiter, und man verstand, warum sich Mundart nicht für skalpellscharfe Wortchirurgie eignet: «Die Schweizer haben ein deeskalierendes Sprachverhalten. Der Deutsche sagt ˂Wir haben ˈne Jacht auf dem Bodensee!˃ – der Schweizer thurgauert hingegen: ˂Mir hen e Böötli ufem Bodesee.˃» Das Gelächter im Saal war Andreas Thiel sicher, auch als er von Jesus an der Hochzeit zu Kana erzählte, an der dieser Wasser zu Wein verwandelt habe. Zur Frage «Welcher Wein war das?» philosophierte er ausgiebig.
«Die anderen sind einfach noch dümmer als ich»
Als er in jungen Jahren einmal einen Intelligenztest gemacht habe, da er sich für intelligenter als alle anderen hielt, sei er danach zum Schluss gekommen, dass er falsch liege – und «andere einfach noch dümmer als ich sind». Mit seinem Salatkopf im Garten rede er, weil dieser das Herz im Kopf habe.
Beim imaginären Gespräch mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die es «eine Frechheit findet, Fragen zu stellen», nötigt der «Journalist» sie, nur mit Ja oder Nein zu antworten – nicht ganz einfach bei komplexen Fragen zum Atomausstieg oder zum Thema Ausländer. Als Abschluss des «Gesprächs» meinte der «Journalist»: «Und wir Stimmbürger sollen auf dem Stimmzettel alles mit Ja oder Nein entscheiden – sehen Sie, was ich meine, Frau Bundesrätin?». Simonetta Sommaruga scheint es dem Satiriker besonders angetan zu haben: «Ich stelle mir manchmal vor, dass ich der Prinz bin, der die Prinzessin vor dem bösen Drachen retten muss. Nur bin ich mir nicht sicher, ob Simonetta der Drache oder die Prinzessin ist…» – zustimmendes Lachen gab ihm recht.
Auch Doris Leuthard, «die Tunnelbohrmaschine unter den Visionärinnen», wurde imaginär interviewt. Auf die Frage, wie sie sich informiere, antwortete sie: «Ich lese meine Interviews.» Der Saal dröhnte vom Gelächter des Publikums. Bundesrat Ueli Maurer sei «eine brennende Lunte ohne Bombe», so der Satiriker.
Lieber Atomstrom- oder Stausee-Tomaten?
Köstlich ist auch die Einmann-Diskussion mit dem Tomatenverkäufer: «Warum sind diese Hors-Sol-Tomaten so billig?» – «Weil sie mit Atomstrom gereift sind. Ich hätte auch noch Stauseetomaten, die sind mit Wasserkraft-Strom gereift. Solarstrom-Tomaten kann ich Ihnen ebenfalls anbieten, aber die sind mit den Atomstrom-Tomaten subventioniert worden, sonst wären sie viel teurer!» Tja, da kann man nur sagen: Tomaten ja, aber bitte nicht Hors-Sol und am liebsten bio, oder?
Auf die Frage, ob seine Irokesenfrisur echt sei, sagte er, er schlafe auf der Seite, brauche täglich eine halbe Stunde, um den Irokesen aufzustellen und könne diese Frisur jedem über 40 empfehlen: «Man fühlt sich viel freier als Punk, und man wird wieder geduzt.» Regelmässig füllte er sich von der eigenhändig geöffneten Champagnerflasche nach und nutzte diese auch als Uhr: «Ah, s Programm isch nonig fertig! Mer händ no chli!», interpretierte er am restlichen Inhalt der Flasche.
In der Straf-Eurythmie
Bei einem weiteren Salatkopf-Garten-Gespräch erzählte Thiel dem Salat, dass er Bachblütentropfenstengeli – anstatt Kirschstengeli – esse: «Mit Notfalltropfen gefüllt. Für die Prüfung.» Der Salatkopf, wie immer gar nicht auf den Kopf gefallen, antwortete: «Aber du hast doch gar keine Prüfung!» – «Das ganze Leben ist eine Prüfung!», entgegnete Thiel finster und erinnert sich an seine Zeit in der Rudolf-Steiner-Schule, als er in der Geometrie meinte, es gehe nur darum, die Formen auszumalen. «Dann musste ich jeweils in die Straf-Eurythmie. Bei Streichen, die ich anderen gespielt habe, musste ich 150 Mal ˂Du sollst nicht lügen˃ tanzen.»
Auch die Besuche im Basler Zolli mit seinem Berliner Opa bleiben dem Wortakrobaten in Erinnerung: «Das Nilpferd ist ein politisches Pferd. Es hat ein grosses Maul und lebt im Schlamm. Das Affenhaus ist das Parlament …». Nach einigen Zugaben und dem Spruch «Man lebt nicht länger, wenn man sich beeilt», der sicher manchem Zuschauer gefiel, mischte sich der Satiriker gut gelaunt unter die Gäste und zeigte sich im Gespräch als sympathischer Polit-Satire-Punk, der den Nerv der Zeit und des Publikums empfindlich, aber wahr trifft – auch wenn er sich, wie er in Höngg bekannte, überhaupt nicht für Politik interessiert.
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